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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Das Rurale wird zum Zufluchtsort

Lyrik - jede Woche eine Kritik

Auf kaum einen Gegenwartsdichter dürfte die abgegriffene Floskel mehr zu treffen als auf Les Murray: Der australische Schriftsteller ist ebenso berühmt wie berüchtigt. Sein umfassendes poetisches Werk, das auch zwei Versepen umfasst, wird dabei fast von seiner Person in den Hintergrund gedrängt. Antiintellektualismus, Katholizismus, eine tiefe Abneigung gegen modernistischen Elitarismus, gar das urbane Leben – das sind nur ein paar Schlagworte, die adeutlich machen sollten, dass es sich bei Murray um einen Menschen handelt, der polarisiert. Auch in einer neuen, in der Edition Rugerup erschienenen Sammlung, brodelt es noch gehörig unter der Oberfläche.  Unlängst hatte J. M. Coetzee in einem scharfsinnigen Essay noch Zweifel daran geäußert, ob für Murray nicht die Zeit gekommen sei, seinen alten Groll ziehen zu lassen. Wie viel Wut jedoch lässt sich noch in „Größer im Liegen“ ausmachen?

Auf den ersten Blick wenig. Die Gedichte befassen sich, vor allem zum Ende der Auswahl hin, vorrangig mit dem Landleben, zeichnen plastische Bilder aus dem australischen bush. Kleine Szenerien, notiert von jemandem, der gelernt hat hinzusehen. Die Texte transformieren ihre Objekte nur zaghaft in einfach zu dechiffrierende Metaphern, leisten sich selten Ausflüge ins Rätselhafte. Auf Hermetik setzt Murray nicht, viel eher jedoch auf Utopik. „[T]he cat laps up clay water / outside. Drinking the earth.“ (“[D]er Kater leckt draußen /Lehmwasser auf. Trinkt die Erde.”) Das Rurale wird zum Zufluchtsort vor dem bedrohlichen Urbanen, und damit auch vor allen Übeln der modernen Zeiten, dem Kapitalismus 2.0 und der medialen Verrohung einer ganzen Gesellschaft. Mit zornigem Pathos werden „neo-feudal / top firms“ („neofeudale Spitzenfirmen“) abgewatscht, wird gefragt: „When the media are king, will only fear be civil?“ (“Wenn die Medien König sind, bleibt dann für Bürger nur noch die Angst?”).

So eindeutig Murrays poetische Stellungnahme scheint, sie bleibt doch infiziert von einem Grundwiderspruch. Es ist die Lyrik eines Intellektuellen, der keiner sein möchte, der sich um jeden Preis abgrenzen möchte. Obwohl seine Texte kanonisch geworden sind, merkt man ihnen noch den Widerwillen an, wissenschaftlich zerpflückt zu werden. Anstatt diese Spannung bewusst zu inszenieren und daraus vielleicht einen Gewinn zu ziehen, verlegen sich die Gedichte jedoch auf eine unreflektierte Anklage, geifern in Nebenbemerkungen gegen dieses und jenes und ziehen sich selbst den Boden unter den Füßen weg. „A fact is a small compact faith“ („Eine Tatsache ist ein kleiner, kompakter Glaube“) – ein banaler Gedanke, der ein provokativer sein könnte. Keiner jedoch, der wirklich durchleuchtet wird, der gegen etwas abgewogen würde. Der kritische Impuls, mit denen die Lyrik Murrays durchtränkt ist, er ist glaubhaft und könnte, so reaktionär er motiviert ist, vielleicht ernst genommen werden, würde er durchdacht präsentiert werden. So aber haftet vielen Texten etwas phrasenhaftes an, ein prosaischer Zynismus, der höchstens dann aufgehen dürfte, wenn er auf eine Leserschaft trifft, die Murrays Gedanken teilt: „Spirituality? / she snorted. And poetry? / They’re like yellow and gold.“ („Spiritualität? / schnaubte sie. Und Poesie? / Die sind wie Gelb und Gold.“) – das heftige Aufbegehren eines Dichters, der Spirituelles nun mal nicht von Dichtung trennen möchte.

Ein geringer Trost bleibt da die sprachliche Gestaltung. Murray ist ein begnadeter Wortkünstler, der selbst scheinbar belanglose Verse poetisch aufladen kann: „On a summer morning after the war / you’re walking with the Belle of the Ball“ – ein Beispiel dafür, wie exquisit der Australier rhythmisch zu dichten versteht, wie meisterhaft er simplen, umgangssprachlichen Wendungen ästhetischen Wert entlocken kann. In der Übersetzung Margitt Lehberts verliert sich diese: „Während du an einem Sommermorgen / nach dem Krieg mit der Ballkönigin spazierst“ trottet klobig hinter der Leichtfüßigkeit des Murrayschen Tons hinterher. Bei ihr werden aus „dryland eyes“ „Trockengebiet-Augen“, aus „seat sweat off sunned vinyl“ ein „besonnter Vinylsitzschweiß“. Sicherlich mag es schwierig sein, dem Original, diesem genuinen Sprachfluss, gerecht zu werden. Eine sture 1-zu-1-Übersetzung, wie diese Lehbert vornimmt kann der Sache jedoch unmöglich gerecht werden.

Allerdings demaskiert die holprige Übertragung Murrays Texte: Zieht man die sprachliche Meisterleistung ab, bleiben Banalitäten, bleibt ein lahmer Konservatismus, der sich mühelos aus den Zeilen des Australiers herauslesen lässt. Jedenfalls überwiegend : Seine poetischen Stärken zeigt Murray dort, wo seine Texte den Blick auf Marginalien des Lebens wenden, ruhig und bescheiden wie im Gedicht „High-speed Bird“ frei von jeder Aggression aus dem Kleinsten heraus auf größere Zusammenhänge meditieren. Das ist kaum als Kompliment an diese Lyrik zu verstehen. Ebenso wenig wie Coetzees vorsichtig-implizite Forderung nach weniger Agitation: Damit würden die Gedichte des Australiers vollends in der Belanglosigkeit abdriften. Ein Dilemma, für das es kaum eine Lösung zu geben scheint.

Les Murray · Margitt Lehbert (Hg.)
Größer im Liegen
Übersetzung:
Margitt Lehbert
Edition Rugerup
2011 · 160 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3-942955041

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