Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation

Sachbuch

Autor:
Michael Tomasello
Besprechung:
Willem Warnecke
 

Sachbuch

Bits of philosophic history repeated - Michael Tomasello erläutert „Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation“

Ein anderes Geltungsproblem, das sich der Leser vergegenwärtigen möge, betrifft die Art der Argumentation selber. Solche kausalen Erklärungen des phylogenetischen Wandels, wie Tomasello sie vorlegt, sind formallogisch auf die wahrheitsfunktionale Subjunktion (Wenn-Dann-‚Schluss‘) zurückzuführen. Die These ‚Wenn A, dann B.‘ ist dabei allein in dem Fall unzulässig, dass ihr Antezedens (Wenn-Teil) wahr, ihr Sukzedens (Dann-Teil) indes falsch ist. Der Übergang auf ein (von vornherein) wahres Sukzedens ist also von jedem beliebigen Antezedens ausgestattet, also sowohl von einem wahren, als auch von einem falschen. Die eigentlichen Prämissen der Evolutionsforschung sind nun genau jene Sachverhalte, die an die Stelle des Sukzedens treten: im wahrsten Sinne ‚Gegebenheiten‘, beispielsweise die faktischen Eigenschaften des Menschen (unter anderem in Abgrenzung zum Schimpansen). Zwar mag es deutlich unterschiedliche Beschreibungen dieser Gegebenheiten geben, trotzdem sind genau sie der Ausgangspunkt der Rekonstruktion, gleichzeitig aber das Ziel der Argumentation. Wie abhängig das Antezedens im Evolutionsszenario vom Sukzedens ist, wie schwach es also in argumentationslogischer Hinsicht gegenüber diesem ist, wird auch dadurch verdeutlicht, dass es schlichtweg absurd wäre zu behaupten, aufgrund irgendwelcher (früheren) Zustände oder Selektionsvorteile müsste die Welt heute ‚eigentlich‘ anders aussehen (oder sei sogar anders als bislang bekannt): Weil beispielsweise auch ein leistungsfähiger olfaktorischer Sinn das Überleben befördert, müssten Menschen eigentlich genauso gut riechen können wie Hunde (oder könnten es sogar, was bislang nur immer verkannt worden sei). Da nun das Sukzedens in der evolutionstheoretischen Argumentation von vornherein unstrittig ist, läuft eine entsprechende Erklärung auf Grundlage der Subjunktion also schon formal nie Gefahr, als ‚falsch‘ bezeichnet werden zu können. Eine zusätzliche Immunisierung gegen Kritik ergibt sich daraus, dass nicht einmal die empirische Überprüfbarkeit der Erklärung behauptet wird, also die Reproduzierbarkeit der nämlichen Entwicklung im Labor.

Es geht demnach im Evolutionsszenario nicht um ‚Beweise’, nicht einmal um durch Erfahrung Bestätigtes. Schließlich ist keiner der Evolutionsforscher ‚damals‘ selbst dabei gewesen und das, worum es Tomasello geht – Verhalten, Kognition und Kommunikation unserer Vorfahren –, fossiliert nicht, kann also bestenfalls indirekt belegt werden. Vielmehr geht es ‚lediglich‘ um Plausibilisierungen. Diese sind freilich zum Verständnis des jeweiligen Forschungsgegenstandes überaus hilfreich. Manchmal wird dieser Umstand aufgrund von Tomasellos Formulierungen deutlich (kursiviert durch W.W.): „In unser Quasi-Evolutionsgeschichte sind wir nun bei Menschen angelangt“. Einige andere Stellen sind jedoch dahingehend unbefriedigend.

Warum die Falscheinschätzung des Geltungsanspruchs einer Erklärung ein ernsthaftes Problem der wissenschaftlichen Forschung darstellt, mag ebenfalls an einer Passage bei Tomasello verdeutlicht werden: „Genetische Untersuchungen aus jüngerer Zeit haben festgestellt, daß eines der Schlüsselgene, die für die artikulierte menschliche Sprache verantwortlich sind (das FOXP2-Gen), in der menschlichen Population vor nicht mehr als 150000 Jahren praktisch zeitgleich mit dem modernen Menschen erstmals auftraten. Es ist schwierig, sich irgendeine andere Funktion als das artikulierte Sprechen, wie es in modernen Sprachen verwendet wird, für die unglaublich feinkörnige motorische Steuerung vorzustellen, die dieses Gen zu ermöglichen scheint.“ Mindestens wäre zu sagen, dass die Einschränkungen unserer Vorstellungskraft bzw. unseres Beschreibungsvermögens an sich gar nichts belegen: Das Gen ist vorhanden, egal, ob wir uns sein Vorhandensein erklären können oder nicht. Darüber hinaus übersieht Tomasello aber vor allem, dass das 1998 entdeckte sogenannte ‚Sprachgen‘ FOXP2 in neurolinguistischen Fachkreisen längst mit anderen Augen gesehen wird.

Zum einen, da eben umstritten ist, wie sein Einfluss auf die Sprache zu beschreiben ist (siehe oben), da es nur indirekt mit ihr in Zusammenhang gebracht werden kann: Bei einer Mutation jenes Gens treten weitreichende spezifische Sprach- oder Sprechstörungen auf. Überspitzt könnte man aber sagen, dass auch eine löchrige Kraftstoffleitung oder das Fehlen des Zündschlüssels jeweils weitreichende spezifische Störungen des Fortbewegungsvermögens eines Automobils hervorrufen – ohne, dass deswegen eins dieser beiden Bauteile als (der) ‚Fortbewegungs-Verursacher‘ angesehen würde. Zum anderen wurde das Gen inzwischen auch bei vielen Tieren gefunden, selbst solchen außerhalb der Klasse der Säugetiere. Artikuliert sprechen – oder auch nur ähnlich wie Menschen miteinander kommunizieren – können sie alle nicht (diesbezüglich sind schließlich nicht zuletzt die empirischen Studien aus Tomasellos Umfeld aufschlussreich). Wie könnten also, um wieder obigen Vergleich zu bemühen, Kraftstoffleitung oder Zündschlüssel als für just die Fortbewegung „verantwortlich“ angesehen werden, wenn sie beispielsweise auch in Motorsägen oder stationären Kranen vorkommen?

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