Angst und Pädagogik: Voigts medientheoretische Heimsuchung des Horrors
Stefanie Voigts »Blut ist süßer als Honig« – als Dissertation an der LMU München entstanden – behandelt Angstlust im Kontext von Medientheorie und Medienpädagogik anhand der Analyse von Horrorfilmen. Nun könnte man den Witz riskieren, daß eine Medienpädagogik des Horrorfilms schon horrend ist, wenn Vampire dazu vernutzt werden, etwas zu kommunizieren, aber darum genau geht es ja, daß die Schrecknisse, die das Vernünftige heimsuchen, ihm zuzurechnen sind, wesentliche Artikulationen wesentlicher Erfahrung – und was wäre Pädagogik, die nicht Verstörung beinhaltete?
Angstlust, das meint: Körperlichkeit sei die Erfahrung – man hätte vielleicht besser in Erwägung ziehen sollen: die Chimäre – des Authentischen, hier berührt sich diese Studie mit Demuths Carneologie Fleisch. Also ist Angst um die Unversehrtheit vielleicht erst und zugleich gerade noch Teil der authentischen Erfahrung im Stande von deren Steigerung: „Ich habe Angst, also bin ich!“
Authentisch – ein freilich heikler Begriff, sagte man sie nicht auch Trump nach? Sind es nicht die Vollpfosten, worauf heute die Bretter ruhen, die die Welt bedeuten…? – Und nein, hier sei dennoch dem nicht nachgegangen, ob es sich bei ihm darum oder doch um einen zynischen Idioten, der die Marionette klügerer Zyniker sein könnte, handelt; oder um die Marionette solcher Idioten, die charismatisch ihren Irrsinn verbreiten, denen er aber glaubt – oder die doch er benutzt, Idiot darin, einerseits dieses Spiel für kontrollierbar zu halten und andererseits seinen Verstand nur instrumentell zu benutzen, Idiot als griechischer Gegenbegriff zum genuin politisch agierenden Bürger…
Zurück zum Buch, zurück also zur authentischen Erfahrung, welche Angst verspreche. Naheliegend ist es, daß diese Angstlust da besonders virulent wird, wo „die Bedrohung des Rezipienten“ sich andeutet. Und eigentlich geht es dann um diese auch viel spannendere Frage, wie Horror sich seines frames entledige: Ob, wer The Ring gesehen habe, wie dessen Protagonisten dem Geist zum Opfer fällt, der seiner Visualisierung entsteigt? Ob, wer ein Gewaltvideo sehe, Mittäter ist, dem ihn Funny Games darum zugezwinkert werde? Ob man das erleben könnte, was darum nicht steril präsentiert wird, etwa in The Blair Witch Project? Der Trailer von Paranormal Activity fokussierte darauf, indem er die Reaktionen der Zuschauer zeigte, statt Szenen des Films.
Dabei wird immer wieder die Zerstörung des Körpers als finale Bedrohung suggeriert – „glatte, ebenmäßige Haut und ein wohlgeformter junger Körper“, zerstört oder transformiert in (und durch) den „verwesenden, undichten, versehrten und deformierten Körper.“
Relativ spät wird dies dann doch in Frage gestellt – und die Erfahrung als Chimäre bedacht, der „Mythos vom authentischen Körper“ stellt in Frage, was da gefürchtet wird – nicht: daß da, sondern ob zurecht gezittert werde. Insofern ist das Verstehen des Horrorfilms das Ende dieser an ein fragwürdiges Versprechen – eine Hoffnung – geknüpften Angst, das „Projekt Körper“ divergiert jedenfalls von dem, was sich scheinbar erwarten ließ.
Und da verläßt das Buch eigentlich fast das Thema, indem es schließlich den Begriff des Authentischen im Horror auch dadurch dekonstruiert sieht, daß zuweilen Sequels nicht bloß Überbietung seien, sondern das Primat nicht mehr kennen. „»Originaler« als das Original“ wäre etwa die amerikanische Neuverfilmung von The Ring, als die japanische Version es gewesen sein konnte…
… und daß eben, das konnte Voigts kaum ahnen, Rings in die Kinos kam, wäre da zu erwähnen, wobei hier (spoiler warning!) die Medien wechseln, aber das Böse immer noch böse ist und sich wenig überraschend intermedial so verhält, wie das Im Zeitalter des streams naheliegt. Statt des Stromkabels ist es das WLAN, das nun nicht reagiert, wenn alles aus dem Ruder läuft – Rings ist kurzum so schlecht, daß es an eine Widerlegung Voigts grenzt und meine Warnung vorm Spoiler nur ironisch sein konnte, aber dies nur am Rande.
Am Ende des Buches rundet sich das alles zu einem interessanten Gesamteindruck; aber auch zum Anschein, es seien Horrorfilme immer schon nur das Vehikel seiner Überlegungen.
„Medienkompetenz“: Nichts ist echt, Angst inklusive, es sei denn, man unterschiede zwischen ihr und Furcht, die fokussiert wäre, es gäbe also nur Angst, weil Furcht Reaktion auf etwas ist, das es aber sowieso nicht gibt, jedenfalls im Corpus, das Voigt analysiert hat. Wäre ich der Regisseur eines Horrorfilms, ich hätte vielleicht Angst vor Stefanie Voigt.
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