Ein Fest ohne Ende
Die sprachliche Kunstfertigkeit Martin Mosebachs ist, soweit ich sehe, nicht strittig. Wie perlende Arpeggien reiht sich Stilmittel an Stilmittel, Alliterationen verführen den Leser in eine nahezu lyrische Tiefen-Atmosphäre, die oft besonders die verwöhnten Leser hinreißt. Die sprachliche Akrobatik ist es, die so manchen weniger literarisch als bildungsbürgerlich angereicherten Exkurs erträglicher macht, als es der dargebotene Inhalt hergibt. Es sind eher lexikalische Miniaturen, die Mosebach kunstvoll und elegant in die Texte mischt, weniger die substantiellen, tiefgreifenden Erörterungen.
Wo Mosebach immer wieder Kritik erfährt, ist das sich verlieren in bloßer Kunstfertigkeit, im inhaltsarmen Beschreiben. Abstrakter formuliert: Lässt sich aus saturierter Bürgerlichkeit existenzielle Literatur gewinnen? Mosebachs Erzähler lacht im Roman herzlich über eine Fragestellung, die er selbst notiert hatte:
„Können erfolgreiche Künstler eigentlich noch authentisch wütend sein? Ist die Wut auf die Zustände, die Politik, die Ungerechtigkeit, die Heuchelei nicht im Kern immer die Wut über den fehlenden Erfolg?“ (S. 40)
Wenn man Billers Kritik an Stanisic’s Handlungsverlagerung in die biedere Uckermark Glauben schenkt, ist Mosebach auf dem richtigen Weg, die verbindende Figur in dem Roman ist Ivana, eine bosnisch/kroatische Putzfrau bäuerlicher Herkunft, sie bildet die Klammer um das Frankfurter Personal seines Romans, eine Immigrantin, Unterschicht, die neben dem Erzähler mit allen Personen in dienstbarem Kontakt steht und ihn sogar in ihre bosnische Heimat und Familie aufnimmt.
Vielleicht ist das die Kernfrage an den Roman, welche Rolle diese knappe Episode im letzten Drittel des Buches spielt, das Beschreiben der kroatisch-bosnischen Mischexistenz in einer ländlich geprägten Umfeld, eine in ihren Traditionen, ihrer Abwehr alles Fremden und der Pflege ihrer Feindschaften und nicht zuletzt in Dummheit erstarrte Welt, für die Mosebach das Sinnbild der Großmutter bietet, die stoisch, wie festgewachsen auf einem Stuhl sitzt.
Der aufkommende Bosnien-Krieg ist der Hintergrund für das Blutbuchenfest, die dunklere Folie, vor dem das einer Laune entsprungene Fest der Frankfurter wohlhabenden Society beim Bankvorstand Glück gesetzt wird, die Durchwebung schien Mosebach so zwingend, dass er die Ausstattung seines Buches mit zu der Zeit nicht vorhandenen Handys, Laptop und dergleichen nicht zurücknehmen wollte, Ivana wird während des ausufernden Festes mobil über die eskalierende Situation in ihrem Heimatdorf informiert.
Ähnlich lustlos ist der Erzähler in ein Alter transferiert, die auf mich nicht authentisch wirkte. Angeblich sei es ein Mit-Dreißiger promovierter Kunsthistoriker, der im Frankfurter Milieu als geduldeter Zuhörer die deutlich älteren Zechgenossen belauscht und sich seine Gedanken dazu macht, die für mich allesamt nach einem bestenfalls früh gealterten Schädel klangen. Er soll eine Ausstellung des bosnischen Künstlers Mestrovic kuratieren, die der große Organisator und Strippenzieher Wereschnikow im Rahmen eines Kongresses realisieren will. Mestrovic entpuppt sich als entfernter Verwandter von Ivana, einer der vielen Deus-ex-Machina Kunstgriffe, die den Erzähler in die Geschichte einbinden.
Eine andere ist die visionsartig geschilderte U-Bahn Begegnung mit der Kindfrau Winnie, die für den Erzähler Projektionsfläche aller idealisiert-übersteigerten Frauenphantasien wird, die man bei älteren Herren befürchtet – und natürlich entwickelt sich zu ihr eine Liebesgeschichte, die natürlich unglücklich endet und natürlich ist sie zufällig die Assistentin von Frau Markies, die das Fest letztlich organisiert und sich am Ende mit dem Kopf hinter der Bosnienkonferenz einlässt.
„Frau Markies vermittelte ihren Kunden, daß sie einer Elite angehöre, daran gewöhnt, das Außerordentliche zu leisten. Bei ihrem Parfüm dachte ich an Marzipan; und etwas marzipanhaft Schweres, Fest-Nachgiebiges hatte auch ihr Fleisch, soweit man sah, und man sah zwischen den verschiedenen Seidenschleiern gar nicht so wenig.“
Denken 35-jährige so?
Weite Teile des Buches hindurch wird man an Ivanas Putzgeräten entlang durch die Sphären der Frankfurter B-Prominenz geführt, begegnet einem Immobilienhai namens Breegens, einem Ex-Werbemenschen namens Rotzoff und irgendwann entsteht drängend die Frage, warum? Warum werden diese Figuren bei gestörtem Liebesabenteuer in Schränken versteckt, im Kampf mit ihren stark alternden und ‚schwer‘ werdenden Körper geschildert – soll es entlarvend wirken? Kritisch? Gar wütend?
So recht wollen sich die vielen Episoden nicht runden, man wartet, dass sie ein Spiel miteinander aufnehmen, wechselwirken, sich ergänzen, aber der seltsam blasse, zurückgenommene und doch allwissende Erzähler, das Adabei-Gehabe der erzählenden Figur mit dem zurückgenommenen Gestus des Entlarvens, der halb faszinierte, halb verachtende Blick auf Frankfurter Boheme, sogar der Jogging-Anzug süd-osteuropäischer Protagonisten bleiben sich immer gleich. Die Personen offenbaren im Verlauf nur etwas mehr von der Leerheit, mit der sie eingeführt und ausführlich charakterisiert wurden.
Der Zufall bewirkt ein paar Koinzidenten, aber kaum Handeln, dazu der Alleskleber der verschoben – verklärten Liebe als Ersatz für Emotion, ein unscharfer Nimbus von Aufklärung, wobei die Frankfurter Wirklichkeit innerhalb des literarischen Settings nicht einmal karikiert wird, all das lässt – zunehmend ungeduldig – darauf warten, dass unter den schönklingenden Worten endlich etwas passiert, etwas neues spürbar wird.
Die Reise des Erzählers zu Ivana nach Bosnien, auf den Spuren des Künstlers, auch sie ist getränkt mit einem situativen Irrealis – der Erzähler bleibt Beobachter, skizziert ein Volk von archaischer Primitivität, verstrickt in einen dumpfen Hass auf das je andere, das sich schon beim Nachbarn in einem Maß findet, das am Ende zu blindwütiger Schießerei reicht.
Schon im lokalen Umfeld von Ivana bleibt die Konstellation diffus, die Ursache der Spannungen soll wohl auch darauf reduziert sein, dass der eine Moslem und der andere nicht. Aber dieser Blick umfasst nicht den lokalen Konflikt, sondern das ganze Land, das stellt die archaische Dummheit, Gewaltbereitschaft und den Haß auf alles Fremde als zureichende Kriegsursache dar. Das ist schwer erträglich und an Primitivheit kaum zu unterbieten. Fremdenfeindlichkeit – die Religiöse Seite ist nur eine Seitenlinie davon - als Kriegsmotiv, da schlagen sich also die Hutu und die Tutsi tot, weil der eine die Narbe über der Wange hat und der andere sie auf der Stirn trägt? So einfach läßt sich ein Krieg erklären, immer dasselbe Lied, Kain schlägt den Abel tot, weil er vergessen hat, was es heißt, Brüder zu sein. Sancta Simplicitas! Wenn dieses Buch ein Geniestreich ist, dann im eleganten Verpacken schlichtester Ressentiments.
Nach der Bosnien Reise im Kapitel ‚Kain’s Welt‘ geht es mit dem Roman etwas bergab. Man mag Mosebach zugutehalten, dass vermutlich die Zeit fehlte, dass der Verlag drängte, aber die bis zur Bosnien-Epoche gut austarierten Sprechebenen gleiten mehr und mehr in eine nüchterne Reihung ab und das Ende des Romans – etwa ab Seite 400 - ist schlicht ein Desaster. Doktor Glück, der Gastgeber des Blutbuchenfestes empfängt im eigenen Büro die Agentur-Chefin Marquis und das uktoriale Erzählen wächst ins Monströse:
„Die sachliche Kühle, mit der er sie empfangen hatte, in seinem großen, ganz von Glaswänden umgebenen Büro –an einer einzigen edelholzvertäfelten Wand explodierte still ein frühes Kandinsky-Aquarell, das er noch nie betrachtet hatte“
Schlimmer noch, am Ende werden nur eilends die Fädchen vernäht und wie in einer billigen Boulevard-Komödie nach der Reise durch die Romanwelt neugemischt die paarweisen Abgänge der Protagonisten durchexerziert, Dr. Glück und Maruschka, Wereschnikow mit der Markies, sogar der Protagonist ergattert eine bis dahin völlig unbedeutende Nebenfigur.
„Wie lange hatte ich nicht mehr getanzt? Jetzt tanzte ich wie ein Brummkreisel, überließ mich dem exhibitionistischen Vergnügen, mir groteske oder laszive Figuren einfallen zu lassen, die Tanzerei zu ironisieren und sich ihr zugleich hemmungslos hinzugeben. Die Mädchen blieben nicht lange bei mir. (…) Es war als spürten sie alle, (..) daß ich eine ganz bestimmte Frau im Auge hatte, und so war es auch. (…) Sie trug unter ihrer engen bemalten Bluse einen sehr kurzen Rock, aus türkisem Schlangenleder, und ihr Tanz hatte gleichfalls etwas von den Windungen einer sich häutenden Schlange; das Mädchen ließ etwas hinter sich, obwohl es den Rock doch anbehielt.“
Wir sind auf Seite 440 eines 445-seitigen Romans. Statt des dionysischen Exzesses das finale Versinken des Erzählers im Sumpf der Beliebigkeit.
Auch das lässt sich noch steigern, die etwas tumbe Ivana, sein kroatischer Willens-Eber, bekommt die letzte Aufmerksamkeit des Autors, auch ihr wird der durchgängig als Volltrottel – mit geradezu pornographischer Lust an der Ausmahlung seiner Physiognomie und Schädelform - gezeichnete Ehemann zum Abschluss neu versöhnt an die Seite gestellt, er bringt ihr am Morgen nach dem Fest, währenddessen sie vom Kriegsbeginn und der Flucht ihrer Eltern ins Bild gesetzt wurde, die Dienstkleidung, „in einer Tüte hatte er ihren schwarzen Jogginganzug dabei. (…) Dann begann sie aufzuräumen.“
Bei mir stellte sich hemmungslos ironisierend als Resümee des Romans das gemeinsam von Besetzung und Zuschauern gesungene fröhliche Lied ‚Putze, bleib bei deinen Lappen’ ein, bei Herrn Mosebach ist es:
„(…) gedämpfte Musik, mexikanisches Zirpen, Steelband-Klingeln, Brass-Akkorde, volltönend, üppig, als fernes, schmetterlingshaft flatterndes Echo des Festes.“
Ich war also ziemlich nah dran.
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