Hedonisten, Sodomisten und Touristen
Berlin ist, daran kommt man nicht mehr vorbei, in den letzten 20 Jahren zweifelsohne in den Club der globalen Metropolen zurückgekehrt. Das Ende der gemauerten Teilung, das Ende eines der beiden deutschen Staaten und der Umzug des Regierungssitzes aus dem Rheinland an die Spree, die Subkultur und… hier sollte man innehalten. So viele Faktoren kann man aufzählen, will man begründen, warum Berlin im 21. Jahrhundert zu einem beliebten Touristenziel wurde. Aber Subkultur ist ein Strang, den man verfolgen kann, will man Robert Beachys kleinen Essay „Ich bin schwul. W.H. Auden im Berlin der Weimarer Republik“ voll würdigen. Die Subkultur der Stadt ist, das gilt für viele ihrer Bereiche, maßgeblich von ihren homosexuellen Protagonisten und andren Genderdissidenten geprägt. Galt Köln lange als das Herz der schwulen Republik, war es doch eigentlich seit je her Berlin, das noch preussischen Zeiten für seine „warmen Brüder“ bekannt war,. Die 70er brachten der (erneuten) Homosexuellenbewegung einen Schub, der mit einem Schwulenzentrum (dem heutigen SchwuZ), der Gründung der Magnus Hirschfeld Stiftung und bis heute so wichtigen Protagonisten wie Rosa von Praunheim und Martin Dannecker einherging. Die Geschichte vor letztgenannten Institution ist allerdings in Vergessenheit geraten, wenn überhaupt kaum bekannt, und es scheint oft, als Beginne die schwule Identitätsfindung und -proklamierung erst mit Stonewall, jenem Aufstand in der New Yorker Christopher Street im Jahre 1969, der bis heute als Christopher Street Day gefeiert wird. Diese mittlerweile durchkommerzialisierte Veranstaltung hat nicht nur an Radikalität gegenüber den ursprünglichen Unruhen verloren, sie überstrahlt dazu, gezähmt wie sie ist, die historische Tiefe der Homosexuellenbewegung, die viel weiter zurückreicht. Eine Altlast aus Nazi-Tagen, die mit ihrer Machtergreifung im Jahr 1933 auch die Sexualwissenschaften und Soziologie um Jahre zurückwarfen, wichtige Dokumente vernichteten und einen der interessantesten Vordenker und Freiheitskämpfer, Magnus Hirschfeld, damit mundtot machten. Hirschfeld, mittlerweile in der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld wieder in den Diskurs gespeist, ist passenderweise der geistige Pate und Rahmen, in dem dieser Essay erscheint. Eigentlich ein Vortrag im Rahmen der 2. Hirschfeld Tage, einer neuen Initiative der Bundesstiftung, wurde Beachys Studie jetzt durch die Veröffentlichung in der Reihe der Hirschfeld-Lectures einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Robert Beachy, der US-amerikanische Historiker, der uns auf die Reise in die goldenen Zwanziger mitnimmt, trat bereits 2011 mit seinem Band „Gay Berlin. Birthplace of a modern identity“ hervor, der bei Knopf (New York) erschien. Die These des Professors für Europäische Geschichte: die moderne Vorstellung einer schwulen Identität wurde im Berlin zwischen den Kriegen erfunden und gelebt. Mit Hirschfeld als maßgeblichem Wortführer und Vordenker, der bereits kurz vor dem Ende des 19. Jahrhunderts behauptete, Homosexualität sei keine Geisteskrankheit, sondern eine biologische und psychologische Disposition, war nicht nur das Umfeld von Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaften mit dem angeschlossenen Museum ein intellektuelles Mekka, Berlin selbst bot eine Vielzahl von Vergnügungsmöglichkeiten. Beachy macht die beiden britischen Schriftsteller W.H. Auden und Christopher Isherwood zu den Protagonisten seines Streifzugs durch die niemals enden wollenden Berliner Nächte mit Liebschaften, Strichern und Gönnern. Auf der Grundlage von Tagebucheinträgen und Zeitzeugenberichten rekonstruiert Beachy so einen Kreis von betuchten Touristen, die Berlin als Spielplatz nutzen, um ihre sexuelle Identitätsfindung nicht nur voranzutreiben, sondern sie überhaupt erst anzustoßen. In einer Zeit, in der es noch unter Strafe stand, wenn zwei Männer, auch einvernehmlich, sexuelle Handlungen vollzogen, war Berlin ein Paradies für alle Sodomisten und Invertierten, so die Zuschreibung von außen. Das sexuelle Buffet war reicht gedeckt, allerdings nur gegen Bares.
„The Americans were the conquerors of old Germany and the young Germans were eager to accomodate them. Paris was never that gastfreundlich.“ zitiert Beachy einen jungen Architekten, der Ende der 20er in Berlin war. Eine erste Welle von Besuchern brachte bereits die Zeit der Hyperinflation, die eine lesbische Touristin dazu veranlasste, beinahe zu bereuen, wie einfach es war in Berlin zu leben und zu feiern. Dennoch: der Duft der Freiheit überwog und das allgegenwärtige Kokain und der billige Champagner versüßten die Nächte, die in Lokalen stattfanden, denen mit Wegfall der Sperrstunde in der Mitte der 20er, keine Grenzen mehr gesetzt waren. Verkokst und besoffen konnte man um die Häuser ziehen, in Wohnungen hofiert werden und durch Betten hüpfen. Geschickt zeichnet Beachy das Portrait einer Community, die sich ihrer Freiheiten wohl bewusst ist. Mit dem historischen Blick und dem Bewusstsein über den Zusammenbruch der Weimarer Republik im Hinterkopf, kann beim Leser nur Wehmut aufkommen: knapp 30 Publikationen für homosexuelle Menschen verzeichnete Berlin, die zum Teil in der ganzen Welt verkauft wurden. Kulturelle Produktion und sexuelle Befreiung befruchteten einander, aber überlebt haben vor allem die Zeugnisse englischsprachiger Autoren, die Beachy geschickt als Zeugen einer Zeit inszeniert, die nur verloren ist, wenn wir vergessen, uns an sie zu erinnern - womit wir dem Nazi-Regime post mortem in die Hände spielen. Auch wenn Hirschfelds Büste der Bücherverbrennung zum Opfer fiel, es gibt ein bestehendes Erbe, das von neuen Generation, was 100 Jahre später, aufgearbeitet werden sollte.
So reflektiert, faktenfreudig und lesbar Beachys Beitrag ist, er findet ein recht einseitiges Ende. Das letzte Kapitel fokussiert auf die Strukturen der männlichen Sexarbeit im Weimarer Berlin. Ein interessanter Exkurs, durchaus, aber seltsam orchestriert im Gesamtkontext - verlassen wir die 20er doch, die wir laut Untertitel mit W.H. Auden verbringen sollen, mit einem faden Beigeschmack. Es ist der gleiche fade Beigeschmack, den auch einige Klaus Mann Romane haben: die Identität schwuler Männer ist noch so frisch, so jung, männliche Prostitution auch unter Männern üblich, die sich nicht in Männer verlieben, dass Liebe und Freundschaft unmöglich scheinen. Die Kommodifizierung der Sexualität mag vielleicht ein Wegbereiter gewesen sein und ein historisch wichtiges Thema, aber ein Band, der sich mit Literatur schmückt und so soziologisch endet, lässt ein wenig enttäuscht zurück. Dennoch ein wichtiger Beitrag in einem wichtigen Forum zu einem Kapitel homosexueller Geschichte, das nicht nur bundesweit, sondern global von Bedeutung ist und es ist Beachys angenehmer Prosa zu verdanken, dass wir Zugang dazu finden dürfen.
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