With God on my sideDritte Kolumne, die in einer christlichen Jugendbegegnungsstätte beginnt, sich daraufhin für uneingeschränkte Nachsicht mit Religionsstiftern ausspricht und schließlich in „Brausigkeit“ (fortgeschrittenes Stadium) gipfelt Nun liege ich hier, vollgepumpt mit Pain-Relievern und mache sehr aktive Erfahrungen mit den in der Packungsbeilagen versprochenen Begleitsymptomen von „dizziness“ und „drowsiness“. Ich fühle eine Mischung aus Jetlag und Sektlaune, ganz tief unten pocht auch noch der Schmerz, als angenehmes Kitzeln und ferne Drohung: „Schlafe nicht ein, denn wenn du aufwachst, wird es wegen nachlassender Drogenwirkung, d.h. aufkommenden Schmerzen sein!“ Ich denke über das Wort „drowsy“ nach. Das Wörterbuch übersetzt es als „einschläfernd, schläfrig oder schlaftrunken“. Ich denke, dass das alles unzureichend ist. Ich erfinde das deutsche Wort „brausig“. Ich fühle mich sehr brausig. Alle fünf Stunden kommt ein junger Mann von der Heilsarmee vorbei und gibt mir Selleriesuppe. Dann beten wir zusammen und er bittet Gott, mir meine Sünden zu vergeben. Es bringt nichts, wenn ich ihn davon zu überzeugen versuche, dass ich mich als Lutheraner in einem permanenten Stand der Gnade befinde – wie er übrigens auch und sowieso eigentlich alle. Er lächelt dann nur mitleidig und streicht mir über die verschwitzte Stirn. (Warum ich schwitze? Ist doch egal, vielleicht, damit ER streichen kann.) Ich sehne mich nach Deutschland, verzehre mich nach meiner Heimatgemeinde. Man könnte mir jetzt prima schmutzige Witze erzählen, oder mit mir diskutieren, ob die Jungfrauengeburt in Wirklichkeit eine Vergewaltigung war, alles gute deutsch-protestantische Feierabendthemen. Aber nein, man hat mich vergessen. Die Mutter schickt ein Paket mit Süßigkeiten und Kuriositäten, darin auch ein Formbrief der skrupellosen Pfarrerin. „Lieber Herr Schneider“, schreibt sie, und weiter, dass sie von der Stadtverwaltung erfahren habe, dass ich kürzlich in den Gemeindebezirk gezogen sei. (Aus steuerlichen Gründen „wohne“ ich für das Amerikajahr wieder bei meinen Eltern.) „Vielleicht sieht man sich ja mal im Gottesdienst“, schreibt sie ganz locker, und dass Gemeinde „nicht nur beten“ sei, sondern auch mal „einfach einen Kaffee trinken oder zusammen eine Zigarette rauchen“. Ich möchte nach Hause, denke ich, ich möchte wieder Teil dieser Gemeinde sein, wo Gemeinde noch heißt, sich gemeinsam selbst zu schädigen. „Gemeinde ist da, wo man sich zusammen dem Jenseits näher bringt“, fasele ich, als der Heilsarmeemann wieder ins Zimmer tritt. Dann werde ich ohnmächtig. PS: Ich schreibe heute ein bisschen wie Harald Martenstein. Das muss an den Schmerzmitteln liegen. Harald Martenstein schrieb gerade im ZEIT-Magazin, er habe vor dem Kolumneschreiben gekifft und schreibe jetzt so wie Rudolf Augstein. Leider empfiehlt sich in meinem Zustand weder Augstein noch Kiffen. Außerdem heiße ich nicht Schneiderstein, ein zusätzliches Manko. Vielleicht nehme ich jetzt lieber noch eine Tablette. Copyright © Johannes Schneider – Jun 15, 2008 |
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