Wolfram Kerger schrieb uns am 22.10.2000
Thema: Lutz Hagestedt: Lederstrumpf und Siedlerfrauchen
Sehr geehrter Herr Dr. Hagestedt,
mit einigen Monaten Verspaetung ist mir Ihre o. a. Literaturkritik
bekannt geworden, so dass ich erst jetzt dazu Stellung nehmen kann,
was mir in der Tat ein Beduerfnis ist.
Grundsaetzlich ist Kritik zu begruessen, weil sie ja nicht nur einen
Trend aufzeigt, sondern dem Leser bzw. Kaeufer auch eine
Entscheidungshilfe bedeuten kann. Nicht zuletzt koennte sie ein
Warnsignal an den Autor bedeuten, seinen Stil bzw. seine Themenauswahl
zu ueberpruefen und neu einzurichten.
Kritik aber ist auch eine gefaehrliche Waffe, unliebsame oder
unbequeme Schreiber, Andersdenkende laecherlich und damit mundtot zu
machen. Die Geschichte, vor allem die juengere deutsche, kennt
zahllose Beispiele. Ebenso gross ist die Anzahl jener Autoren, deren
Schriften von der Literaturkritik "verrissen" wurden, die aber spaeter
zu Weltruhm gerade mit diesen Werken gelangten.
Ohne Frage habe ich mich in keine der erwaehnten Kategorien zu
rechnen, zum Glueck nicht, schon weil ich wirtschaftlich unabhaengig
bin. Dennoch hat Schreiben einen hohen persoenlichen Wert fuer mich.
1991 habe ich meine drei ersten Taschenbuecher herausgegeben, unter
anderem jene von Ihnen kritisierten "Kanadischen Geschichten". Es ist
klar, dass ich diese Geschichten, die stellenweise persoenliches
Erleben widerspiegeln, etliche Jahre vor der Veroeffentlichung
geschrieben habe. All meine Buecher waren von Anfang an ein Erfolg,
ich musste sie zum Teil nach kurzer Zeit in zweiter Auflage bringen,
was mich dazu ermutigte, weitere Taschenbuecher zu veroeffentlichen.
Inzwischen sind es sechs, und keines war ein Flop. Meine vielen
tausend Leser setzen sich aus allen sozialen Schichten zusammen, wie
meine Korrespondenz es belegt. Ein Teil meiner Buecher wurde in
Deutschland zeitweise als gymnasialer Unterrichtsstoff verwendet. Es
gibt eine Reihe von Lesern, die heute noch groessere Posten meiner
Buecher kaufen, um sie als kleines, anspruchsvolles Geschenk
weiterzugeben - eben und auch oft bevorzugt jene geschmaehten
"Kanadischen Geschichten". Diese kommen zudem in Kanada bei der
deutschsprachigen Bevoelkerung besonders gut an.
Zum Thema: Kritik sollte nicht unbedingt liebevoll, doch stets
sachlich und fundiert sein. Diese Sachlichkeit muss ich Ihnen in einer
Reihe von Punkten absprechen.
Das Klischee "Romantisches Kanada" ist absolut gegenwaertig und kein
Spiegelbild der Vergangenheit. Die vielen Besucher hier fragen nicht
nach dem modernen Kanada, das in vieler Hinsicht technologisch
Weltspitze ist, sondern nach dem urtuemlichen "klischeehaften" Kanada,
nach Wildnis, Wildtieren und grandioser Natur. Und diese bestimmen
nach wie vor den Lebensrhythmus des grossen Landes, das meine Heimat
ist. Es gibt kaum eine Werbung, kaum einen Film von Kanada, in denen
seine Natur, seine Urspruenglichkeit nicht zur Geltung kommen. Es ist
nicht wahr, dass die Kanada-Klischees ausgemachter Schwindel sind,
dass man "Rotwild nur noch in Vorgaerten" trifft und das "Mule Deer
ein Halsband" traegt. Der Wildreichtum, zumindest in British Columbia,
ist sehr gross und umfasst all die Spezies, die das Klischee
ueberliefert, wie Schwarzbaer, Grizzly, Elk (Etwa Rothirsch), Damwild,
Elch, Cougar, Cariboo und viele andere, von der grossen Anzahl der
Voegel und Kleintiere abgesehen. Sie behaupten, meine "Geschichten
suchen nach Abenteuer und Spannung jenseits des gaengigen Klischees,
doch erreichten sie ein um das andere Mal das Gegenteil". - Das ist
eine Falschaussage, denn ich schreibe bewusst in dem Klischee und habe
nicht im mindesten vorgegeben, diesem ausweichen zu wollen. Wie kommen
Sie ueberhaupt zu der gegenteiligen Unterstellung? Moeglicherweise
habe Sie zu fluechtig auf den Buchruecken geschaut und dort gelesen,
dass die Themen meiner "Ungewoehnlichen Liebesgeschichten" das
gaengige Klischee sprengen und dies dann leichtfertig auf meine
"Kanadischen Geschichten" umgelegt. Die Aussage, die beiden anderen
kritisierten Autoren haetten "sich bewusst von dem Klischeebild der
Neuen Welt befreit", halte ich ebenfalls fuer unangebracht. Haben Sie
sie gefragt? Es versteht sich von selbst, dass ein Krimi, handelnd in
der Mall von Edmonton, keinen Platz fuer Wildromantik und Pioniergeist
hat. Da hoert sich das Wort Klischee wie eine Krankheit oder schlechte
Eigenschaft an, die jene Autoren endlich hinter sich haben. Wenn meine
Geschichten "nach Abenteuer und Spannung suchen", so erreichen sie
gewiss ihr Ziel, denn diese Eigenschaften kann man ihnen kaum
absprechen. Ihre Beurteilung meines "duerftigen sprachlichen
Registers" ist schon beinahe ehrenruehrig. Ich habe eine intensive
deutschsprachliche Erziehung und Ausbildung genossen, der groesste
Teil meines beruflichen Lebens verlangte ueberdurchschnittlich gute
Deutschkenntnisse. Seit Jahrzehnten sind schriftliche Beitraege von
mir in Magazinen und Zeitschriften erschienen und zeigten eine sehr
gute Resonanz. Bewusst halte ich meinen Sprach- und Schreibstil so,
dass er leicht eingaengig ist und den Leser nicht zwingt, eine Zeile
zum besseren Verstaendnis zweimal zu lesen. Und ebenso bewusst
verzichte ich auf Ausdruecke wie Womanizer. Ihre Kritik kommt mir wie
eine Art Profilneurose vor. Muessen Sie mit Effekten arbeiten wie ein
Komiker, der seine Hoererschaft zum Lachen zu bringen hat? " . . .
aber diese "Vollblutfrau" - ausgerechnet! - nicht erobern kann. Was
heisst hier ausgerechnet! ? Der weitere Verlauf der Erzaehlung gibt
hinlaenglich glaubhaft Auskunft, warum die Frau ihrem Mann treu
bleibt. Der Ausdruck womanize bedeutet im uebrigen weibisch machen
bzw. hinter den Weibern her sein. Er ist abwertend und nicht
anzuwenden auf meine Figur Joe, der, wenngleich erfolgreich bei
Frauen, doch kein "Weiberheld" in Ihrem billigen Sinne ist. Andere
Zitate aus meinen Geschichten sind aus dem Zusammenhang gerissen und
dadurch in ihrem Sinn veraendert. Ein Beispiel: "Ihre Augen leuchten",
zitieren Sie, tatsaechlich steht in dem Buch "Hillmann sah ihre Augen,
die genau denen seines Traumbildes glichen. Sie waren blau mit einem
Schimmer Meergruen und schienen von innen her zu leuchten." Welch ein
Unterschied in der Aussage, nicht wahr! Auch Ihre Kritik, dass ich
Woerter wie diese, jener, welche statt der, die ,das verwende, ist
unangebracht, allerdings sehe ich das Ganze mehr als ein
Generationsproblem an. Die deutsche Sprache verflacht immer mehr. Wie
muessten Sie sich unbehaglich fuehlen, beispielsweise Ganghofer zu
lesen.
Es ist mir klar, dass Sie meine Kritik an Ihrer Kritik halb gelesen in
den Papierkorb rechts neben sich werfen koennen (Recycle Bin) und
damit die Sache fuer Sie erledigt ist. Ich habe auch kein Forum wie
Sie, oeffentlich aufzutreten. Dennoch moechte ich Ihnen abschliessend
nahelegen, kuenftig Ihre Kritik mehr sachlich auszuueben und die Texte
gruendlich zu lesen, bevor Sie womoeglich leichtfertig ueber die
schriftstellerische Zukunft eines hoffnungsvollen Autors entscheiden.
Menschen mit persoenlichem Profil sollten doch in der Lage sein, in
ihrem Beruf auch dann Erfolg zu haben, emporzukommen, ohne die Koepfe
der anderen unter Wasser zu druecken.
Mit freundlichem Gruss
Wolfram Kerger
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