Leben in Alabaster haun und spielen
Ein Plot wie für einen Groschenroman. Es ist natürlich mehr, denn Pippa kämpft. Im Groschenroman ist es die arme Krankenschwester, die den schönen Oberarzt mit den guten Augen bekommt, weil er von ihrer Wahrhaftigkeit und Bescheidenheit beeindruckt ist. Oder der Graf, den eine geheime Seelenqual drückt, wird vom Zimmermädchen erlöst, das dann doch in ihrem Stammbaum was Adliges findet. Pippa ist Bildhauerin, die auf nichts Geringeres als Alabaster haut, nebenbei in einem Callcenter jobbt und sich als ihre eigene Agentin ausgibt, um in einer renommierten Kölner Galerie eine Personalausstellung zu bekommen. Der etwas eitle Assistent der Galerie durchschaut ihr Spiel und geht mit ihr ins Bett. Die Ausstellung wird ein Erfolg, die unbekannte Bildhauerin verkauft und braucht nun nicht mehr im Callcenter Spielzeug anzupreisen. Das ist reichlich unglaubwürdig, das ist Groschenroman. Auch, dass Pippa plötzlich der Eitelkeiten des Kunstbusiness überdrüssig ist und sich eines „wahren“ Freundes erinnert: Happyend. Hier könnte die Rezension enden, doch dann würde ich es mir zu einfach machen. Pippas Plappern ist der Sound des Romans „Pippa fliegt davon“ von Katja Kutsch. Und ganz nebenbei schwingt im Plappersound doch überraschende Tiefe mit. Wenn die Protagonistin etwa den Mann aufsucht, der manchmal denkt, er sei Pippas Vater, weil er doch damals was mit ihrer Mutter hatte. Pippa weiß, dass es nicht sein kann, lässt aber Jochen in diesem Glauben; er war stets ein Freund der Familie und mehr für Pippa da, als der richtige Vater, der über den Tod seiner Frau, Pippas Mutter, nicht hinweg kommt. Die verstorbene Mutter steht zwischen Vater und Tochter, sie wollen immer miteinander reden, kriegen das aber nicht hin. Dieses psychische Phänomen ist fein beobachtet und kein Stoff für einen Groschenroman. Dass der Vater aber wieder auflebt, indem er sich in eine unkonventionelle, begüterte, kunstliebende Alkoholikerin verliebt und mit ihr nach Italien geht, schon eher. Auch er ist Künstler, erfolglos. Er versucht es ebenfalls in der Galerie, die Pippas Alabasterplastiken ausstellen will und blitzt ab. Auch dies wäre ein weiter auszuführender Stoff: erfolgreiche Kinder von Losereltern.
Nein, es geht nicht um die Ungereimtheiten in diesem Roman, von denen es einige gibt. Vielleicht wird man ihm und seiner Schöpferin Katja Kutsch gerechter, wenn man sich an Pippa hält und ihr zuschaut, wie sie kämpft: Den Tod der Mutter vor nur einem Jahr zu verarbeiten. Dem im Laufe des Roman als depressiv sich herausstellenden Ersatzvater, dem sie hilft, von dem Dach herunterzuklettern, von dem er sich stürzen wollte. Und sie kämpft um ihr Gefühl: ist der eitle Galerieassistent der Richtige, oder doch der Freund, dem sie nur Geschwistergefühle entgegenbringen zu können glaubt – und der kein Künstler ist. Es gibt viele kleine Beobachtungen, die ein Studentenleben in Köln illustrieren. Insgesamt wird Köln topografisch abgewandert, so dass man mit dem Buch in der Hand die Stadt erkunden könnte.
Begleitet wird Pippa dabei von einem „Journalisten“, einem Alter Ego von ihr, mit dem sie andauernd streitet. Das ist die originellste Konstruktion des Romans. Diese innere Stimme mischt sich ein und Pippa hat manchmal Mühe sie zu bändigen. Der Begleiter artikuliert mal ihre eigenen Zweifel, mal ermutigt er sie. Mal wird er auf einen Baum geschickt, um sich auszuruhen. Hier gelingt Katja Kutsch der Spagat zwischen Wunsch und Realität – der Journalist kommt von keiner geringeren als der Süddeutschen Zeitung – hier sieht man, dass sie sich selbst auf die Schippe nehmen kann. Was sie über den Kunstbetrieb schreibt, ist sicher ähnlich beabsichtigt, soll in Richtung Parodie gehen. Aber es ist zu schlicht, zu behauptet, zu sehr im Klischee verhaftet. Auch sind ihre Beschreibungen der Szenen, in denen Kunst gemacht wird, flach: da wird der Pinsel oder der Meißel „geschwungen“. Und der symbolhafte Vorgang des „Freilegens“ beim Behauen von Stein viel zu wenig ausgelotet, viele Assoziationen bleiben ungenutzt, wie die Herkunft des von ihr bevorzugten Materials Alabaster oder dessen Verwandtschaft mit dem profanen Gips.
Sehr viele Themen, viel Geplapper, manch gelungener Ansatz, den man sich ausgeführter wünscht. So das Doppelspiel, mit dem der Roman einsetzt, als Pippa sich als ihre eigene Agentin ausgibt, da sind so viele Möglichkeiten verschenkt, das Spiel auszureizen. Es gibt nur eine Szene, in der sie sich nochmals als ihre Agentin ausgibt: sie sieht den Galerieassistenten nahen und verkleidet sich gerade noch rechtzeitig als Agentin, die sich „ganz zufällig“ in der Wohnung der von ihr vertretenen Bildhauerin aufhält. Die Aufdeckung findet etwa in der Mitte des Romans im Bett des Galerieassistenten statt und das war's dann. Dieses Spiel hätte gern den Bogen des Romans ausmachen können, bei dem der Leser mitbangt und zuschauen muss, wie sich die Protagonistin immer mehr verstrickt, immer im Zweifel, ob ihr Spiel nicht doch durchschaut wird.
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