Das Junkie-ABCDie Welt des Junkies ist hart und chaotisch. Doch man kann sie auch nüchtern betrachten. Ein alphabetischer Überblick in zwei Teilen. Teil 1, von A-L A wie AderDer körperliche Eingriff des Junkies erscheint Außenstehenden als brutal. Die Injektion ist Sinnbild dafür, wie die Sucht Willen und Körper so stark dominiert, dass erst eine Selbstverletzung Linderung verschaffen kann. In jedem Drogenkontext ist ein bestimmtes Körperteil oder Organ von herausragender Wichtigkeit, um die erwünschte Drogenwirkung zu erzielen. Die orale Einnahme, beispielsweise von LSD, ist mit noch relativ geringen Hemmungen verbunden. Das Spritzen von Heroin dagegen hat die höchste Hemmschwelle, denn es fordert die bewusste Selbstverletzung zur Injektion in das Wichtigste im Körper: seine Blutbahnen. Die Adern haben eine starke Außenwirkung, da sie teils sichtbar an der Oberfläche, doch sämtlich unerreichbar im Körperinneren angelegt sind. Einzig dem Mediziner ist normalerweise ein solcher Eingriff erlaubt. Der Junkie setzt sich über dieses Tabu hinweg. Sein Drogenkonsum ist damit in jeder Hinsicht ein körperliches →Extrem. B wie BlutInjektionen gehören zu den schwerwiegendsten Eingriffen ins Körperinnere. Körpermodifikationen wie beispielsweise Piercings und Tattoos (oder radikalere Formen: Implantate, Brandings, Cuttings,…) spielen mit diesem Umstand. Für den Junkie ist jedoch das Spritzen die einzige Möglichkeit, die Wirkung seiner Droge zu erfahren. Sie muss schließlich um jeden Preis in seinen Körper gelangen. Der Blutverlust und die Selbstverletzungen, die unmittelbar und längerfristig damit einhergehen, haben zweitrangige Bedeutung. Der Körper des Junkies ist ein Wrack, dessen Sinn nur noch in seiner Benutzbarkeit besteht. Finden sich bei Junkies im fortgeschrittenen Suchtstadium keine noch benutzbaren →Adern, zeigt sich der körperliche →Verfall in seiner klarsten Form. Interessant ist die folgende Analogie: Beim Spritzen pumpt der Junkie Heroin in seine Ader und zieht gleichzeitig geringfügig Blut ab. So „ersetzt“ er einen Teil seiner lebenswichtigen Körpersubstanz Blut durch die Droge, der er verfallen ist. C wie CoolnessDie Außenwirkung des Junkies trägt entscheidend zu der ihm eigenen →Faszination bei. Durch das →Extreme, das er in jeder Hinsicht tut, wirkt er abgeklärter im alltäglichen Bereich. Er wird als cooles →Individuum wahrgenommen, das sich erfolgreich von der zerstörerischen Gesellschaft bzw. Kultur abgenabelt hat. Er ist eine Protestfigur. Hinzu kommt, dass der Junkie durch seinen Konsum zu einer Haltung findet, in der ihm alles andere egal ist: Nur noch die Droge zählt. Ein Beispiel: Verkauft er seine Stereoanlage, wird dieser Akt von Bewunderern gern als Abnabelungsprozess von der Mainstreamkultur gedeutet. Tatsächlich braucht der Junkie Geld, um sich neuen Stoff zu besorgen. Auch seine Hässlichkeit wird uminterpretiert als höchste Form der Individualität sowie als Aufbegehren gegen die herrschende Kultur (vgl. →Krieg). D wie DruckHeroin zu nehmen bedeutet, sich einem extremen körperlichen Eingriff durch die Selbstinjektion auszusetzen (vgl. →Ader und →Blut). Allein das Wort „drücken“ verbildlicht die →Extreme und Härte des Eingriffs. Dessen Wirkung geht über den Moment der Injektion hinaus. So berichten Langzeitabhängige selbst nach einem erfolgreichen Entzug noch von sogenannter „Druckgeilheit“, der Lust auf das Gefühl der Injektion, nicht der Drogenwirkung. Hier ist der Prozess des Drogennehmens bereits in die Sucht integriert und hat wegen seiner starken Körperbezüglichkeit auch eigene, körperliche Entzugserscheinungen. Andere Slangausdrücke der Junkiekultur für die Injektion sind „schießen“, „knallen“ oder vereinzelt Anglizismen wie „pushen“ oder „shooten“/„shooting“. Es ist eines der →Extreme der Junkiekultur, ihren Slang nicht zu euphemisieren (möglicherweise einzige Ausnahme: der →Goldene Schuss), sondern in ein Negativ zu verkehren (vgl. →Utopie). Copyright © Maren Lachmund – Aug 15, 2008 |
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