Johannes Schneider

Das Rauchen im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit

Vierte Kolumne, die Neid wecken will, theoriebasiert über ihre eigene mangelhafte Bebilderung nachdenkt und abschließend erläutert, warum Knastbrüder in Deutschland vom dekadenten Leben des Kolumnisten in Kalifornien profitieren


„Wir brauchen endlich den Text“, schreit der Chefredakteur in sein Skype-Mikrophon. Großmütig versuche ich, den zornigen Zwerg (1,74 Meter oder so) zu beruhigen. „Kolumne wird kein Problem“, sage ich, „ich schreibe einfach ein bisschen darüber, wie ich kürzlich mit meinem Nachbarn Konrad Aden im Cabriolet durch Kalifornien fuhr.“ „Jajaja, irgendeine Scheiße halt, wie immer“, schreit der Chef, der gar nicht zu merken scheint, wie toll meine Biographie selbst in beiläufiger Sprechweise rüberkommt. „Aber es braucht dann auch noch ’nen Foto, wo ihr da irgendwo rumsteht und raucht, is’ klar, ne c’est pas?“ poltert er weiter. Da werde ich kleinlaut und schweige. Denn ich habe kein Foto.

Dabei wäre es so einfach gewesen. Zwei Wochen lang bewegten Nachbar Aden und ich uns ausschließlich an katalogreifen Orten. Jeder einzelne Blick entsprach der Fotoeinstellung für ein Zigarettenplakat. Ob in der Wüste Death Valley, an der Küste bei Big Sur oder in LA herself – es hätte genug Motive gegeben, die mit einem rauchenden Kolumnisten im Vordergrund die Funktion des vorliegenden Textes trefflich gestützt hätten. Diese Funktion soll diesmal übrigens nicht die Vermittlung irgendwelcher Pseudoerkenntnisse sein, sondern schlicht jene, Neid in der Heimat zu erzeugen. Denn tief in meinem Innern bin ich wie alle Abhängigen eine armselige Wurst, schwächlich und geltungsbedürftig, und ich will nicht länger zaudern, diese Wurstigkeit der jubelnden Masse unter die Nase zu reiben.

„Es ist ja nicht so, dass Deine Wurstigkeit bisher irgendwem verborgen geblieben wäre“, schaltet sich bissig der Chefredakteur wieder ein. „Was ich viel interessanter fände: Warum gibt es denn nun keine Fotos von der Reise?“ „Überhaupt keine Fotos?“, jammere ich. „Aber nein! Viel schlimmer: Es gibt 1000 Fotos, und beinah’ jedes Einzelne vereint alles, was ein gutes Urlaubs-Protz-Foto ausmacht: spektakuläre Landschaften, heroische Posen, anbetungswürdige, mich anbetende Frauen. Nur: Auf keinem einzigen Foto wird geraucht.“ „Dann trage ich dir hiermit auf, genau darüber zu schreiben“, geifert der Chefredakteur in sein Headset.

Diese Frage ist so gut, dass sie kaum seriös (d.h. einfach, klar u.v.a. ohne Hinzuziehung Walter Benjamins) beantwortet werden kann. Weil das nicht geht, muss dieser Text letztlich doch wieder in Richtung Pseudoerkenntnis flüchten. Ich behaupte einfach, dass die postpostmoderne Snapshotästhetik der Digi-Cams inkompatibel ist mit der tiefen, prämodernen Selbstversenkung des Rauch-Inhalierens. Atemlosigkeit steht hier quasi frontal gegen langen Atem und das kann nicht gut gehen. Wenn überhaupt, ist das Zigarettenrauchen fotografisch anschlussfähig an die Welt der frühen Portraitfotografie mit ihren langen Belichtungszeiten, wie – genau – Walter Benjamin sie beschreibt: „Das Verfahren selbst veranlasste die Modelle, nicht aus dem Augenblick heraus, sondern in ihn hinein zu leben.“

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Copyright © Johannes Schneider – Jul 15, 2008