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Roman
Kickboxen mit Lu – Roman Marchels Versuchsanordnung zeigt Kämpfe um die Sehnsucht im Leben
Als Gegenpol zu dem schwarzen Biker gibt es eine seltsam milchige Gestalt, den bisexuellen Patrice, der die Pension „Zur schönen Gegenwart“ führt und als guter Geist überall auftaucht, wo sich etwas richten, regeln oder lindern lässt: Diskret besorgt er Tulpe die gewünschten Spirituosen und hat gleichzeitig eine Krankenpflegerin vermittelt. Er verschafft ihr sexuelle Erleichterung, und sei es in der Fantasie, lässt an ihrer Stelle, gleichsam als Platzhalter, einen Pensionsgast ins Krankenhaus schaffen, der von der Wollust seiner Partnerin verunfallt ist.
Für Lu, die Patrice‘ Wohltäterschaft wohl spürt und ausspricht, muss dieser nichts tun. Sie ist jung und stark genug, ihre Gegenwart zu meistern.
Im 60. Kapitel geht Lu, die sich ansonsten vor der eigenen „Sintflut“ fürchtet, „über“: Mit Tulpe ein Herz und eine Seele, singen sie zusammen den Moonlight-Song und trinken Whisky. Der Knackpunkt in Roman Marchels Buch ist das, was Lu als zweites Erbe von ihren Müttern mitbekommen hat, die zuerst unverständliche „Blindwut“: Im blindwütigen Zerstören einer Selbsttäuschung, im Aufdecken von Wahrheiten, wird Schmerz ausgelöst. Ein solcher „scharfer Moment des Wissens, der nicht bleibt“ (S. 218) tut weh oder bereitet dem geliebten anderen Schmerz.
Bei Roman Marchel können wir dieses Schrauben ins Innere als das Schreiben verstehen: eine durchaus der Gegenwart verhaftete, forsche Aktivität, ein Selbstexperiment für Mutige, wie Lu eine ist und Tulpe eine war.
Doch dass die sterbende Tulpe, ohne dass Lu es noch weiß, zusammen bringt, was Lu einmal lesen wird und sich seit Langem wünscht, ist das eigentliche Geschenk dieses Buches: Das literarisch vorgebrachte tiefe Schweigen, das Lu als Krönung ihrer Zusammenarbeit vorschwebt und das, wie sie selbst weiß, nicht einmal durch eine unbedruckte Seite dargestellt werden könnte, es gelingt Tulpe: Auf S. 214 findet sie Worte für den stillen Tiefsinn der kalten, klaren Nacht – als einziger, einsamer und wacher Mensch.
Originalbeitrag
Für Lu, die Patrice‘ Wohltäterschaft wohl spürt und ausspricht, muss dieser nichts tun. Sie ist jung und stark genug, ihre Gegenwart zu meistern.
Im 60. Kapitel geht Lu, die sich ansonsten vor der eigenen „Sintflut“ fürchtet, „über“: Mit Tulpe ein Herz und eine Seele, singen sie zusammen den Moonlight-Song und trinken Whisky. Der Knackpunkt in Roman Marchels Buch ist das, was Lu als zweites Erbe von ihren Müttern mitbekommen hat, die zuerst unverständliche „Blindwut“: Im blindwütigen Zerstören einer Selbsttäuschung, im Aufdecken von Wahrheiten, wird Schmerz ausgelöst. Ein solcher „scharfer Moment des Wissens, der nicht bleibt“ (S. 218) tut weh oder bereitet dem geliebten anderen Schmerz.
Bei Roman Marchel können wir dieses Schrauben ins Innere als das Schreiben verstehen: eine durchaus der Gegenwart verhaftete, forsche Aktivität, ein Selbstexperiment für Mutige, wie Lu eine ist und Tulpe eine war.
Doch dass die sterbende Tulpe, ohne dass Lu es noch weiß, zusammen bringt, was Lu einmal lesen wird und sich seit Langem wünscht, ist das eigentliche Geschenk dieses Buches: Das literarisch vorgebrachte tiefe Schweigen, das Lu als Krönung ihrer Zusammenarbeit vorschwebt und das, wie sie selbst weiß, nicht einmal durch eine unbedruckte Seite dargestellt werden könnte, es gelingt Tulpe: Auf S. 214 findet sie Worte für den stillen Tiefsinn der kalten, klaren Nacht – als einziger, einsamer und wacher Mensch.
Originalbeitrag
Roman Marchel: Kickboxen mit Lu. Roman. Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg 2011.