Ganz Ohr

Gedichte

Autor:
Ludwig Steinherr
Besprechung:
Armin Steigenberger
 

Gedichte

Dichtung von Abaelard bis Zoroaster

31.07.2012 | Hamburg

Dichte Sprache. Neue, eindrückliche Bilder. Tiefgründige Beobachtungen. Anspielungsreichtum. Originelle Einfälle, die immer auch eine humorvolle Seite haben. – Dies sind in aller Kürze die herausragenden Merkmale Steinherrscher Dichtung. Und dazu der typische Klang eines Steinherr-Gedichts – ein Wort, das beinahe klingt wie Steinway-Klavier, und – nomen est omen? – auch voller Musikalität ist. Darin klingt etwas!

Das Publikum lausche nun bitte aufmerksam Ludwig Steinherrs neuen Versen: Ganz Ohr ist der Titel seines jüngst erschienenen Gedichtbandes – immerhin sein zwölfter, wenn man die Übersetzung des Bandes Vor der Erfindung des Paradieses mitzählt.

Man sagt, man sei ganz Ohr, wenn man voller Neugierde seinem Gegenüber zuhört und zur Bekräftigung vielleicht sogar noch beide Hände hinter die Ohrmuscheln legt, um wirklich alles zu hören. Ganz Ohr ist in Steinherrs Band zugleich eine Metapher für das Zuhören Gottes. Dein winziges / bebendes Heuschreckenohr / das alles zugleich hören muß – das Rauschen der (Ohr-) Muschel überlagert sich mit dem Lauschen des Ohres. Ganz Ohr heißt auch das vorletzte Kapitel und darin das erste Gedicht.

Gleich beim allerersten Text des Buches Geheime Welt aus dem gleichnamigen Kapitel wird man just in einen anderen Kosmos „enthoben“, um den eine eher kindliche Vorstellung kreist, wie sie auch z. B. in einigen Märchen H. C. Andersens immer wieder vorkommt. So kreist das ganze erste Kapitel um etliche geheime Welten, wo Dinge vor sich gehen, die im verborgenen Reich der Fantasie des Betrachters geschehen.

 

Geheime Welt

 

Schalt das Licht aus

und im Finstern beginnt die Mega-Party ­

 

Was sie nun treiben

Sessel Couchtisch Bilder Regale

kreuz und quer -

 

mystische Besäufnisse

metaphysische Orgien von denen du

keinen Schimmer hast -

 

Der entgeisterte Blick der Stehlampe

als hätte sie sich eben noch

durch Sonne Mond und Sterne geknutscht

mit einem Erzengel

 

Ganz so kindlich sind die Vorstellungen natürlich nicht, denn mystische Besäufnisse oder gar metaphysische Orgien klingen nicht wirklich jugendfrei. Wobei eine metaphysische Orgie ja nun wieder so vergeistigt sein könnte, dass man Jugendliche zulassen darf? Und wo man nur im Transzendenten ausschweift – was wäre schon dabei? Auf der Rückseite des Gedichtbandes lesen wir: Steinherrs Gedichte strahlen in einer knisternden Transzendentalerotik, die sich im Zusammenklang von Metaphysik und Profanität, von Göttlichkeit und geblendeter Abgöttlichkeit innerhalb des Gedichtes auflädt und am Ende häufig in einer Pointe entlädt. (Walter Fabian Schmid)

Zu einem Steinherr-Gedicht gehört nach jeder Strophe ein „typischer“ Bindestrich – heute auch „Minus“ genannt: tänzerische Virgel, die das Schriftbild durchwimmeln – übrigens (abgesehen von ein paar Ausrufezeichen, Fragezeichen und Doppelpunkten) das einzige Satzzeichen, mit dem sie auskommen und durch den der Zusammenhang zweier aufeinanderfolgenden Verse markiert wird. Der Bindestrich eröffnet somit den nächsten Vers. Punkte und Kommata gibt es keine. Auch hierdurch gelingt ein poetisches Sprechen, das sich vom Alltäglichen unterscheidet.

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