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Kritik

Aus der Werkstatt der Desillusion

Walter Kappachers Romanerstling erscheint bei Deuticke/Zsolnay neu
Hamburg

Neu ist dieses Buch nicht, aber neu aufgelegt: Walter Kappachers Roman „Die Werkstatt“, sein erster in sich geschlossener Großtext, wurde dieser Tage bei Deuticke im Paul Zsolnay Verlag in einer handlichen, gut lesbaren Hardcover-Ausgabe, die offenkundig (die Romane „Morgen“, „Silberpfeile“ und „Ein Amateur“ erschienen bereits) eine Kappacher-Reihe fortsetzt, wieder zugänglich gemacht. Es ist dies ein Werk, das alle Eigenarten – die stillen Obsessionen, das oft und aufwendig bis ins Feinste ziselierte Handwerk dieses Prosadichters, der erst spät, dann aber umso größeren Ruhm auf sich zog, bereits aufzeigt und in der kühlen Geschichte des Amerika-Rückkehrers Seeger in frühe Perfektion setzt.

Seeger, der mit seiner Familiengeschichte beschwert fortging und mit einer Tragödie, die sich in der Ferne zutrug, zurückkommt, sehnt sich, angekommen, nach seiner Lehrwerkstatt, die er nach seiner Rückkunft in den Vorstadtgürtel Salzburgs immer wieder aufsucht; vorgibt, die Zeit in Österreich fürs Skifahren zu nutzen, aber nicht wenig froh scheint, ein an der alten Stätte seines ‚Jemand-Werdens‘ herumhängen zu können, die Zeit für allerlei gute und nicht so gute Erinnerungen, in Rückblenden gesetzt, zu vertun.

Ein Grund für seinen Weggang scheint dabei das gebrochene Verhältnis zu den Eltern zu sein, überdeckt von der, wie man weiß, auch dem Auto eigenen Besessenheit von den ‚Maschinen‘, den Motorrädern in der Werkstatt, die den jungen Mann nicht nur zu gewagten Ausfahrten in der alten Heimat verführt, sondern ihn an der Seite eines noch waghalsigeren Kumpans in einen Rennstall in Daytona, jenseits des Atlantiks, ins Land jedweder Verheißung verschlägt. Dort geht bis zur Katastrophe, deren Ausmaß sich so unaufdringlich in den Blick stiehlt wie die übrige Handlung, denn auch alles gut. Die Stille, ja, die vermeintliche ‚Stilferne‘, mit der dem Leser diese an sich ungeheuerlichen Dinge unterbreitet werden, sind Indiz für die hohe Gabe der Verfeinerung im eigentlichen Stil Walter Kappachers.

Anders als seinem Kollegen ist Seeger die Rückkehr nicht verwehrt, gleichwohl schleppt auch er sich mit den Zumutungen einer Rennverletzung, die ihn monatelang quälte, herum. Zu einem Antreten der Rekonvaleszenz kommt es bis auf weiteres nicht – der Schnee bleibt lange aus, und das Faszinosum der ‚Werkstatt‘ umfängt den Protagonisten wieder und wieder, setzt ihn die Lehrzeit zurück. Sei es die Armada der heute weitgehend den Technik-Freaks’n’Geeks überlassenen, zum Schemen ihrer Ära geratenden ‚Maschinen‘, die hier eine Zeitkapsel in die Fünfziger des letzten Jahrhunderts öffnet, oder auch nur das Wiederbeleben einer Zündkerze: In einem eigens tief gedimmten Ton setzt der Romancier einer im Gegensatz zur heutigen Eil-Fertigkeit stehenden Moderne ein signifikantes Denkmal.

Ja, denn diese Welt ist schon im Lauf des Buches im Untergehen begriffen. Die Krise und der Untergang jener Freiheit ragen bereits in den Blick des Zurückgekehrten und lassen die Illusion eines Verharrens, wenngleich flackern, so doch am Ende verloren erscheinen. Auch hier, in der Vision, die ihm den Koffer über den Großen Teich zurücktrieb, kann Seeger nicht bleiben; in gewisser Hinsicht repetiert er das Abhandengekommene, das durch die Rennstallerfahrung nur noch weiter entfernt scheint. Was er sieht, sind die aus der Zeit geratenden Mechaniker, die, redlich oder nicht, im Schatten ihrer Bestimmung weiterwerkeln, in Selbstbeschränkung scheiternd oder dieses Scheitern nicht wahrhaben wollend.

Analog zu einer „Literatur der Arbeitswelt“ fängt diese Prosa das Flair der Arbeitenden, ihrer Beschäftigung zwischen den Epochenbrüchen ein – anders als sie ist Kappachers Schreiben die virtuose technische Zeichnung dieses Wirkens und ohne Aufruf. Dem Ruf der ‚Bigwoods‘ mag man nicht entkommen, zu sehr ist diese Lockung bis in die Desillusion und darüber hinaus gesetzt. Das Verdienst von Walter Kappacher liegt v. a darin, hier die innere Bewegung eines äußerlich nahezu Unbewegten zu schildern, die Überschneidung seines Erinnerns mit der des notwendigen Findens eines Fortgangs. So endet das Buch mit der Blende auf den Grund seines Gehens: der Vater, der ihm weder die Ausbildung noch die Rennstallarbeit zutraut, bleibt als Zweifel über dem Tal, wo dieser eine krude Gastwirtschaft betreibt, eine klapprige Zündapp über die Hänge schiebt und Seegers Mutter schlägt, haften. Dem Helden bleibt trotz seines Heimwehs zu den verölten Blaumännern seiner Jugend nur die nochmalige Abkehr von den Dingen, die, doppelt und vom Schicksal der Ereignisse gebrochen, nicht mehr so sind wie in einer ebenfalls unerträglich gewordenen Ferne erträumt. 

1975 erstmals gedruckt, liegt nun mit der Neuausgabe die dritte Fassung des Textes vor, der sich 1980 nochmal einer Überarbeitung zu unterziehen hatte, nachdem er 1966 und 1974 bereits zwei Aggregatphasen durchlief. Am Vorabend des 40. Jubiläums der Ersterscheinung spannt sich nun damit eine Brücke von den zaghaften Wegen Kappachers, den ‚vernünftigen‘ Berufen für die Existenz des Schriftstellers zu entkommen, bis zum Autor des gefeierten „Fliegenpalast“-Romans, der Stille-Orgie in „Land der roten Steine“; Bücher, für die Kappacher 2009 mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt wurde und so in den auch von offizieller Seite beglaubigten Pantheon deutschsprachiger Dichtkunst gesetzt.

Walter Kappacher
Die Werkstatt
Deuticke, Hanser
2014 · 144 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-3-552-06221-4

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