Anzeige
Heimat verhandeln V&R böhlau
x
Heimat verhandeln V&R böhlau
Kritik

Zwischen Cinecittà und Kafka

Ein poetisch komplexes Werk
Hamburg

Es braucht eine ganze Weile, bis der Lesende begreift, dass die Figuren dieses Buches Erfindungen sind: nichts von Schreibschule, wie sie die Fiktionsvirtuosen beherrschen; alles wirkt in seiner Unmittelbarkeit zunächst wie das pure Leben.

Eine israelische Schriftstellerin (Dorons Ich-Erzählerin) und ein arabisch-palästinensischer Journalist namens Nadim Abu Heni lernen sich auf einem Friedenskongress in Rom kennen. Auf gewissermaßen neutralem Boden also, wenn dieser auch bevölkert ist von den frommen Wünschen der Europäer, die den israelisch-palästinensischen Konflikt nicht verstehen und ihn als rückständig, kapitalistisch, unchristlich verurteilen.

Just dieser Krieg in beider Heimat exponiert die Israelin wie ihren palästinensischen Gegenpart als etwas von diesem neutralen Boden Verschiedenes. So wird das eigentlich Trennende zwischen ihnen zum Verbindenden.

Sie kommen einander näher, schließen eine Art Freundschaft, und ein gemeinsames Projekt wird beschlossen: Sie will ein Buch über ihn schreiben, er einen Film über sie drehen. Cinecittà – der Begriff für das italienische Hollywood, das ausgerechnet von den Faschisten begründet wurde – wird das gemeinsame Codewort dafür, und natürlich ist es ambivalent.

Folglich wird aus diesem Projekt zunächst – nichts! Denn jeder der beiden Protagonisten befindet sich in seinem eigenen Film. Befeuert durch die Realität des israelisch-palästinensischen Konflikts werden sie immer wieder an den jeweils eigenen Erinnerungskanon geführt: „So ist es, wenn man mit Menschen aus dem Nahen Osten bei einem guten Essen sitzt, dachte ich. Es dauert keine fünf Minuten, da hörst du das Echo der Worte Schoah, Krieg, Besatzung, Intifada.“

Die jüdische paranoide Verfolgungsangst der Ich-Erzählerin – bei ihr arbeitet Doron mit Einschüben aus Rückblenden, Erinnerungen, Tagträumen – markiert ihre Grenze des Zugangs zum Palästinenser. So verbindet sich etwa das durch Attentate genährte Misstrauen in die Palästinenser mit transgenerativ verstetigten Ängsten aus der Vergangenheit: Wie die Mutter der Erzählerin glaubte, den Holocaust durch Kenntnis der Sprache der Deutschen überstanden zu haben, so glaubt auch die Erzählerin selbst, ihre Kinder schützen zu können, indem sie diese zwingt, Arabisch – die Sprache des Feindes – verstehen zu lernen.

Umgekehrt ist auch des Journalisten Weg zu ihr verstellt. Als er sie seinem Vater vorstellt, soll sie keinesfalls zugeben, dass sie Israelin sei, sondern sich als Italienerin ausgeben.

Doron arbeitet mit noch weitaus stärkeren verdichteten Konstrukten: Nadims Frau darf keine Landesgrenze passieren und ist praktisch an ihren Wohnort gefesselt – seit sechzehn Jahren muss Jahr für Jahr ein Touristenvisum beantragt werden, damit sie bei ihrem Ehemann bleiben darf.

Angesichts solch massiver Unterdrückung der Palästinenser, denen seitens der israelischen Besatzung ein normaler Alltag versagt wird, sind die Emotionen zu heftig, als dass offene Worte möglich wären. Überall in dieser Freundschaftsbeziehung lauern Abgründe gegenseitigen Unverständnisses und gegenseitiger Verletzungen.

Keine Cinecittà-Romanze also. Doch die Protagonistin beschreibt und dokumentiert diesen langwierigen und komplexen Prozess der Auseinandersetzung als eine Beziehung, die trotz anhaltender Differenzen immer weiter fortgesetzt wird, und zwar stellenweise deutlich jenseits dessen, was reale Bindungen zu leisten im Stande sind. Somit ist das Fortschreiben dieser Relation bereits Fiktion, das Buch die literarische Phantasie einer Freundschaft zwischen einem Palästinenser und einer Israelin. Der Roman ist lokalisiert zwischen der äußerlich als kafkaesk betrachteten Realität und der Hollywood-Hoffnung, einander doch zu verstehen und „übereinander“ schreiben oder einen Film drehen zu können.

Doron ist hier wohl ihr bisher poetologisch komplexestes Werk gelungen, nahezu eine Metapher des israelisch-palästinensischen Konflikts, den sie nuancenreich ausdifferenziert, mit der ihr typischen Lebensfülle. Bezeichnenderweise ist das Buch bisher noch nicht im hebräischen Original publiziert worden; die deutsche Ausgabe in der Übersetzung von Mirjam Pressler ist die weltweit erste.

Lizzie Doron
Who the Fuck Is Kafka
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
dtv
2015 · 256 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-3-423-26047-3

Fixpoetry 2015
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge