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Dass es solche Bücher noch gibt… Ein Buch voller Aphorismen: Geistvolle Feinheiten, bitterböse Polemiken, beißender Spott… Ein Buch zum Blättern, zum Verweilen, zum Innehalten, zum Nachdenken, zum Freuen und zum verständnislosen Kopfschütteln. Kompliment dem Berliner Verlag Matthes & Seitz, der ein solches Buch in Zeiten zum Hang geistloser Bestseller publiziert. Schließlich ist weder Jules Barbey d’Aurevilly ein bekannter französischer Autor, noch die Gattung Aphorismen eine Garantin ausverkaufter Auflagen. Umso lobenswerter, dass ein Verlag sich die Mühe macht, einen vergessenen französischen Autor aus vormodernen Zeiten zu publizieren. Jules Barbey d’Aurevilly wurde 1808 in Saint-Sauveur-le-Vicomte in der Normandie geboren. 1833 ging er nach Paris, wo er das Leben eines Dandys führte und zahlreiche sentimentale Affären pflegte. Später »konvertierte« er und vertrat konservativ-katholische und monarchistische Ansichten. Er vertrat reaktionäre Meinungen und schrieb über Themen, die denen eigentlich zuwider standen. So etwa sein Roman über »Une vieille Maîtresse«, den Matthes & Seitz gerade in einer neuen Übersetzung veröffentlicht hat. 1874 veröffentlichte Barbey sein Hauptwerk »Les Diaboliques«, eine Ansammlung kurzer Geschichten über kriminelle Handlungen einer Frau. Dieses Buch war ein großer Skandal und vermutlich deshalb ein großer Erfolg. Jules Barbey d’Aurevilly starb 1889 in Paris. Jules Barbey repräsentiert eine spezielle Mischung des französischen Kulturlebens, die hin und wieder auftaucht: große Stilisten mit meist reaktionären Ansichten. Alphonse de Châteaubriant ist eine ähnliche Gestalt aus dem 20. Jahrhundert. Die Moderne ist ihr großer Feind, weil deren Entwicklungen ihre romantische Vorstellung, der Mensch sei in Gemeinschaft eingebettet, zerbricht. Unsere genannten Dichter und Denker leiden darunter und wehren sich, ohne Erfolg. Soziale, gesellschaftliche Entwicklungen lassen sich nun mal nicht aufhalten, die katholische Kirche kann ein Lied davon singen. Ihr Versuch, die Säkularisierung aufzuhalten, endete mit der politischen Bedeutungslosigkeit. Man kann diese Haltung deshalb als ein wenig naiv bezeichnen, aber in der Naivität liegt eben auch ein unreflektiertes Vertrauen auf Heil. Nichtsdestotrotz kann Jules Barbey d’Aurevilly einem halbwegs aufgeklärten, den Werten der Demokratie verpflichteten Menschen des 21. Jahrhunderts nur schwerlich sympathisch sein. Über die Demokratie schreibt er: »Die Demokratie erwecket den Anschein, das Gesetz der modernen Welt zu sein, dabei ist sie ihre Strafe.« Über Parteien folgendes: »Solange man sich der Sprache der Parteien bedient, geht man ihren Lügen auf den Leim.« (Meines Erachtens nach hat er hier Recht, Anmerkung des parteilosen Redakteurs.) Zu Frauen fällt ihm eigentlich nichts Positives ein, lediglich als Geliebte scheinen sie einen Zweck ihres Daseins zu erfüllen. »Wenn die Frauen wüssten, wie sehr wir ihnen manchmal aus dem Weg gehen, eben weil wir sie lieben.« Klischeehaft und dennoch schön formuliert ein weiteres Bonmot: »Am besten verstehen sich die Frauen darauf, Wunden zu schlagen, am zweitbesten darauf, sie zu verbinden.« Warum sollte man dieses Buch dennoch in die Hand nehmen und darin blättern? Eben weil wunderschöne Formulierungen und Bosheiten darin zu finden sind. Wunderbar zum Beispiel sein Kommentar zu Schopenhauer: »Er verprasste sein zu Besserem geschaffenes Gehirn in der Hohlheit eines Systems, und doch war Würze in seinen Worten und Salz in seinem Geist. Er war geistreich, obwohl er Deutscher war.« Aber nicht nur über Deutsche äußert er sich lasterhaft, über den Empereur schreibt er: »Napoleon dachte in Stiefeln; er war zu beschäftigt, um die Nuancen zu sehen.« Manchmal schaffen es die Aphorismen Barbeys, wundervolle Kommentare zur heutigen Zeit zu liefern. Oder halten Sie folgende Einschätzungen nicht auch für eine schöne Auslassung zur Lage im Jahr 2008: »Ohne Reichtum geht nichts in dieser Welt, die dem goldenen Kalb huldigt, dem goldenen Esel und allen anderen goldenen Tieren samt ihren Exkrementen.« Oder: »Kann man begreifen, wie wenig Talent man braucht, um Erfolg zu haben …?« Ebenfalls ein schöner und treffender Kommentar zu all den politischen Bestrebungen zur inneren Sicherheit, die seit geraumer Zeit durch die Köpfe strammer Politiker rauschen: »Je höher sich ein Volk zur Zivilisation erhebt, desto mehr verkommt die Regierung zu einer Polizei.«
Nein, die Aphorismen von
Jules Barbey d’Aurevilly sind nicht zeitgemäß, oft sind sie hoffnungslos
altmodisch und veraltet. Und dennoch lassen sich einige aktualisieren. In ihnen
steckt ein Gedanke, eine Idee, eine Wahrheit, die die Zeiten und Jahrhunderte
überdauern, weil sie den Kern zwischenmenschlicher und gesellschaftlicher
Verhältnisse thematisieren. Und noch viel wichtiger: Diese Aphorismen sind
Mementi Mori. Sie erinnern uns daran, dass auch unsere eigenen Gedanken, die wir
vielleicht selber als fortschrittlich und progressiv begreifen, nur kühn im Hier
und Jetzt sind. Machen wir uns nichts vor: In hundert Jahren werden die Menschen
über unsere Ansichten die Köpfe schütteln, böse spotten oder einfach nur
herzhaft lachen. Es sei ihnen vergönnt. In diesem Sinne mein Lieblingsvers von
Jules Barbey d’Aurevilly: »Die größte Gabe des Genies ist es, den Standpunkt
wechseln zu können oder es gerade nicht zu können.«
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