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Kritik

Ein irres Spiel mit Identität

Markus Orths neuer Roman „Die Tarnkappe“ ist ein irres Spiel mit der Identität, ein wahnsinniger, manisch-depressiver Roman, der irgendwo zwischen Stephen King und Bret Easton Ellis pendelt.  
Simon Bloch ist Mitte vierzig und komponiert Filmmusik. Zumindest ist das seine Leidenschaft, aber das Musikstudium musste er wegen eines gestauchten Fingers abbrechen, stattdessen frönt er der der lebensfeindlich-verlogenen Widersinnigkeit der Angestelltenmentalität in einem Outsourcing-Unternehmen: Er beantwortet Beschwerdebriefe. Und damit hat er viel zu tun, denn wenn die Deutschen eines gut können, dann ist es: unzufrieden sein. Seit dem Unfalltod seiner Frau hat Simon es sich in diesem ereignislosen Leben einigermaßen gemütlich gemacht.

Bis er eines Tages Besuch von einem alten Bekannten erhält. Sein Kumpan aus Schulzeiten, Gregor Strack, steht plötzlich in Simons Wohnung, er wirkt seltsam, spricht davon, dass er verfolgt wird, Simon müsse unbedingt seinen Koffer hüten, er müsse noch mal los, in zwei Stunden komme er wieder. Natürlich kommt er nicht wieder. Und neben dem Koffer hinterlässt er Simon eine stinkende alte Kappe. Obwohl Simon nicht will, zwingt ihn irgendetwas dazu, das vergammelte Ding aufzusetzen – und prompt verschwindet er, wird unsichtbar. Eine Tarnkappe.

Zugegeben, das Motiv ist nicht neu, es ist sogar ziemlich ausgelutscht. Aber was Markus Orths ihm abgewinnt, ist grandios. Natürlich die Vorstellung, unsichtbar zu sein, reizvoll. Was man da nicht alles anstellen könnte. Und natürlich probiert Simon seine neuen Möglichkeiten durch. Er besucht seine Nachbarn und wird Zeuge ihres einsamen und trostlosen Daseins. Er erschreckt Leute im Park, schließlich raubt er eine Bank aus. Er bleibt der Arbeit fern, er kündigt, erlebt eine Euphorie, eine Hochphase, die er so nicht mehr erwartet hätte. Und alles nur wegen dieser Kappe. Aber zunehmend spürt Simon, wie er süchtig wird, sein eigenes Handeln nicht mehr im Griff hat. Die Kappe beherrscht ihn. Mordlust steigt in ihm auf, je öfter er sie trägt.

Er muss erfahren, woher die Kappe kommt, was es damit auf sich hat, also versucht er, Gregor Strack ausfindig zu machen. Aber Gregor zu treffen, das bedeutet auch, dass Simon sich mit den bösen Geistern seiner Vergangenheit auseinandersetzen muss.

„Die Tarnkappe“ ist ein düsterer, ein manisch-depressiver Roman, durchzogen von einem gnadenlosen Nihilismus und einer radikal destruktiven Weltsicht, die nur selten von einem Augenzwinkern aufgebrochen wird; ein rasanter und atemloser Roman, der sich irgendwo zwischen Stephen Kings morbidem Horror und Bret Easton Ellis’ brutalem Fatalismus bewegt, dabei aber enorm unterhaltsam ist. Ein Buch, das man zum richtigen Zeitpunkt aufschlagen sollte, denn man liest es durch, am Stück, ohne Pause, man kann gar nicht anders.   

Markus Orths
Die Tarnkappe
Schöffling & Co.
2011 · 244 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-895614712

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