Belletristik
Romane, Erzählungen, Novellen & Lyrik
Blutige Ernte
Krimis, Thriller & Agenten
SF & Fantasy
Elfen, Orcs & fremde Welten
Quellen
Biographien, Briefe & Tagebücher
Geschichte
Epochen, Menschen & Phänomene
Politik
Theorie, Praxis & Debatten
Ideen
Philosophie & Religion
Kunst
Ausstellungen, Fotobücher & Bildbände
Tonträger
Hörbücher & O-Töne
Videos
Literatur in Bild & Ton
Literatur Live
Veranstaltungskalender
Zeitkritik
Kommentare, Glossen & Essays
Autoren
Porträts, Jahrestage & Nachrufe
Verlage
Nachrichten, Geschichten & Klatsch
Film
Neu im Kino
Klassiker-Archiv
Übersicht
Shakespeare Heute
Shakespeare Stücke
Goethes Werther,
Goethes Faust I,
Eckermann,
Schiller,
Schopenhauer,
Kant,
von Knigge,
Büchner,
Mallarmé,
Marx,
Nietzsche,
Kafka,
Schnitzler,
Kraus,
Mühsam,
Simmel,
Tucholsky
Die aktuellen Beiträge werden am
Monatsende in den jeweiligen Ressorts archiviert, und bleiben dort
abrufbar.
Wir empfehlen:



Andere
Seiten
Diskutieren Sie
mit Gleichgesinnten im
FAZ Reading Room
Joe Bauers
Flaneursalon
Gregor Keuschnig
Begleitschreiben
Armin Abmeiers
Tolle Hefte
Curt Linzers
Zeitgenössische Malerei
Goedart Palms
Virtuelle Texbaustelle
Reiner Stachs
Franz Kafka
counterpunch
»We've
got all the right enemies.«
Riesensexmaschine
Nicht, was Sie denken?!
texxxt.de
Community für erotische Geschichten
Wen's interessiert
Rainald Goetz-Blog
|
Schlechte Reklame für ein gutes Buch
Über Robert Merles biographischen Roman
»Der Tod ist mein Beruf«
Unter der Headline »Littells
Vorläufer: 'Der Tod ist mein Beruf'« hat der Schriftsteller Rolf Schneider in der
Welt vom 21.02.2008 nicht zu Unrecht die Kürze des
literaturgeschichtlichen Gedächtnisses beklagt, und in
einem knappen Statement auf den
bereits 1952 bei der
Éditions Gallimard erschienenen Roman »Der Tod ist mein Beruf« von Robert Merle
hingewiesen, das er mit dem Satz krönte:
»Merles Roman ist genau das, was an
jenem Littells gerühmt wird: groß und kalt.«
Und genau das steht jetzt als verkaufsfördernder Slogan auf der knallroten Bauchbinde der neuen broschierten
Ausgabe des Romans, dessen Covergestaltung der französischen Originalausgabe von Littells »Wohlgesinnten«, nun sagen wir mal zurückhaltend, nachempfunden worden
ist, und die mit einer ganzseitigen Anzeige in Buchhandelsmedien beworben wurde.
Das ist Huckepack-Marketing der dreisten Art, ebenso einfalls- wie
geschmacklos, und es degradiert Merles grandiosen Roman zu dem Vorläufer-Modell
eines provokant ambitionierten Schreibprojektes, dessen konzeptionelle und literarische
Qualitäten auch nicht ansatzweise an die Meisterschaft Merles heranreichen.
Dessen
biographischer Roman »Der
Tod ist mein Beruf« (im französischen Original »La mort est mon métier«, die
deutsche Ausgabe erschien erstmals 1957 im Aufbau-Verlag) beschreibt das Leben
des Rudolf Höß, im
Buch heißt er Rudolf Lang, der als Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz
für die Vernichtung von 1,5 Millionen Menschen verantwortlich war (die Zahl
basiert auf Berechnungen von Höß selbst, die er im April 1946, während seiner
Aussagen im Nürnberger Prozess vorlegte, und die
mit den von der Auschwitz-Gedenkstätte
veröffentlichen Zahlen von 1,1 – 1,5 Millionen übereinstimmen.)
Daß
der Roman konsequent aus der Täter-Perspektive geschrieben ist, war Anfang der
50er Jahre in der Tat ein Tabubruch, und das Buch fand in der deutschen
Landschaft des Vergessens keinen ihm angemessenen Platz. Das änderte sich erst,
nachdem der Roman 1977 als (west)deutscher Spielfilm mit dem Titel
Aus einem deutschen Leben unter der Regie von Theodor Kotulla - mit einem
beklemmend guten Götz George in der Hauptrolle - verfilmt worden war.
Merles psychogrammatische Charakterstudie, die sich in der ersten Hälfte des Buches eingehend mit
der Kindheit und Jugend des Rudolf Lang und der ihn prägenden Gestalt des streng
katholischen, gefühlskalten und krankhaft pedantischen Vaters befaßt, basiert auf den Untersuchungsergebnissen des amerikanischen Psychologen Gustave M. Gilbert, der Höß nach einer Reihe von Gesprächen in dessen Haft schiziode Apathie attestiert
hatte.
Bei der Beschreibung
von Langs
Weg als Kriegsfreiwilliger im Nahen Osten während des Ersten Weltkrieges,
Freikorpsmitglied in Litauen, dem Rheinland und Oberschlesien, seiner
Parteikarriere in der NSDAP, SA und SS bis zum Kommandant in Auschwitz stützte
sich Merle auf Dokumente des Nürnberger Prozesses und die Notizen, die Rudolf
Höß in polnischer Haft angefertigt hatte.
Das
Erschrecken über sich selbst
Merle hat den Nimbus der moralischen Unanfechtbarkeit der Nachgeborenen mit
einem Buch gebrochen, das ohne eine Zeile Zynismus auskommt. Es provoziert durch
seine Unmittelbarkeit und Klarheit in der Darstellung der Figur Langs, auch weil
es nichts erklärt, nichts relativiert und nichts bewertet. Die einzigartige
Qualität von Merles Roman besteht darin, daß sich beim Lesen, unerwartet,
Mitgefühl und Verständnis für den Protagonisten einstellt, das schließlich in
die erschütternde Erkenntnis mündet: Ja, das hätte mir auch geschehen können.
Ich verstehe, wie aus dem geschundenen Knaben Rudolf Höß das »Monster« von
Auschwitz werden konnte.
Eine Erkenntnis, die sich jede neue Generation von Nachgeborenen selbst wird
erarbeiten müssen. Und je weiter sich die monströsen Dimensionen des Schreckens
des Holocaust in die Geschichte verflüchtigen, umso wichtiger werden Bücher wie
dieses sein, ganz und gar gleichgültig was vorne drauf steht.
Herbert Debes
|
Robert Merle
La mort est mon métier
Éditions Gallimard, Paris 1952,
ISBN 2-0703-6789-4
Der Tod ist mein Beruf
Übersetzt von Curt Noch
Aufbau-Verlag, Berlin 1957
ISBN 3-7466-1212-8 |