Lino Wirag

Angenehm uncool schreiben

Mit dem Notizbuch im Baumarkt


Lars Weisbrod, 1985 geboren, studiert in Köln und ist Redakteur der Literaturzeitschrift „Exot“. Gerade hat er sein zweites Buch "Oh, wie schön ist Parkhaus 4" veröffentlicht, in dem er sich auf "Reisen um die Ecke" begibt. Außerdem schreibt er Beiträge für das Weblog Riesenmaschine. Im Interview spricht er über Notizen in Nachtclubs, Amazon-Rezensionen und das leichte Handwerk des Schreibens.

lit: "Parkhaus 4" ist ein Beobachtungsbuch. Mit einer Symptonschweiflinse, durch die alles komisch gebrochen erscheint. Wie hast du gearbeitet? Mit dem Notizbuch in den Baumarkt? Oder alles ausgedacht in der heimischen Schreibklause?

Weisbrod: Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich mir etwas ausdenke. Bei solchen Geschichten wie in "Parkhaus 4" ist Ausdenken ja bloß Abstraktion aus der Erinnerung. Und die Grenzen zwischen Erinnerung und einem Realitätsprotokoll sind immer, was von Grenzen oft behauptet wird: fließend.
Den meisten der Erlebnisse würde es den Reiz rauben, wenn sie bloß ausgedacht wären. Von Fiktion erwartet man vermutlich einfach mehr Originalität. Deswegen habe mich darauf beschränkt, nur ganz selten zu lügen und auch nur dann, wenn es eh egal war.

Ich belausche lieber

lit: Und wie sieht das dann aus?

Weisbrod: Ich stand mit meinem Notizbuch im Baumarkt, am Flughafen, in der Spielwarenabteilung und in Nachtclubs – was ich eher als unangenehm empfand. Ich hatte kein gutes Notizsystem und Angst, für einen Spion gehalten und rausgeschmissen zu werden. Gerade bei solchen Geschichten melde ich mich ungern als Journalist an – damit verpasse ich aber vielleicht auch Möglichkeiten, die ich undercover nicht habe. Doch wenn man sich als Journalist ausgibt, sagen die Menschen oft nur, was man sich sowieso hätte denken können.
Ich belausche lieber. So erklärt sich auch, dass meinen Reportagen fehlt, was andere Reportagen ausmacht: Protagonisten. Manchmal habe ich statt Papier und Stift auch das Diktiergerät meines Handys verwendet (allerdings fällt man damit ja noch mehr auf!). Viel hilfreicher ist die immer verfügbare Handykamera.
Beim Notieren fühle ich mich noch unsicher: Ich hoffe da auf neue Entwicklungen, so etwas wie eine Maschine, die bestimmte Gedankengänge mitprotokolliert.

lit: Beeindruckt hat mich ja der Satz: "Schreiben ist kein Handwerk und erst recht keine Mühe. Wenn ein Text Mühe macht, sollte man ihn in die Mülltonne werfen. Man braucht eigentlich nur zwei Dinge, um sich etwas auszudenken: grenzenlose Aufmerksamkeit und von außen erzwungenes Nichtstun (Zugfahren, Duschen)." Hat sich auch die Arbeit am "Parkhaus" so gestaltet bzw. würdest du das immer noch so formulieren?

Weisbrod: Es ist albern, wenn ich irgendwem Ratschläge gebe, wie Schreiben funktioniert. Ich würde mich nicht mehr trauen, das noch so zu sagen. Als ich das geschrieben habe, habe ich die Notlüge gebraucht, noch nie etwas veröffentlicht zu haben, um wie ein Außenstehender zu erscheinen, der so etwas behaupten darf. Das war eine Reaktion auf die Penetranz, mit der die Leute immer sagen: „Schreiben ist hartes Handwerk.“ Nein, nicht mal auf die Penetranz, sondern auf die Art, wie diese Aussage als revolutionäre Erkenntnis gefeiert wird! Das fordert mich zum Widerspruch heraus, ob ich damit richtig liege oder nicht.
Ich könnte zur Verteidigung der These ins Feld führen: Schreiben als Mühe zu betrachten, sinnentleert doch das Wort „Mühe“. Ich möchte das Wort „Mühe“ aber gerne behalten, um das Schreiben davon abzugrenzen, was bei anderen Arbeiten auftritt – zum Beispiel Reiskörner nach ihrer Größe zu sortieren.
Sich etwas auszudenken ist aber das Gegenteil: Es macht Spaß! Mit Konsequenz an der Sache dranzubleiben, macht dann vielleicht Mühe. Aber ich möchte nicht zu denen gehören, die diesen Teil des Schreibens so aufs Podest heben.

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Copyright © Lino Wirag – May 15, 2008