Johannes Schneider

With God on my side

Dritte Kolumne, die in einer christlichen Jugendbegegnungsstätte beginnt, sich daraufhin für uneingeschränkte Nachsicht mit Religionsstiftern ausspricht und schließlich in „Brausigkeit“ (fortgeschrittenes Stadium) gipfelt


Aber die überspannte Hermetik sei Jesus natürlich zu gönnen, wie man generell Religionsstiftern mehr durchgehen lassen sollte als beispielsweise Durs Grünbein: Religionsstifter werden bekriegt, ans Kreuz genagelt oder ständig wiedergeboren, nur, damit wir hinterher Kirchen und Tempel haben, in deren Kellern wir hohen moralischen Standards mit gutem Gefühl nicht (!) genügen können. Das ist aller Ehren wert. Die Kirche ist eine tolle Sache. Sie hat mir alles gegeben: den ersten Vollrausch, die erste Zigarette, den ersten Spliff. Und als ich dann ganz unten war, kümmerte sie sich rührend um mich. Einmal, ich war 15, hatte ich das Gefühl, einen Infekt zu bekommen. Ich sagte dies der skrupellosen Pfarrerin. Sie nahm einen tiefen Zug, bekam einen Hustenanfall, bei dem Gestein und Lava durch ihren Rachenraum zu poltern schienen, und sagte dann: „Also, meiner Erfahrung nach kann man Infekte auch einfach wegrauchen.“

Ich glaubte ihr damals nicht, erinnerte mich aber ihrer Worte, als nun, acht Jahre später, ausgerechnet am Tag vor der großen Graduate School Party im Blueberry Hill, eine neue Erkältung heraufdämmerte. „Diese wird weggeraucht“, dachte ich, bekämpfte den akutesten Schmerz mit Aspirin, zog zur Kneipe, trank dort – wegen des Aspirins – wenig, rauchte dafür umso mehr. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war die Erkältung verschwunden. Gerne hätte ich da eine hardcorechristliche Kackbratze getroffen, um ihr von diesem Wunder der Unvernunft zu berichten. „Der Herr schützt auch die kleinen Sünder“, hätte ich dem frommen Wunderwesen aus der Giftküche des evangelikalen Fundamentalismus gesagt, und wenn es mir dann mit Blendwerken des Satans gekommen wäre, hätte ich ihm zünftig ein paar in die Fresse gehauen. Ich traf aber nur meinen engeren Freundeskreis, fünf Drag Queens und einen radikalliberalen Ron Paul-Fanatiker, und denen war mit sowas schwerlich zu imponieren.

Dabei müssen selbst die Agnostiker zugeben, dass manche Dinge passieren, ohne dass man sie mit bloßem Auge sieht. So unterhielten sich etwa just an jenem Tag, an dem ich scheinbar geheilt über den Campus zog, in meinem Körper Bakterien und Viren miteinander. „Infekte wegrauchen, das ist schon ziemlich dreist, nahezu ‚offensive’“, sagten die einen, „Ja“, sagten die anderen, „Wir sollten ihm eine Lektion erteilen“, sagten die einen, „Ja“, sagten die anderen. „Wenn er uns über die Schleimhäute nicht abstoßen will, sollten wir uns irgendwo anders festsetzen und richtig, richtig schmerzhaft werden“, sagten die einen, „Ab in den Kiefer!“ riefen alle im Chor.

So entzündete sich also der Kiefer, und eine Woche nach dem vermeintlich erfolgreichen „Wegrauchen“ verbrachte ich eine Nacht, in der mich jeder zum christlichen Fundamentalismus hätte überreden können. Um sechs Uhr morgens schrieb ich dem Nachbarn eine SMS: „Bring mich zu irgendeinem verdammten Arzt!“ Er brachte mich ins Student Health Center der Universität. Dort gab es keine Ärzte, nur Krankenschwestern und so ein Mittelding zwischen Krankenschwestern und Ärzten, Nursing mit Uni-Ausbildung quasi. Ich sprach bei einer solchen Dame vor. Trotz Diplom war sie geistig unflexibel wie die meisten amerikanischen Dienstleister. Ich sagte zu ihr: „I’ve got the most awful pain in my jaw.“ Sie sagte: “First of all I need some general data.” Dann maß sie Fieber, Puls und Blutdruck, ließ mich zehn Kniebeugen machen und fand fragend heraus, dass ich Nichtraucher bin. Nach zehnminütigem Kniereflexgehämmer sagte sie: „OK, I can give you a pain-reliever, but you need to go to see a dentist for further medication.” Die Behandlung kostete 30 Dollar.

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Copyright © Johannes Schneider – Jun 15, 2008