Tessa Müller

Ihr lieben 68er

“I can`t get no” ist die Dokumentation eines Wiedersehens. Sie berichtet von dem Rausch der Revolte und seinen Nebenwirkungen. Sie soll uns 68er-Kinder erklären, warum unsere Eltern so „seltsam“ sind


„Ihr lieben 68er“, singt Peter Licht, „danke für alles, ihr dürft jetzt gehen.“ Die 68er sollen doch Diaabende machen, meint er, und sich dabei untereinander von der Revolution erzählen. „Aber“, heißt es weiter „bitte ruft uns nicht an.“ Und ja, Peter Licht hat Recht: Sie nerven, diese 68er. Gerade in diesem Jahr nerven sie besonders. Da feiert das Jahr der großen Studentenrevolte Jubiläum, und auf einmal kommen sie wieder aus ihren Kanzleien und Arztpraxen gekrochen und werfen mit ihren Memoiren um sich, wie früher mit Pflastersteinen.

Die 68er, aus heutiger Sicht vielleicht die Strebergeneration des 20. Jahrhunderts, das sind die, die jugendkulturtechnisch immer alles richtig gemacht haben und sowieso immer die Ersten waren. Die erste junge Generation, die vernünftig angezogen war, die vernünftige Musik gehört hat, die wusste, wie man vernünftig feiert, die massiv Einfluss auf die Politik genommen und ganz nebenbei auch noch Geschichte geschrieben hat. Das Schlimmste aber daran: Die 68er, das sind unsere Eltern. Das sind Bernd, Retta, Uli und Magda, das sind die, die unseren Freunden immer gleich das „Du“ anbieten. Die am Abendbrottisch sitzen und sagen: Ich weiß noch wie ich im Radio das ERSTE MAL „Strawberry Fields“ von den Beatles gehört habe.

Und das Problem: Man kommt einfach nicht um sie herum. Schon gar nicht im Jahr 2008. Der größte Bücherladen Hildesheims hat, um den vielen Neuerscheinungen gerecht zu werden, sogar einen Extra-Alt-68er-Büchertisch eingerichtet. Und dort, neben den Memoiren von Uschi Obermeier und ihrem polyamourösen Ex aus der Kommune I, liegt auch ein Buch, das man lesen sollte: „I can`t get no“. Dieses Buch, herausgegeben von Irmela Hannover und Cordt Schnibben, ist die Dokumentation eines Wiedersehens. 16 Leute, die Ende der 60er Jahre zusammen in Bremen auf die Schule gingen, treffen sich fast vierzig Jahre später wieder. Sie verbringen ein Wochenende zusammen, um festzustellen, wieviel noch übrig geblieben ist von der subversiven Energie, die sie früher antrieb, und um eine Bilanz zu ziehen.

Und: Nein, es werden keine Dias gezeigt, jedenfalls erfährt der Leser davon nichts. Man trifft sich in einer Art Konferenzraum im Diedrichshof in Worpswede. Ein Foto zeigt: Große Fenster und wallende Gardienen. Ölbilder an den Wänden. Vor den Diskutanten auf den Tischen: Handys, Digitalkameras und Apollinaris Flaschen. Und bevor man sich noch über dieses Ambiente lustig machen kann, tun sie es selbst: „[…] es sieht mehr nach Abrüstungskonferenz aus denn nach Wiedersehensorgie.“ Die „revolutionären Subjekte“ von damals sind heute Staatsanwälte, Ärzte, Journalisten, Hochschullehrer und Politiker. Früher blockierten sie die Bremer Straßenbahn, kifften zusammen, gingen zu „Dutschke“ in die Lila Eule und im „Beat- Club“ tanzen. Dann kam der Zeitpunkt, da trennten sich ihre Wege. Und wo stehen sie heute?

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Copyright © Tessa Müller – Sep 15, 2008