Das Prinzip Horror
Die Funktion des Horror-Genres beschreibt der Filmkritiker Georg Seeßlen in einem Artikel in der ZEIT als „Übertritt von der Welt der Geborgenheit und des Urvertrauens in eine dämonische“ Welt, also als eine moderne Form des Märchens. Verhandelt wird darin die Suche nach dem eigenen Platz in der Gesellschaft, denn: „Das eigentliche Monster in allen Horrorfilmen ist immer die Normalität“, schreibt Seeßlen.
Der Übergang von einer dämonischen Welt in eine andere ist auch Thema in Sascha Machts Debütroman mit dem Cover-füllenden Titel Der Krieg im Garten des Königs der Toten.
Auf einer Insel, die in den 1940er Jahren durch Atombombentests entstanden ist, lebt der 16-jährige Protagonist und Ich-Erzähler Bruno Hidalgo. Als dessen Eltern von einem Ausflug in die Provinzhauptstadt nicht wieder zurückkehren, endet sein behütetes Leben abrupt. Auf sich allein gestellt wird Bruno zum Experten für billige Horror- und B-Movie-Streifen, die er kistenweise im einzigen Laden des Dorfes vom Schönen Hans geschenkt bekommt und die er mit großer Freude und ohne Furcht konsumiert. Bald hat er keinen sehnlicheren Wunsch, als selbst der Wirklichkeit Film-schaffend beizukommen, ihr mit den Mitteln des Horrorfilms
„den ganzen Hass und Zorn [s]einer jugendlichen Existenz entgegenzuschleudern in der Hoffnung, dass sie zerbrechen und etwas anderes hinter ihr zum Vorschein kommen würde.“
Als nach einem Jahr ein Mann auftaucht, der sich „der Preuße“ nennt und der mit einer Tasche voller Diktatoren-Biographien über die Insel reist, macht sich Bruno mit dem Fremden auf den Weg in die Provinzhauptstadt Savannah, um das Fürchten zu lernen – oder um endlich einen Job zu finden.
Angst erlebt neuerdings eine seltsame Konjunktur. Verschwörungstheorien, Fremdenangst, Glyphosat – die Angst vor dem Unsichtbaren lässt das Element des Fiktiven als etwas ganz Reales zurück in die Lebenswirklichkeit, also die Normalität vieler Menschen dringen, denen es, wie vielfach zu lesen war, an so wenig mangelt, dass ihr Furchtinstinkt auf alles anspringt, was außerhalb ihrer Dorfgrenze liegt. Unbewusst finden sie in ihrem Kampf gegen die Angst ein höheres Ziel, dem sie ihre Energie widmen können.
Sascha Machts Coming-of-Age-Roman fährt auf der dem Untergang geweihten Insel augenzwinkernd einiges an dämonischem Schrecken auf. So trägt das Elterndorf den furchteinflößenden Namen der 80er-Jahre-Band Kajagoogoo. Die Insel wird von flugunfähigen, fleischfressenden Vögeln und Krokodilen bevölkert. In der heruntergekommenen Provinzhauptstadt kämpfen machtgierige Potentaten und ideologische Freiheitskämpfer um den wertlosen Plunder, der vom Glanz früherer Jahre zurückgeblieben ist. Doch weder vor der ruchlosen Militärjunta auf der einen, noch vor den Revolutionären der Freien Berge auf der anderen Seite fürchtet sich Bruno – für ihn sind alles nur arme Spinner.
An der Gestaltung des Monströsen werden Machtverhältnisse sichtbar; der Roman kehrt gewohnte Verhältnisse um, indem er Hinweise auf tatsächliche Schrecken wie Pol Pot oder Pearl Harbor als Gemälde oder Filmstoffe am Rand präsentiert, während sämtliche Ideologien des 20. Jahrhunderts mit anarchischer Verve verworfen werden. Zugleich wird dem Horrorfilm in seiner Abstrusität gehuldigt, dass das Monströse der Macht in all ihrer menschlichen Hybris und Lächerlichkeit offenbar wird. Brunos Blick, am Horrorfilm geschult, an Nazi-Zombies, Alienwelten und blutrünstigen Splatter-Movies – deren fiktive, abstrus bizarre Film-Synopsen dutzendfach nacherzählt werden – nimmt die Gesellschaft als ebenso wenig erschreckend wahr wie seinen späteren Gefährten, den vogelgesichtigen, ruchlosen Mexikaner El Corazón. Doch ist in Der Krieg im Garten des Königs der Toten die Welt der Geborgenheit ebenso fiktiv wie das dämonisch Böse. Und Monstergeschichten werden von den Monstern selbst erzählt
Brunos Fahrt zum Revolutionären Filmfest endet in der Hand von Soldaten, von denen er ins „Graue Schloss“ des Generals der Revolutionstruppen verschleppt wird. Dort hat er, gemäß des Grimm‘schen Märchen von einem, der auszog das Fürchten zu lernen jene Prüfungen zu bestehen, nach deren Bestehen die Hand der Prinzessin lockt. Doch im Herzen der Finsternis sind wieder nur solche Toten zu finden, die sich abends vor dem zu Bett gehen brav die Zähne putzen; es ist ein weiterer Möglichkeitsraum, der die Milizionäre ebenso wie ihre hochtrabenden revolutionären Ziele als läppischen Firlefanz entlarvt.
Nicht nur die Angst vor dem Schrecken erzeugt den Schrecken, sondern auch der Kampf gegen diese. Das einzig Gute, was bei all dem bleibt, ist, laut Bruno, das bisschen Hoffnung, „das tief in der Kunstform des Horrorfilms verborgen ist“.
Sascha Macht ist ein kluger Roman gelungen, ein sonderbares Kunststück, das mit Erfindungsreichtum, Metafiktionalität und Absurdität seinen unzuverlässigen Erzähler in eine eigentümliche historische Entwicklung hineinzieht, die in der zweiten Romanhälfte beim Lesen seltsam real wird.
Die Lust des Horrorfilms besteht darin, dass uns nichts geschehen kann. Und so sind auch am Ende dieses Romans jene Fische, die im Märchen das Fürchten lernen, nur geräuchert – und das Final Girl keine Prinzessin, sondern eine ruchlose Revolutionsführerin. „Die Hoffnung des Genres ist es, uns dorthin zu bringen, wo wir noch nie waren“, schreibt Georg Seeßlen. Doch wie im richtigen Leben steht am Ende die Frage im Raum, ob man nach all der Angst, nach dem „gefährlichen Irrtum der Furcht“, den Aufständen und Revolutionen, wirklich an dem Ort sein wird, den man erreichen wollte.
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