Drei Kreuze auf der Karte der Macht
Der aus Jerusalem stammende Autor, Journalist und Lektor Nir Baram, der mit gerade einmal vierzig Jahren schon zu den renommierten Schriftstellern Israels zählt und spätestens seit seinem 2012 ebenfalls bei Hanser erschienenen Buch "Gute Leute" auch in Deutschland bekannter geworden ist, hat mit "Weltschatten" einen Roman vorgelegt, in dem es um die Verwerfungen zwischen dem real existierenden, global agierenden Kapitalismus und seinen fundamentalen Kritikern geht. Baram scheint dafür in gewisser Weise prädestiniert, haben doch bereits sein Vater und sein Großvater mehreren israelischen Kabinetten als Minister angehört. Der Autor kennt sich also gut mit den gesellschaftlichen Eliten seines Landes aus – er entstammt ihnen, bewahrt aber als Schriftsteller durchaus eine kritische Distanz zu ihnen.
Das Buch baut auf drei Handlungssträngen auf: Zum einen erzählt es aus der Sicht des israelischen Lobbyisten Gavriel Manzur, der unter dem Deckmantel einer wohltätigen Stiftung Kontakte für amerikanischen Investoren in nationale und globale Projekte vermittelt, vor allem für seinen Förderer Michael Brookman, der einen Hedgefonds leitet und auch vor zweifelhaften Geschäften nicht zurückschreckt; dann aus der (namenlosen) Mitläufer-Perspektive einer anarchistischen Bewegung aus England um den charismatischen Anführer Julian Conlane, die über die sozialen Medien und über spektakuläre Kulturschändungen einen weltweiten Streik mit einer Milliarde Teilnehmern anzetteln will; und zuletzt geht es um die Machenschaften einer Washingtoner Firma namens MSV, die professionelle Kampagnen ausheckt, um ausgesuchten Kandidaten weltweit politische Siege zu verschaffen. Hier wird über weite Strecken nicht aus einer bestimmten Perspektive heraus erzählt – die Protagonisten tauschen E-Mails untereinander aus, in denen sich das jeweilige Geschehen widerspiegelt.
Allen drei agierenden Blöcken geht es, so lässt es uns der Autor wissen, anfangs um nach außen hin durchaus hehre Ziele: Frieden, Versöhnung, Gerechtigkeit. Doch gibt es hier von Beginn an schon innerhalb der Gruppen keinen gemeinsamen Nenner in der Frage, was eine gültige Definition für diese Begriffe sein könnte, ganz zu schweigen von den Gruppen untereinander, und immer stärker spielen sich die jeweiligen wirtschaftlichen und persönlichen Interessen in den Vordergrund. So kommt es, wie es kommen muss: Die zunehmende Radikalisierung der Standpunkte führt schließlich zum Kollaps.
Wenn jemand glaubt, alle abscheulichen Ideen seien durch gewissenlose Typen verwirklicht worden und alle erhabenen durch noble Geister - dann ist er ein Idiot.
Allen zentralen Figuren gemeinsam ist die Hybris, der sie letztendlich zum Opfer fallen.
Im ersten Teil des Romans vermittelt Baram seiner Leserschaft einen Einblick in die jeweiligen Befindlichkeiten der drei Gruppierungen. Über einen Zeitraum von Jahrzehnten wird der Werdegang seines Personals und seine innere Entwicklung beleuchtet, und Nir Baram springt dafür recht sorglos zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her.
Im weiteren Handlungsverlauf werden die drei Stränge dann konsequent und stringent miteinander verwoben: Weil er den fortgesetzten Verrat an den ursprünglichen Ideen seiner politischen Beratungsfirma durch den Kontakt zu skrupellosen Waffenhändlern und Drittweltoligarchen nicht mehr mittragen will, wechselt der MSV-Campaigner Daniel Kaye die Seiten. Das heisst, er verhilft durch sein Know-How Julian und seinen Provinzrevolutionären zu internationaler Wahrnehmung und der Möglichkeit eines Konfliktes auf Augenhöhe – zumindest was die Publicity angeht. Als der Streik schließlich losbricht, gibt es zwar weltweit Tote, auch die Wirtschaft erleidet natürlich Schäden, das System selbst jedoch erscheint nicht eine Sekunde lang wirklich gefährdet:
Positionen wie die eines Knesset-Abgeordneten, eines Direktors... [adelten] Menschen ohne eigentliche Macht mit trügerischem Glanz. Allen war klar, dass eine Karte der Macht existierte, es brauchte einige Zeit um sie zu erfassen... Und naturgemäß änderte sich die Karte fortlaufend, da einige an Einfluß gewannen, entlassen wurden, verarmten oder erbten - doch es gab sie, und ihr allgemeiner Entwurf wurde von allen akzeptiert.
Nir Baram hat einen flüssigen und über weite Strecken durchaus spannenden Roman aus dem Dunstkreis von Geld- und Machtgier und über deren nicht scharf abgrenzbare Relation zu schwärmerischen Idealen und kleinkariertem Geltungsbedürfnis geschrieben. Das Fatale, das diesem Roman ein Bein stellt, ist die Tatsache, dass sich die Leserschaft schwertun wird, sich auch nur mit einer der agierenden Personen zu identifizieren. Am ehesten hätte dies vielleicht noch die Figur des abtrünnigen Daniel Kaye sein können, aber sie wird zu spät eingeführt und literarisch präzisiert, als dass hier eine wirklich starke Affinität heranreifen könnte. Außerdem entdeckt auch er erst sein Gewissen, als ihm dämmert, dass seine Tage bei MSV gezählt sind. Zu fremd und abstoßend dürften ansonsten wohl vielen die Denk- und Handlungsweisen von Investmentbankern, Politikern und ihren Campaignern einerseits und sich radikalisierenden Anarchisten andererseits sein: Es zerreibt die Leserschaft zwischen den Fronten, und der Autor schafft es auch auf fünfhundert Seiten nicht, echtes Verständnis für die eine oder die andere Partei zu erwecken. Gavriel zieht zum Schluss das lakonische Fazit:
Der Kapitalismus lässt eben alle für sich arbeiten, auch seine Kritiker. Das ist ja das Geniale an ihm. Im Unterschied zu totalitären Regimen vereinnahmt er alle, solange du für ihn arbeitest, kannst du von ihm aus jammern, heulen und verunglimpfen, soviel du willst.
Dennoch bleibt am Ende der Eindruck zurück, dass alle Handelnden miese oder zumindest banale Beweggründe hatten für das, was sie getan haben, die einen mehr, die anderen weniger. Der Leserschaft vermittelt sich ein Gefühl der Hilflosigkeit angesichts der offensichtlichen Determiniertheit allen politischen Handelns, und nicht umsonst wird der britische Maler und Sozialist der ersten Stunde William Morris zitiert mit den Worten:
Die Menschen kämpfen und verlieren die Schlacht, doch das, wofür sie gekämpft haben, kommt trotz ihrer Niederlage zustande, und wenn es da ist, ist es nicht das, was sie wollten, und andere müssen dafür unter anderem Namen kämpfen.
Vielleicht ist das Auslösen solcher Empfindungen ja auch die Absicht Barams gewesen. Aber indem er diese ungute Larmoyanz in uns zu evozieren versteht, läuft er Gefahr, sich zum Komplizen des neoliberalen Narrativs zu machen: Das System ist immer und wird immer sein, und eine wesentliche Korrektur der Mechanismen ist unmöglich. Das wäre zynisch, und das kann von Baram eigentlich nicht intendiert gewesen sein, der ja nicht zuletzt durch seine intensive Versöhnungsarbeit zwischen Palästinensern und Israelis gerade immer wieder bewiesen hat, dass er selbst eben kein Zyniker ist, sondern Pragmatiker, wenn auch ein explizit Hoffender. Jedenfalls erspart uns Nir Baram nicht, wieder und wieder die alte Erkenntnis zu verinnerlichen: Es gibt keinen einfachen Weg, es gibt keine einfachen Antworten.
Fixpoetry 2016
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben