„Das ist Rauchen!“Zweite Kolumne, die eine Reise durch die Heterotopien Amerikas unternimmt und illustriert, wie und wo man sich auch dort noch in mäßigen Grenzen zugrunde richten kann „Er hat also mit dieser Sache hier angefangen“, sage ich jetzt. „Daher sehe ich es gar nicht ein, warum ich nun seine Stimmungen balancieren soll.“ Reisebegleiter II schüttelt den Kopf: „Er hat gar nicht angefangen. Du hast angefangen, mit deiner Hauruckpädagogik. Raucher hin oder her: Die Umerziehung vom Burschenschaftler zum normalen Menschen braucht Zeit. Erkenntnis will reifen: Erstmal deutscher Idealismus, dann Schopenhauer, Nietzsche. Nicht gleich Sartres Alte auf Reisen. Insofern: Selber schu...“ Undankbar sind sie auch, denke ich, und denke auch weiter, dass uns niemand dazu verpflichtete, jenen unbekannten Deutschen mit auf Tour zu nehmen, den wir am gleichen Tag, kurz vor der Abreise, im Tobacco Land unserer „Heimatstadt“ St. Louis trafen. „Jungs, sagt mal, ihr findet doch auch: Den Laden hier muss Foucault im Kopf gehabt haben, als er seine Heterotopien ‚tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind’ nannte“, begann der zu labern, als er uns Deutsch reden hörte. Erst wollten Begleiter I und ich uns abwenden, einvernehmlich angeekelt vom Gehabe des Ray Ban-Brillenträgers. Doch beim Abwenden sahen wir uns (zwangsläufig) um, sahen Ladeninhaber Josh, seines Zeichens komplettgebatikter „Vietnam Veteran against the war“, sahen die großen Schilder der Indie-Tabakmarke American Spirit und das kleine mit „God bless America“. „Forrest Gump scheint so nah, Jessica Simpson so fern, gell?“ sagte der Fremde ganz nah an unseren Ohren. Wir sagten nichts mehr und nahmen ihn mit. „Das erzählst du jetzt nur so negativ, weil er schlauer is als du“, schaltet sich Reisebegleiter I ein, der wieder zur Sprache gefunden hat. Und ein schwaches Gedächtnis haben sie auch, denke ich nun. „Fouc aultff!“ hatten wir noch gemeinsam gesagt, als der Fremde, da bereits Reisebegleiter II, kaum im Flughafen erneut zu räsonieren begann. „Flughäfen“, sagte er, nachdem wir den Security Check passiert hatten, „sind ja an sich schon die ultimativen Heterotopien.“ Und kaum hatten wir einen fensterlosen Glaskasten betreten, in dem wir mit schwarzem Reinigungspersonal und krähenfüßigen Stewardessen ein freudloses Rauchen pflegten, war es auch schon weitergegangen: „Was sind dann erst Raucherbereiche an amerikanischen Flughäfen, also Heterotopien innerhalb von Heterotopien, wo man auch noch der Heterochronie Zigarette ...“ „Gute Orte, um sich in mäßigen Grenzen zugrunde zu richten“, unterbrach da Reisebegleiter I. In diesem Moment liebte ich ihn. Copyright © Johannes Schneider – May 15, 2008 |
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