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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Natur? Oder Kunst.

Hamburg

Inseln sind Sehnsuchtsorte, sie stehen immer ein wenig im Verdacht, nicht ganz real zu sein. Vielleicht ist es das - oder einfach, weil die Pfaueninsel so provokativ idyllisch in der Havel liegt, dass Wochenende für Wochenende die Randberliner und Potsdamer an der Fähre Schlange stehen, um einmal hinüber zu kommen und selbst zu schauen, was dort los ist.

Thomas Hettche hat seinen neuen Roman „Pfaueninsel“ genannt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Seine „Pfaueninsel“ ist ein historischer Roman, er spielt ein Leben durch, das mit der Wende zum 19. Jahrhundert beginnt und das 1880 endet. Die Zeit, als die Pfaueninsel als Lust Ort des preußischen Königshauses diente. Allen voran Friedrich II., der seine junge Geliebte dort traf. Seine Schwiegertochter Königin Luise mochte den Ort nicht. Nach deren Tod verwandelte Friedrich Wilhelm III. die Pfaueninsel in eine Art Zoo-Paradies für vor allem exotische Tiere. All das erlebt Maria Dorothea Straken mit. Als Exotin unter Exoten. Sie war als Kind mit ihrem Bruder Christian auf die Insel gekommen, beide sind kleinwüchsig. Zwerge. Mit nur einem kurzen Ausflug nach Berlin bleibt sie ihr ganzes Leben auf der Insel als „Schlossfräulein“.

Anhand dieser fiktiven Lebensgeschichte erzählt Hettche die Geschichte der Insel.

Auch die Vorgeschichte des Glasmachers Johannes Kunckel erfährt eine poetische Würdigung. „Ein rotes Glas“ heißt eines von Hettches Kapiteln. Ein Stück des Glasmachers, das die Zeiten überstanden hat und das zum symbolischen Herz des Romans wird. Marie erhält ein „tiefdunkelrotes Glas“, dass „das helle Sonnenlicht aufleuchten ließ“, von Gustav, dem Neffen des Hofgärtners Fintelmann. Und sie wird es am Ende des Romans ihrem Sohn, den sie von Gustav hat, weiter schenken.

Sowohl Fintelmann, als auch Gustav sind reale Figuren des Paradieses Pfaueninsel. Auch der preußische General-Gartendirektor Peter Josef Lenné. Der, selbst klein und schmal, zum Gegenspieler Maries wird. Lenné entführt ihr den Geliebten, nascht selbst an ihm und entfremdet ihn ihr. Marie bleibt zurück. Bekommt ein Kind, das Gustav ihr wegnimmt. Sie erlebt, wie die Insel ihr fremd wird mit exotischen Tieren, die Friedrich Wilhelm III. in dem von Lenné gestalteten Garten in Käfigen aufstellt: Kängurus, ein Löwe, viele Affenarten, ein Bär. Insgesamt über 800 exotische Tiere sind dort zu sehen, nun auch an drei Tagen in der Woche für den Publikumsverkehr, den das „Schlossfräulein“ über die Pfaueninsel führt. Das einsame Fräulein, das das Wort „Monster“ aus dem Mund von Königin Luise nicht vergessen kann. Führt es ihr doch vor Augen, dass sie anders ist, keine „richtige“ Frau. Zur Geburt ihres Kindes ist ein Tierarzt anwesend. Ihre sexuelle Erfüllung erlebt sie nur mit ihrem Bruder Christian. Gustav bleibt eine „Pflanze“, Pflanzen sind seine Leidenschaft, ihnen fühlt er sich am nächsten. Betreut er doch die riesige Palmensammlung, die aus Paris zur Pfaueninsel überführt wird und der Karl Friedrich Schinkel ein klassizistisches Palmenhaus baut. In dem Marie mit fast achtzig Jahren verbrennt, auch dies ein verbürgter Fakt, den Hettche zitiert, das Palmenhaus brannte aus unbekannten Gründen 1880 tatsächlich ab.

Mit Vergnügen verfolgt der Leser die Geschichte der Insel. Die nicht immer vergnüglich ist.  Mit der Figur der Marie setzt er mit der Sehnsucht nach Vollkommenheit, ja vielleicht nur nach Normalität einen Stachel in die Geschichte. Da scheint es fast unnötig, die sexuellen Nöte einerseits der Mitglieder des Königshauses, andererseits der sich als Monster fühlenden Marie auszuführen. Man gerät hier leicht auf eine seltsame Schiene. Was ist „normal“? Indem Hettche einige sexuelle Sonderlichkeiten herausstellt, so lässt sich die Geliebte Friedrich I. von einer Maschine die Muschi „bepinseln“, was sein davon angeekelter Sohn Marie unbedingt zeigen muss, um sich selbst danach von ihrer „kleinen Hand“ befriedigen zu lassen, indem diese Geschichten herausgestellt werden, fragt man sich, ja na und? Soll mir das erzählen, wie kaputt die Menschen sind?

Das erzählt es mir nicht und deshalb finde ich es unnötig. Christian, der ebenfalls kleinwüchsige Bruder Maries macht sich unter dem Kleid einer Prinzessin zu schaffen, weshalb er von Gustav, der inzwischen Hofgärtner ist, aus dem Fenster geworfen wird, Christian verstirbt.

Nein, was den Roman ausmacht, ist die Frage, wie viel Natur ist noch natürlich. Marie sieht, wie die exotischen Tiere auf der Insel massenhaft sterben. Und sie zieht immer wieder Vergleiche zwischen den exotischen Tieren und sich als Exotin der Menschheit. Kann man mit der Natur Kunst schaffen, wie es Lenné nach dem Willen des Königs versuchte? Wo hört die Natur auf, wo fängt die Kunst an? Ist ein kleinwüchsiger Mensch ein Stück Kunst der Natur? Hettche beschreibt mit Empathie eine große Einsamkeit in all diesen Fragen. Das ist ein schönes Stück Literatur, das es auf die Longlist des Buchpreises 2014 geschafft hat.

Ein wenig affektiert und künstlich erscheinen allerdings die bemüht altertümliche Sprache besonders zu Beginn des Romans, da ist von einem „Shawl“, die Rede, von „bleufarbenem Seidendamast“, da wird etwas in Maries Inneres „hineinpipettiert“ und ähnliches. Im Verlauf des Romans verlieren sich diese sprachlichen Koketterien.

Wunderbar ist der einzige Ausflug Maries von der Insel nach Berlin. Da gelingt es Hettche zu zeigen, wie verloren die Welt auf der Insel ist, indem er Marie mit den Errungenschaften der industriellen Revolution konfrontiert, mit der Eisenbahn, mit dem Lärm der Großstadt, dem Verkehr. Dem ganzen Gegenteil des Lebens auf der Pfaueninsel, denn hier in der Großstadt hat sich die Frage erübrigt, wie viel Kunst die Natur verträgt.

Thomas Hettche
Pfaueninsel
Kiepenheuer & Witsch
2014 · 352 Seiten · 19,99 Euro
ISBN:
978-3-462-04599-4

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