Jan Berning

Dunkel bis postmodern

In seinem Roman „Die dunkle Seite des Mondes“ spielt Martin Suter mit Drogendiskursen und psychologischem Wissen


Hängenbleiben

Dabei kommt ihm zu Gute, dass er über ein Thema schreibt, zu dem die Wenigsten bisher eigene Erfahrung sammeln konnten. Zu groß die Angst, wie Blank, „hängenzubleiben“, eine psychotische Störung davon zu tragen, und das zu Recht. Das Pilzritual erträgt Urs Blank zudem nicht freiwillig, sondern um seiner Freundin einen Gefallen zu tun; gute Vorraussetzungen für ein negativ verlaufendes Drogenerlebnis.

Junkie

So weit zu den Fakten. Bleibt die Frage, wie viel Absicht hinter diesem Unternehmen steckt. Denn Suter ignoriert nicht nur psychologische Erkenntnisse, er stellt auch den Drogendiskurs auf den Kopf.
Erinnern wir uns: An den Hippie-Diskurs der 60er, der durch das Streben nach Erleuchtung und Gemeinschaft geprägt war, an den Junkie-Diskurs der 70er, der sich im Gegensatz dazu durch Abgrenzung von anderen, durch Verlorenheit und Coolness auszeichnet, vielleicht an den der Neunziger, als Ecstasy die kontrollierte gemeinschaftliche Ekstase hervorrufen sollte. Suter zitiert hier Vorstellungen der Hippies. Statt sich durch den Pilz jedoch mit dem Kosmos und der Gemeinschaft verbunden zu fühlen, wird Blank im weiteren Verlauf des Romans immer mehr zum Einsiedler, der sich von der Gesellschaft abgrenzt, wie der Junkie. Sein Stoff ist der Wald, sein High das Überleben. Dass Suter somit die Antithese zum Kollektiv-Gedanken der 60er aufbaut, kann kaum Zufall sein. Auch dass er am Ende die Kurve zum Entwicklungsroman kriegt, dessen Gegenentwurf er bis dahin betrieben hat, wirkt sarkastisch: Der Staranwalt Blank, der durch Drogen zum Monster wird, findet schließlich im Wald seine Erfüllung, und aus dem Businessmann ist ein Hippie geworden. Dieser letzte Schlenker deutet darauf hin, dass Suter wissentlich Diskurse gegeneinander ausspielt, den Entwicklungs- und Drogenroman damit parodiert und als überholt ausstellt.

Manipulation

Natürlich kann man „Die dunkle Seite des Mondes“ auch als postmodernes Buch lesen, in dem Diskurse der Lächerlichkeit preisgegeben werden und Wissen nur dazu dient, die Spannung zu stützen. Von dieser Seite aus betrachtet ist es ein geniales Buch, verknüpft es doch Gerüchte zu den Themen Drogen und Psychologie zu einer Geschichte, die unter dem Mantel der Seriosität eines hoch gelobten Autors Behauptungen aufstellt und glaubhaft macht, die beim genaueren Blick in sich zusammenfallen müssen, für den Zeitraum des Lesens aber sinnvoll sind. Suter spielt dieses Spiel der Manipulation in seinem Roman auf einem hohen Level. Welchen Schaden er anrichtet, wenn er wissenschaftliche Erkenntnisse mit Gerüchten und Fantasie einkocht und drucken lässt, steht auf einem anderen Blatt. Dass halluzinogene Drogen den einen oder anderen Konsumenten zum Pflegefall machen können, ist bekannt. Jemand aus einem psychedelischen Trip als Monster erwachen zu lassen – diesen Schritt erlauben wir Suter nur dann, wenn wir uns bewusst sind, dass Literatur manchmal vor allem eines will: unterhalten.

Martin Suter: Die dunkle Seite des Mondes. Diogenes Verlag, Zürich 2001. 315 Seiten, Paperback. 9,90 Euro.

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Copyright © Jan Berning – Apr 15, 2008