Der Hundebändiger
Im Original heißt „Der schwarze Hund. Eine Denkschrift über die Depression“, die einen Essay und 24 Gedichte von Les Murray umfasst, Killing the black dog. Aber töten lässt sich dieser Hund nicht, wie Murray im Nachwort feststellt. Es ist bestenfalls möglich, den Umgang mit ihm zu lernen, ihn zu bändigen.
„Wenn Sie jetzt auf dem Heimweg einen Autounfall hätten und wir bei der Obduktion ihr Gehirn sezierten, fänden wir dort eine ganz andere chemische Zusammensetzung als in einem normalen, gesunden Hirn“, klärt ein Arzt Murray über die hormonelle Funktionsstörung auf, die einer Depression zu Grunde liegt. Dem, was nicht erst Churchill den schwarzen Hund nannte. Der Ausdruck lässt sich bis zu „mittelalterlichen Überlieferungen von bösen Geistern und Besessenheit“ zurückverfolgen.
Schonungslos beschreibt Les Murray die Symptome seines schwarzen Hundes. „(...) jeden Tag, manchmal mehrfach, ab und zu sogar den ganzen Tag lang, kündigte ein Kupfergeschmack in meinem Mund, den ich „intensive Geschmacklosigkeit“ nannte, eine Periode hilflosen, bodenlosen Elends an, bei der ich in Embryonalstellung auf dem Sofa kauerte, während mir Tränen aus den Augen sickerten, mein Hirn vor einem Wirrwarr von Dingen überkochte, die es sich nicht lohnt, Gedanken oder Bilder zu nennen: er erinnerte eher an in reinem Schmerz marinierten, gehäckselten Seelentang.“ Diese Zustände wurden begleitet von der „Vier-in-der-Früh-Show (¡K), jene Dunkelheit vor Tagesanbruch in der man aufwacht und schlaflos auf den Sonnenaufgang wartet, während Sorgen und Ängste sich mit Begeisterung über einen hermachen (¡K).“ Dabei ist die Depression „aus demselben Holz wie die Verzweiflung. Man fühlt sich zu gering für Hilfe, man ist unterhalb der Reichweite der Gottheit.“
Was ihm jedoch geholfen habe, war außer seiner Familie, Routinen und den Gesprächen mit anderen Betroffenen, die Poesie, schreibt Murray. „Poesie verlangt nicht nur Disziplin, sieist eine Disziplin, und sie sperrt sich gegen Ungleichgewicht und Geschwollenheit, indem sie sich auflöst, sobald diese lautstark Einlaß begehren.“
Vor der Selbstheilung durch Poesie stand jedoch „die Erlaubnis, krank zu sein. Eine notwendige Vorstufe zur Heilung.“
Bevor Murray seine Krankheit in Poesie übersetzen konnte, musste er sich an die Demütigungen, die er in der Schule erlebt hatte, erinnern, an die Schuldgefühle, an die mit Angst überfrachtete Sexualität und erst dann daran, wie Hilfe indirekt, von der Seite, gekommen ist. Durch Menschen, die den jungen Murray mit der Lyrik bekannt machten.
Murray spricht aus, wie destruktiv er Sexualität empfunden hat, eine Sexualität, die von Angst und Scham überfrachtet war. So sehr, dass sein Vater nicht über die Lippen brachte, dass seine Frau aufgrund einer erneuten Fehlgeburt verblutet, so dass der Krankenwagen nicht rechtzeitig eintraf und das Kind, das diese Frau geboren hat, vor den Fehlgeburten, sich schuldig fühlte am Tod der Mutter und lange Zeit mit der Überzeugung lebte, dass Sex tödlich ist.
Später erfand Murray den Begriff des „Erozid“ „und meinte damit die absichtliche Zerstörung des geschlechtlichen Selbstbildes eines Menschen“, die, wie er vermutet, mehr Opfer hervorbrachte als alles andere, ohne dass es jemals zu Protesten oder Wiedergutmachungen käme. „Wir schämen uns zu sehr, und wir spüren dunkel, daß die Menschen, die bei Fortpflanzung oder Vergnügen zurückgewiesen werden, Sündenböcke sind für den Schmerz, den die Sexualität auch für attraktive Menschen mit sich bringt. Ich verstand nach und nach, daß der Grundton des Totalitären Zeitalters, das womöglich gerade zu Ende geht, einer klinischen Depression gleicht. Sie ist der heimliche, vereinnahmende Treibstoff vieler Guter Zwecke, und sie wird nicht enthüllt als das, was sie ist, weil sie auf der einen wie der anderen Seite des politischen Spektrums gleich gewöhnlich, gleich gut auszubeuten ist.“ (
Auch nachdem Les Murray Familie und Berufung gefunden hatte, gingen die Demütigungen weiter. In seiner Heimat Australien wurde er als „Vorzeigefaschist“ verschmäht, während der in Übersee Erfolge feierte. 1996 erleidet Murray einen lebensgefährlichen Leberabszeß. „Als ich erwachte, war mein Staatsbegräbnis in vollem Gang.“ Letztendlich die „Bestätigung, die [er] damals brauchte.“
Dennoch, trotz all der Versöhnungen, lebt der Hund weiter, nicht getötet, lediglich gebändigt durch einen langen Prozess, in dem Murray gelernt hat, mit ihm umzugehen. Die Möglichkeiten wahrzunehmen, sich dennoch auszusöhnen, mit dem Vater, der Mutter, und sogar mit sich selbst.
Les Murray hat eine Religion, die ihn rettet.
„Religionen sind Gedichte. Sie bringen
unseren Tages- und Traumgeist in Einklang,
unsere Gefühle, Instinkte, den Atem und die uns angeborene
Gestik
in das einzig vollkommene Denken: Dichtung.
Nichts ist gesagt, bis es in Worten hinausgeträumt ist
und nichts ist wahr, was nur in Worten wahr ist.(¡K)
Man kann eine Lüge nicht beten, hat Huckleberry Finn gesagt;
man kann sie auch nicht dichten. Es ist derselbe Spiegel:
beweglich, aufblitzend nennen wir es Dichtung.“
heißt es in „Dichtung und Religion“.
Die Art, wie er diese Religion ausübt, hat die Kraft auch andere zu retten. Durch Gedichte, die mit schmerzlicher Klarheit von all dem sprechen, wovor wir lieber Ohren und Augen verschließen. Die, die immer abseits stehen, aber auch diejenigen, die diese ins Abseits drängen. Wir alle sollten diese Gedichte lesen, zu denen Murray uns einlädt. Im Gedicht Kopfspinne heißt es:
„Ich habe einen neuen Körper geschrieben, der nur die Berührung
eines Lesers braucht.
Wenn die Liebe in uns verflucht ist, dann existieren wir, wenn
Gott existiert, nicht.“
Fixpoetry 2012
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