Auf der Höhe der Zeit
Prag ist im ersten Drittel des Zwanzigsten Jahrhunderts eine Quelle der Literatur gewesen, oder von Literaturen, die die Schreibweisen des Jahrhunderts prägten, deren Traditionslinien sich aber zuweilen auch verloren. Unter der Herrschaft der k.u.k. Monarchie lebten hier die Sprachen Deutsch und Tschechisch nicht immer friedlich, nicht immer miteinander, so aber doch nebeneinander her, und in jeder der Sprachen entstanden literarische Werke von großem Einfluss. Darüber hinaus gab es noch eine große jüdische Gemeinde, die sich in beiden Sprachen und auch Jiddisch artikulierte.
Max Brod war ein Tausendsassa und ein Mittler zwischen den Prager Literaturszenen. Er arbeitete an verschiedensten Baustellen zugleich, unterstützte seinen tschechischen Kollegen Jaroslav Hašek, arbeitete an einer Bühnenfassung des Schwejk, bewahrte die Manuskripte seines Freundes Franz Kafka gegen dessen ausdrücklichen Wunsch vor der Vernichtung und gab sie später heraus. Er beeinflusste damit nicht nur die deutschsprachige Literaturgeschichte. Brod protegierte Franz Werfel und übersetze Libretti des Komponisten Leoš Janáček ins Deutsche. Mit letzterem sorgte er für die Verbreitung von Janáčeks großartiger Musik. Opern wie Aus einem Totenhaus oder Das schlaue Füchslein beeinflussten nicht unwesentlich das Opernschaffen des 20. Jahrhunderts.
Und so kann es passieren wie es mir passierte, dass einem der Name Brod als Protegé, Übersetzer, Herausgeber und Kafkavertrauter eher begegnet denn als Autor eines literarischen Werkes. Dieses jedenfalls war mir bislang entgangen, obwohl ich von seiner Existenz wusste und obwohl es im Moment seiner Entstehung nicht wenig erfolgreich war. Unbedeutend ist es auch heute nicht.
Im Göttinger Wallstein Verlag erscheint derzeit eine Reihe mit ausgewählten Werken des Autors, der 1968 in Tel Aviv starb, herausgegeben von Hans-Gerd Koch und Hans Dieter Zimmermann.
Ich begann also mit der Brodlektüre im Band Arnold Beer. Das Schicksal eines Juden, der außer dem titelgebenden Werk noch die beiden Kurzromane Ein Tschechisches Dienstmädchen und Weiberwirtschaft enthält. Begleitet werden die Texte von einem Vorwort des Literaturwissenschaftlers Peter Demetz, das die Werke Brods literaturgeschichtlich einordnet und ihnen einen Platz im geistigen Werdegang Brods zuschreibt. Beschlossen wird der Band von einem Nachwort Barbora Srámkóvas, die sich an anderer Stelle bereits mit dem Einfluss Brods auf die tschechische Literatur befasst hat.
Alle drei Romane, vor allem aber Weiberwirtschaft und Arnold Beer erzeugten in mir geradezu euphorisches Lesevergnügen, eine Begeisterung, der ich erst einmal auf die Schliche kommen muss. Vielleicht verbirgt sich ja in Sprache und Sujet etwas lange Vermisstes, Verschwundenes, das durch Herausgabe der Bücher wieder zu seinem Recht gelangt. (Ähnlich ging es mir übrigens, als ich mir vor einigen Jahren etwas Prosa von Johann Urzidil besorgte, einem anderen mehr oder weniger vergessenen jüdischen Prager Autor.)
Brods Sprache ist, wie man heute vielleicht sagen würde, auf der Höhe seiner Zeit. Recht deutlich meine ich Anklänge an den frühen Thomas Mann zu vernehmen, ohne aber dass sie epigonal wirkte, zumal die Handlung sich weit weg von Lübeck abspielt.
Wir bekommen bei Brod die untergegangene Welt eines Prag vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts geschildert. Aber gleichzeitig erfahren wir dieses Prag in einer unglaublich pulsierenden Modernität.
In Arnold Beer wird der Leser Zeuge einer pubertären und postpubertären Selbstfindung. Berührt haben mich besonders die Schilderungen eines begeisterungsfähigen Heranwachsenden, der sich kopfüber in Lektüren, in Sammelleidenschaften und ins Fussballspiel stürzt. Nichts führt zum Abschluss, alles bleibt vorläufig und gewissermaßen roh. Alles, was er ausübt, ergreift ihn zwar ganz, endet aber in einem gewissen jugendlichen Leichtsinn und ohne Abschluss. Von besonderer Bedeutung ist aber dann ein Ereignis, das auf eine Flugschau zurückzuführen ist, deren erzählerischer Ausgangspunkt auf ein Ereignis zurückgeht, das Brod und Kafka gemeinsam besuchten, und zwar dieFlugschau von Brescia, und das in beider Werk eine besondere Ausformung erhält. Brods Protagonist Arnold Beer, den wir durch die Wirren des Heranwachsens begleitet haben und der versucht einen Platz in der Welt zu finden, organisiert eine ebensolche Flugschau vor den Toren zu Prag. Im Zuge dieser Tätigkeit, der Erfolge und Misserfolge beginnt er eine Selbstreflexion und entdeckt sein Judentum auf einer Reise mit seiner Mutter, auf der sie die Großmutter, eine gewitzte und lebenstüchtige Frau besuchen. Momentane Reflexe auf technische Neuerungen werden mit einer verschütteten Tradition konfrontiert.
Interessant ist zumal die Zeichnung der Frauengestalten in den Brodschen Texten. In Weiberwirtschaft wird die Geschichte von vier Freundinnen erzählt, die gemeinsam auf dem Hradschin einen Hutsalon eröffnen und Brod konzentriert sich ganz auf die Frauengestalten, die Ehemänner und Liebschaften werden konsequent im Hintergrund gehalten. Im Nachwort schreibt Srámkóva:
Man denkt dabei an eine heute erfolgreiche Fernsehserie über vier Freundinnen in New York, nur dass in Weiberwirtschaft von Sex keine Rede ist.
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