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Kritik

Auf Elaine’s, auf den Dow-Jones-Index

In ihrem neu aufgelegten Debütroman „Rennboot“ wirft Renata Adler einen kühl-melancholischen Blick auf die New Yorker Bohème der 1970er Jahre
Hamburg

„Ich bin viel herumgezischt in den kurzen Pausen zwischen Monaten des Nichtstuns“ ist einer dieser typischen Renata-Adler-Sätze, mit denen die präzis geschliffenen Wahrnehmungssplitter ihres neu aufgelegten Romans „Rennboot“ beginnen.

„Herumgezischt“ ist die Ich-Erzählerin Jen Fain, unverhohlen das literarische Alter Ego der Autorin, in der Tat. Als Klatschreporterin für die Standard Evening Sun im New York der 70er Jahre tingelt sie von Lunches zu Stehempfängen zu Dinnerpartys, stets umringt von den V.I.P.s und Speichelleckern der Ostküsten-Bohème. Sie trifft auf exzentrische Soziologen mit schief sitzenden Fliegen, verwirrte Mäzeninnen, schwerhörige Physikgenies, arrogante Kinderstars und diverse ziemlich durchgeknallte Analytiker. Mit frisch geschiedenen jungen Männern, die meistens namenlos bleiben, trinkt sie im Elaine’s, dem legendären Upper-Eastside-Restaurant, Gin oder Martini „auf den Dow-Jones-Index, auf die Zukunft also, der häuslichen Ruhe und Ordnung halber“.

Im Sommer geht es für ein paar Wochen nach Europa; zwischendurch laden sie Liebhaber oder Auftraggeber (was nicht immer ganz klar voneinander abzugrenzen ist) auch schon mal zu einer kleinen Spritztour in die Karibik ein. Sichtlich genießt Jen Fain das mondäne Leben. Am wohlsten jedoch fühlt sie sich im Angesicht von Unwägbarkeit und Gefahr, wie beispielsweise im Flugzeug zwischen Angola und der damals neu gegründeten Republik Biafra: „Im Gewitter, und mit Valium und dem Gefühl von Sinnlosigkeit, ging’s mir gut.“

Es sind vor allem diese kurzen Blicke in die Abgründe der Ich-Erzählerin, die Andeutungen einer existenziellen Unterhöhlung, die Adlers Experimentalroman auch heute noch so lesenswert machen.

Adler selbst (Jahrgang 1938) schrieb in den 1970er Jahren für den New Yorker; sie marschierte mit für die Rechte der Schwarzen; sie war da, wo der Punk entstand, wo die Frauen- und Homosexuellenbewegung ihren Anfang nahm, immer am Puls der Zeit. Adler wurde protegiert von Hannah Arendt und fotografiert von Richard Avedon; zusammen mit Susan Sontag und Joan Didion gehörte sie zu den interessantesten (weiblichen) Stimmen der US-amerikanischen intellektuellen Avantgarde. Der Anti-Roman „Speedboat“ (das Original erschien 1976) verschaffte ihr auch als Belletristik-Autorin den Durchbruch. 1980 jedoch katapultierte sie sich mit dem scharfen Verriss einer Kollegin selbst ins Aus. Es folgten weitere Skandale; Adler verschwand für einige Jahrzehnte in der Versenkung.

Umso erfreulicher, dass das literarische Debüt dieser charismatischen Persönlichkeit nun in der Bibliothek Suhrkamp neu entdeckt werden kann.

Dass „Rennboot“ mehr ist als ein satirisch überspitztes Sittengemälde der Ostküste am Ende der Hippie-Ära, erschließt sich vielleicht erst auf den zweiten Blick. Natürlich ist Jen Fains Zynismus nicht zu überhören, wenn sie von Galaveranstaltungen berichtet, auf denen bei Sherry und Schildkrötensuppe über Hungerhilfe diskutiert wird. Oder ihre dezidiert feministische Ausrichtung, wenn sie nachfragt, warum in gewissen Herrenklubs Frauen höchstens bei ausgewählten Empfängen als schmückendes Beiwerk geduldet werden. Doch meist bleibt ihre Empörung gedämpft; längst hat ihr abgeklärter Blick jegliches Leiden glatt geschliffen. Das gilt auch für ihr eigenes Empfinden: „Oft treffe ich Leute, die mich nicht ausstehen können und die sich untereinander nicht ausstehen können. Nicht immer macht das was. Ich rede weiter, lächle weiter.“

Bisweilen wirkt diese eloquente Coolness auf etwas zu willkürliche Weise zeitlos. Könnten doch all die von sich selbst eingenommenen bärtigen jungen Männer, all die Mädchen mit verwaschenen Bluejeans und Omabrillen ebenso gut jeden halbwegs hippen Teil von London, Berlin oder Paris im Jahr 2014 bevölkern

Manchmal allerdings legt Adler wirklich den Finger in die Wunde. In dem brillanten Kapitel „Welcher Krieg“ verbindet sie den Wettlauf ins Weltall, Fernsehreportagen über Waisen aus dem Vietnamkrieg und ihre eigenen Berichterstattungen über die Mietervertreibung in Brooklyn zu einer bitterbösen Collage, die dieser Wunde einen unmissverständlichen Namen gibt: das schwelende, eiternde Amerika der Nixon-Ära.

Man könnte „Rennboot“ als ein aus der Zeit gefallenes Stück Pop-Literatur betrachten, entstanden irgendwo im Niemandsland zwischen Beat Generation und den Hochglanz-Neunzigern: Die Oberfläche bilden Partys, Alkohol und Who is who; Massenmedien üben den Vorstoß ins menschliche Hirn. Margarinewerbung wechselt sich mit Übertragungen aus dem Gerichtssaal so unmerklich ab, dass es mitunter schwierig ist, real von realistisch zu unterscheiden. Und plötzlich wird klar: Aus der unerschütterlichen Kühle, mit der die Hauptfigur von Glamour und Elend berichtet, spricht gar nicht Gleichmut oder Eitelkeit, sondern vielmehr das Wissen um die eigene innere Leere. Unübersehbar der Abgrund, an dem ihre Zehen schwanken, die Verzweiflung, die an ihren Sätzen kratzt.

Eine offenkundige Message ist in „Rennboot“ nicht zu finden. Dafür jede Menge zitierfähige Bonmots, die Adler ohne Erklärungen oder ironische Relativierungen stehen lässt: „Gott war nicht tot, aber die Muse befand sich in äußerst schlechtem Zustand.“

Renata Adler
Rennboot
Aus dem amerikanischen Englisch von Marianne Frisch
Suhrkamp
2014 · 241 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-518-22480-9

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