„arbeiten Sie auch etwas mit Sprache?”
Nora Gomringer läßt die Sprache zum Leben erwachen, die sonst doch gerne tot oder jedenfalls scheintot ihr Da- und Fastnichtsein fristet. Das betreibt sie in Gedichten, aber auch Geschichten und hier in Essays und Reden.
Dabei wird von ihr drauflos geschrieben, was unbedarft klingen mag, es aber nicht ist. Das Thema fände sich sonst nicht, sondern allenfalls etwas, das zum Thema hätte, was aber damit das Thema nicht ist. Denn das Thema muß sich erst finden, ist noch nicht fertig. Das wußte schon Adorno, und zwar gerade vom Essay: „Wie er Urgegebenheiten verweigert, so verweigert er die Definition seiner Begriffe.”
So tigert sich Gomringer in den Klang oder die Klänge des Deutschen, samt seiner Vielgestaltigkeit und seinen Einflüssen, denkt übers Auswendiglernen nach, und … und … und. Vielleicht ein wenig zuviel vom Und – manches wünschte man sich ausgeführt, manches ist diesmal dann doch dogmatisch hinbehauptet, pointiert, aber nicht so, daß die Begriffe in Rotation geraten wären, man Neues gedacht vorfände. Gerade beim Auswendiglernen, ein Text, der sich in der Auskunft, daß Gedichte „Anker und Segel” sein könnten, erschöpft, denkt man dies; das ist doch bloß topos.
Würde gezeigt, wie die Sprachformen, die man lernte, einen befähigten, so wie jene „Zeitobjekte […] in beständiger Transformation zu existieren”, wie es Gumbrecht unlängst beschrieb, dann läse man das doch gerne; würde skizziert, wie das Aus- und Inwendiggelernte Fremdes und Eigenes wäre, würde erhellt, wie fremdes Rauschen Begriff wird, wenn man dies betreibt, Begriff aber das Klingen dann doch nicht ersetzt, also nicht das Eigene des Klingens allein bewahrt, sondern jenes Andere ebenso, dann wäre das, was man vielleicht sagen könnte, vielleicht…
Dabei könnte die Autorin etwas dazu sagen, wenn man etwa liest, wie sie die Begegnung mit eigenen Gedichten im Stande des Übersetzt- und damit Enteignetseins – wo sie doch „noch lebe und Auskunft geben” nicht nur könne, nein, wolle – beschreibt. Richtig gut sind diese, die konkreten Texte, die dann auch theoretisch sogleich ergiebiger sind, etwa der herrliche Essay Schullesungen, worin die Indienstnahme der Literatur für die Überbrückung mühevoller Stunden porträtiert wird, alles ganz schlimm, mit Biß und Witz berichtet, aber „die Lyrik singt ja auch zu denen, die sie nicht hören wollen”, womit das bloße Zustandekommen von Lesungen schon ausreichen kann.
Da gilt dann der Buchtitel: Gomringer ist nicht (bloß) hier, um einen zu amüsieren, tut es aber vortrefflich. So ist von besagten pflichtschuldig etwas beschreibenden Texten abgesehen dieser Band denn doch wieder lesenswert, keine Frage. Gomringer ist und bleibt eine der erfreulichsten Stimmen in der deutschen Gegenwartsliteratur.
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