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Einblicke in die Denkwerkstatt
Hannah Arendts
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Ein ungewöhnlicher Auftakt Es ist gewiss ungewöhnlich, eine auf siebzehn Bände angelegt Kritische Gesamtausgabe der Werke Hannah Arendts mit einem Band zu eröffnen, der so nie veröffentlicht worden ist. Aber was ist schon gewöhnlich an diesem Projekt, das nicht nur als Hybrid-Edition (Print und Digital) konzipiert ist, sondern auch die Mehrsprachigkeit Arendts berücksichtigt und erstmalig alle veröffentlichten und unveröffentlichten Werke Hannah Arendts »im Sinne einer wissenschaftlich gesicherten Textgrundlage zugänglich machen« möchte? Es handelt sich um ein Großprojekt – erarbeitet aus Quellen der Library of Congress, des Deutschen Literaturarchivs in Marbach und des Bard College in New York, sowie aus bis dato unbekannten Dokumenten; ein Projekt, das Zeit und Geld kosten wird, und von dem zu hoffen bleibt, dass über die bereits finanzierten vier Bände hinaus Mittel zur Verfügung gestellt werden, um diese bedeutende Edition zu Ende zu bringen. Im Jahre 2030/31 soll die Edition dann mit dem letzten Band, dem Denktagebuch, dessen Kern etwa zur gleichen Zeit wie die Texte des vorliegenden Bandes entstand, abgeschlossen sein. Ein eigener Band mit Briefen ist – wohl nicht zuletzt angesichts der Menge an Korrespondenzen – nicht vorgesehen. Die Mangelhaftigkeit der Tradition Das unveröffentlichte, weil zeitlebens unvollendet gebliebene Buch mit dem Arbeitstitel »The Modern Challenge to Tradition« sollte ursprünglich eine Auseinandersetzung mit der Tradition der politischen Theorie – insbesondere mit Karl Marx – werden. Der nun erschienene Band 6 der Gesamtausgabe zeichnet den Arbeitsprozess dieses Werks nach und führt verschiedene Versionen eines Manuskripts vor Augen, das in den Jahren 1951 bis 1954 entstand. Die Herausgeber schreiben hierzu: »Manchmal schrieb sie [Arendt] Kapitel für Vorträge um, manchmal Vorträge für Kapitel, so dass die Typoskripte Palimpseste unterschiedlicher Schreib- und Darstellungsweisen bilden ...« (S. 821f.) Hieraus entstand eine Reihe von Essays, die Arendt in vielen Fällen jedoch gar nicht publizierte. Der zentrale Text »Ideologie und Terror« erschien in der deutschen Fassung (1955) von »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« letztlich als Schlusskapitel. Thematisch gibt es ohnehin zahlreiche Überschneidungen mit ihrem Totalitarismus-Buch. Hier wie dort spielen Begriffe wie Terror, Ideologie, (totale) Herrschaft und die eigentümliche Strukturlosigkeit totaler Regierungen eine wesentliche Rolle. Allerdings fragt das Totalitarismus-Buch danach, wie geschehen konnte, was in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschehen ist, der vorliegende Band geht dahingegen der Frage nach, warum die politische und geistesgeschichtliche europäische Tradition nicht in der Lage war, gegen die Barbarei etwas auszurichten. Vorbildliche Edition Der Kommentar der Herausgeber schildert die Quellenlage und die Probleme bei der Rekonstruktion von Arendts unvollendetem Projekt, das sie mit Hilfe ihrer aus Europa geretteten Bibliothek in Angriff nahm und mehrmals umarbeitete, doch auf Grund der Fülle der Fragen und der daraus resultierenden, zeitaufwendigen Herausforderungen beim Schreiben nicht abschließen konnte. Berücksichtigung findet schließlich auch der persönliche historische Kontext, in dem die Arbeiten entstanden sind. Die Kommentare zu den Einzeltexten legen dar, aus welchem Anlass die Texte entstanden sind, verzichten jedoch weitestgehend auf eine Interpretation.
Der Arbeitsaufwand für diese Edition ist von außen kaum zu ermessen. In erster
Linie ist der Auftaktband wissenschaftlich relevant; ein Lesevergnügen, wie
viele andere Arendt-Texte, bietet er indes freilich weniger. Aber dieses
»Fragment« gibt – auch wenn es niemals in dieser Form publiziert wurde – einen
aufschlussreichen Einblick in die Arbeitsweise Arendts. Es ist beinahe
überflüssig zu erwähnen, dass hier eine vorbildliche Editionsarbeit geleistet
wurde, die durch die digitale Version (im Open Access) vollendet werden wird. |
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