Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation

Sachbuch

Autor:
Michael Tomasello
Besprechung:
Willem Warnecke
 

Sachbuch

Bits of philosophic history repeated - Michael Tomasello erläutert „Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation“

Würde nun für ein sich auf FOXP2 beziehendes Evolutionsszenario zur Sprachfähigkeit des Menschen ein Geltungsanspruch erhoben, der über den einer vom jeweiligen Wissensstand abhängigen Plausibilisierung hinausgeht, wären diese Anmerkungen beziehungsweise generell alle neuen Forschungsergebnisse als schwerwiegende methodologische Einsprüche aufzufassen, die die Ergebnisse in ihrer Wissenschaftlichkeit beträfen. Sie würden dann regelrecht die (Prä-)Historie verändern. Wird das Szenario hingegen als einfache Plausibilisierung verstanden, stellen solche Einwände nur eine inhaltliche Kritik dar. Sie fordern lediglich dazu auf, das Szenario zu überarbeiten, um so das Verständnis des jeweiligen Forschungsgegenstandes zu verbessern. Welcher Anspruch nun mit Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation erhoben werden soll, wird aus dem Text leider nicht ganz deutlich.

Außerhalb des Bereichs der eigenen Fachwissenschaft(en) eckt Tomasello mit seinen Ausführungen bisweilen an, inhaltlich etwa bei genuin linguistischen Themen. Zwar greift er dem vorweg: „Linguisten werden, ich ahne es schon deutlich, vor den schrecklichen Simplifizierungen erschaudern, die diese kurze Darstellung komplexer Redekonstruktionen (und gerade auch der ernstzunehmenden Syntax) enthält.“ Solches Erschaudern ist aber gerechtfertigt, wenn bei ihm beispielsweise zu lesen ist: „In manchen Sprachen kommen ganz eindeutige Klassen von Nomen und Verben vor, andere hingegen beschränken sich mehr oder weniger auf eine einzige Klasse, deren Elemente beide Rollen spielen können (wie die englischen Wörter brush [Bürste, bürsten] und kiss [Kuß, küssen]).“ In dieser Darstellung wären nämlich die ‚Wörter‘, auf die sich die Menge der Verben einer Sprache bezieht, direkt die lautlichen oder schriftlichen Ausdrücke (Phonem- oder Graphemfolgen). Eine solche Sichtweise bereitet schon sprachintern etliche Probleme (etwa in Hinsicht auf Homophonien wie ‚Wal‘/‚Wahl‘), allerspätestens aber in Hinblick auf lautliche oder schriftliche Ausdrücke, die in verschiedenen Sprachen vorkommen, etwa deutsch ‚Gift‘ / englisch ‚gift‘ respektive deutsch/englisch ‚arm‘. Tomasello zufolge wären das alles dieselben Wörter. Nein, in der für die Einteilung in Wortklassen erforderlichen semantischen Betrachtung sind Wörter als ‚Lexeme‘ auf einer abstrakten Zwischenebene zu verorten: Der eine Ausdruck ‚brush‘ (der in mehreren Sprachen Verwendung finden mag) bezeichnet im Englischen mehrere Lexeme, von denen eins wiederum einen Gegenstand, ein anderes eine Tätigkeit bezeichnet. Entsprechend sind es die Lexeme, die Wortklassen zuzuordnen sind – und diese Zuordnung ist eine eindeutige.

Ferner gerät Tomasello in Konflikt mit zentralen Einsichten der klassischen Linguistik: „In fast allen Sprachen der Welt, sowohl in den gestischen als auch in den stimmlichen, wird zuerst auf den Akteur/das Subjekt und dann auf den Adressaten/das Objekt in der Äußerung referiert, vermutlich deshalb, weil in der wirklichen Welt kausale Quellen sich typischerweise bewegen und gegenüber den Dingen, auf die sie einwirken oder die sei beeinflussen wollen, aktiv werden. Diese Anordnung hat also zumindest halbwegs natürliche Quellen.“ Denn ungeachtet dessen, dass Tomasello erneut von einem ‚vermutlich‘ auf ein ‚also‘ mit Indikativ kommt, legte doch schon Ferdinand de Saussure dar, warum ein ‚halbwegs‘ in Bezug auf die Rückführbarkeit konventioneller Zeichen(systeme) und ihrer Regeln auf natürliche Gegebenheiten absolut nicht ausreicht: Salopp gesagt ist die Vorstellung von ‚nur halbwegs willkürlich (arbiträr)‘ genauso unsinnig wie die von ‚ein klein wenig schwanger‘.
Zu den Vorbehalten aus philosophischer Sicht sind neben den genannten metatheoretischen Schwächen auch kleine theorieimmanente Ungenauigkeiten zu rechnen. So darf man wohl verwundert sein, wenn in einem Buch, in dem Wittgenstein durch Zitate und Verweise eine so prominente Rolle zugebilligt wird, die Rede ist von „kulturell konstruierten Dinge[n] wie Geld, Ehe und Regierung […], die nur innerhalb einer institutionellen, kollektiv konstituierten Wirklichkeit existieren, an die wir alle glauben und in der wir gemeinsam handeln, als ob es sie wirklich gäbe.“ Bezüglich solcher ungeschickten metaphysischen Aussagen über Gegebenheiten in der Welt ‚hinter‘ der „kollektiv konstituierten Wirklichkeit“ hätte der Philosoph (entsprechend der Anekdote aus Karl Poppers Autobiografie) eventuell auch Tomasello mit dem Schürhaken gedroht.