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Kritik

Schlangeneier aus Smolensk

Bulgakows Science-Fiction-Roman "Die verfluchten Eier" in neuer Übersetzung
Hamburg

Zoologie Professor Pfirsichow, Spezialist für Amphibien und Reptilien, hat eine ungeheuerliche Entdeckung gemacht: einen himbeerroten Strahl, unter dessen Einwirkung Frösche so groß wie Katzen heranwachsen und alles bestrahlte sich wie wild vermehrt, ja vor Vitalität und Böswilligkeit geradezu nur strotzt. In den Terrarien und Fluren des Moskauer Instituts für Tierkunde beginnen sich merkwürdige Kreaturen und sensationslüsterne Reporter zu tummeln, die den armen Misanthropen Pfirsichow mit Fragen zu seiner Entdeckung des Strahl des Lebens bedrängen. Da kann ihm selbst sein unterwürfiger Assistent Pankrat nicht mehr helfen und die Kunde vom Wunderstrahl verbreitet sich schneller, als sich Pfirsichows Schöpfungen vermehren.

Derweil bricht in einer abgelegenen Region Russlands eine rätselhafte Hühnerseuche aus, die binnen kürzester Zeit alle Hühner im ganzen Land dahinrafft. Und schwuppdiwupp werden dem Professor, ehe er noch das Mysterium seines elektrisch erzeugten Strahls ergründen und erproben kann, von dem übereifrigen Funktionär Vluch die Kameras weggenommen und zum Zwecke der Hühnereibestrahlung nach Smolensk verfrachtet. Was dort aber aus den aus Deutschland importierten Eiern schlüpft, ist eine, in jedem Sinne des Wortes, böse Überraschung. Den Bewohnern Moskaus droht eine Invasion durch Riesenreptilien.

Der 1925 erschienene und im Jahre 1928 angesiedelte Roman, – der einzige, der zu Bulgakows Lebzeiten veröffentlich wurde –, ist eine futuristische Wissenschafts-, Nachrichten-, Politik- und Religionssatire in einem. Das postrevolutionäre Russland der 20er Jahre wird in eine präapokalyptische Landschaft verwandelt. Wie auch in seinem Meisterwerk Der Meister und Margarita arbeitet Bulgakow, der Medizin studiert und sich u.a. als Redakteur und Regieassistent verdingt hatte, auch hier mit religiösen Allusionen; spannt er ein metaphysisches Bezugsgeflecht als Baldachin über seine Romanhandlung. Sinnbildlich wird dies z.B. in dem Frosch, der im Labor halb erdrosselt, halb vor Angst und Schmerzen erstarrt, auf einem Stativ aus Kork gekreuzigt wird. Nicht nur die Passion Christi wird hier travestiert, auch die gekreuzigte Frosch-Skulptur Martin Kippenbergs, die 2008 für einen Kunstskandal sorgte, scheint hier vorweggenommen. Das biblische „vergib Ihnen Herr, denn Sie wissen nicht was sie tun“, erfährt eine großartige Persiflage in den letzten Worten dieses Frosches: Der Frosch wackelte schwer mit dem Kopf, und in seinen erlöschenden Augen waren deutlich die Worte zu lesen: „Ihr Schweinehunde, ihr…“.

Am signifikantesten ist natürlich das Symbol der Eier, die als Ostereier ursprünglich für die Erneuerung des Lebens stehend, zu todbringenden Eiern umgedeutet werden. Das gesamte Spektakel um Tod und Auferstehung Christi wird zunächst – bizarr, grotesk und bissig – verkehrt in das diabolische Treiben hirnloser Funktionäre und skrupelloser Wissenschaftler; erfährt eine satirische Umkehr ins Negativ.

Ist es Professor Woland, in dem sich in Der Meister und Margarita der Teufel verkörpert, so ist es in Den verfluchten Eiern der Funktionär mit dem sprechenden Namen Vluch, der die Brut des Bösen aus den Eiern schlüpfen lässt. Schon die Beschreibung seiner altmodischen Kleidung legt nahe, dass auch er selbst alt ist. Vielleicht so alt, wie die Menschheit selbst. (Und hatte nicht auch Professor Woland damit kokettiert, mit Kant gefrühstückt zu haben?). Die Flöte, die Vluch so gerne und meisterlich spielt, rückt ihn in die Nähe zum antiken Hirtengott Pan, der spätestens seit dem Mittelalter als Vorbild für die ikonographische Darstellung des Teufels diente und von dem sich auch das Wort „Panik“ ableitet. Die omnipräsente rote Farbe verleiht den Szenarien den dazugehörigen höllischen Anstrich.

Neben einer naheliegenden politischen Lesart, die in den aus Deutschland importierten Hühnereiern, den vom marxistischen Theoretiker Lenin in die junge Sowjetunion importierten Kommunismus sieht, bieten Die verfluchten Eier auch eine metaphysische Auslegung an. In dieser ist es dann auch nicht der Mensch, der die Lösung aus der Misere bringt, sondern – recht abruptes – göttliches Eingreifen. Letzten Endes ereignet sich das Osterwunder dann nämlich doch noch; und zwar im zugleich archaisierenden und modernen Gewand. Dabei ist es aber nicht Pfirsichow, der, wie es nahe läge, zum neuen Heiland avanciert. Zwar stellt er sich am Ende dieses kurzen Romans der wütenden Menge, der nach Rache gelüstet, entgegen, die Arme ausgestreckt wie ein Gekreuzigter. Es ist aber ein Affenmensch, ein kleingewachsener Mensch auf schiefen Affenbeinchen, ein Neandertaler der Pfirsichow mit einer Keule den Schädel einschlägt. Sein Tod ist brachial und sinnlos, wie auch sein wissenschaftliches Treiben. Es ist seine Haushälterin, die unscheinbare und ganz und gar unschuldige Marja Stepanowna, die zum Lamm Gottes wird. Die dazugehörige Schlussszene ist eine dionysische, die rasende Menge zerreißt das Menschenopfer Marja Stepanowna in Stücke. Das Blut, das für alle vergossen wird, besänftigt die böse und aus den Fugen geratene Natur. Sie erbarmt sich einmal mehr der Menschen und schickt einen Frost mitten im August, der die Reptilien verenden lässt. So geht Bulgakow schon in Den verfluchten Eiern der Figur Jesus nicht nur auf ihren historischen, sondern auch ihren symbolischen Grund, der im antiken Dionysoskult seinen Ursprung hat. Die Pfirsichowsche Haushälterin wird zum modernen Unschuldslamm, das seine Rolle nicht wählt, sondern erwählt wird. Die natürliche Ordnung ist wieder hergestellt; der beinahe vom Menschen in seinem Wahn verschuldete Weltuntergang abgewendet.

Nach der viel gelobten Neuübersetzung von Meister und Margarita und Das Hündische Herz, liegt mit Den verfluchten Eiern Alexander Nitzbergs dritte Bulgakow-Übersetzung vor. Wiederum ist es dem in Moskau geborenen und in Wien lebenden Übersetzer und Publizist gelungen, die sprachliche Frische, den rhetorischen Biss und die lautliche Versiertheit dieses nach Gogol wohl begnadetsten russischen Satirikers und Romanciers, in ein – vor allem durch sein vielfarbiges Vokabular –  immer wieder überraschendes und beeindruckend reiches Deutsch zu übersetzen.

Schnell und knallig, laut und bunt ist diese Sprache. Knapp gehalten und treffsicher in den Pointen. Eine herrliche Szene ist es z.B., wenn Pfirsichows Frau ihn für einen Tenor verlässt und nichts zurücklässt, als einem Zettel, auf dem steht: „Einfach nur grässlich, deine Frösche. Meine Lebensfreude ist dahin.“ Etwas gestelzt und altbacken, um nicht zu sagen manieriert, ist zuweilen die Syntax, wirken Worte wie „alldieweil“ und „sintemal“, oder Konstruktionen wie „der unersetzliche Hausmeister Wlas, der da nicht zur Gruppe der Lurche zählte.“ Bulgakows Vorliebe für ungewöhnliche, oder sperrige Satzkonstruktionen erschweren dann auch an einigen wenigen Stellen das unmittelbare Verständnis. Aber selbst das, kann die helle Freude, die sich beim Lesen dieses Buches einstellt, nicht trüben.

Michail Bulgakow
Die verfluchten Eier
Aus dem Russischen neu übersetzt von Alexander Nitzberg
Galiani
2014 · 144 Seiten · 16,99 Euro
ISBN:
978-3-86971-092-1

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