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Was geht in deinem Kopf vor?Über vier Monate ist mein Baby jetzt schon auf der Welt. Manchmal kann ich es immer noch nicht ganz glauben. Dann nehme ich mir mein Vorleseexemplar von No Pflock schon etwas abgegriffen und mit Eselsohren , blättere es durch, rieche an der Druckerschwärze und freue mich wie am ersten Tag, als ich meinen ersten veröffentlichten Roman in der Hand hielt. So sehr ich mich freue, umso größer war offenbar die Verblüffung für viele Menschen in meinem Umfeld. Dass mein Vater sich über Gnackzuuzler fortbilden ließ, hab ich ja schon in meiner vorangegangenen Kolumne geschrieben. Mittlerweile habe ich auch eine Lesung in meiner alten Heimat hinter mir. Besonders freute mich, dass unter den Zuhörern die Besitzerin des Limburger Schokoladenhauses war, bei der ich mir so oft wie möglich heiße Zartbitterschokolade mit Chili hole, und eine alte Grundschullehrerin. Wir hatten uns seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen, die Ankündigung in der Zeitung brachte sie dazu, meine Eltern anzurufen und zu fragen, ob sie mitfahren darf. Sie mochte mich schon immer ganz gut leiden wir haben am gleichen Tag Geburtstag , aber seit der Lesung darf ich sie duzen, was für mich ein großes Kompliment ist. Auch wenn ich nicht glaube, dass Fantasy ihr Genre ist. Genau das ist nämlich der Knackpunkt für einige, die mich kennen oder zu kennen glaubten. Eine alte Nachbarin meiner Eltern erkundigte sich besorgt bei meiner Mutter, ob mit mir alles in Ordnung sei, ich sei doch sonst so bodenständig. Und wenn man Motorrad fahre, müsse man doch klar im Kopf sein. Meine Mutter konnte sie damit beruhigen, dass der Vampirroman ja nicht mein erstes Buch ist, sondern die Anekdotensammlung aus der Schwedter DDR-Geschichte. So geht es auch vielen in meiner neuen Wahlheimat. Sie kennen mich als Journalistin, als Verfasserin eben jener Anekdoten, vielleicht noch als Wolfsfachfrau, was auch schon seltsam ist, aber noch tragbar. AberVampire? Als ich einem Bekannten verriet, dass es in No Pflock 196 Tote gibt (konkret beschriebene Tode, noch mehr, wenn man bedenkt, dass jeder der Vampire alle drei bis vier Nächte einen Menschen töten muss), starrte er mich völlig entgeistert an und platzte heraus: Was geht in deinem Kopf vor? Eigentlich eine gute Frage. Ich erinnere mich, wie wir mal im Ethik-Unterricht über Sigmund Freuds Theorie vom Todestrieb lasen, den wir entweder gegen andere oder uns selbst richten oder eben sublimieren. Alle Errungenschaften in der Kunst sind eine verdrehte Art, den Todestrieb in friedlichere Bahnen zu lenken. Damals dachte ich noch, wenn das stimmt, was hat Stephen King alles zu sublimieren? Und wie gut, dass er Bücher schreibt, statt den Todestrieb anders umzusetzen. Tja, und nun könnte ich diese Theorie mal auf mich anwenden. Warum ich am liebsten Fantasy schreibe, ist einfach zu beantworten, denn deshalb lese ich sie auch am liebsten: Um wirklich ganz frei zu werden im Kopf. Ich habe den ganzen Tag genug Realismus, ich verfolge aufmerksam Nachrichten, liebe und streite mich, muss zum Arzt und die Steuer machen. Ich brauche nicht unbedingt Geschichten, die genau das reproduzieren. Aber ich verlange von meiner Fantasy, dass sie in der Realität begründet ist, sich an ihre eigenen aufgestellten Regeln hält und nicht mit Magie und einem Fingerschnippen alles löst, dass sie eine wichtige Botschaft enthält und mir was beibringt über das menschliche Wesen (egal, ob Menschen vorkommen oder nicht), über Ethik, Moral, Weltanschauung. Selbst wenn die Figuren nicht moralisch handeln oder das Gute nicht immer siegen muss, ganz und gar nicht. Eine Rezensentin lobte an No Pflock, dass Protagonisten und Antagonisten nicht wirklich zu unterscheiden sind, und das hat mich sehr stolz gemacht. Denn Schwarz-Weiß-Malerei ist nicht zeitgemäß und nicht realistisch. Gleichzeitig kann Fantasy so viel mehr, sprudelt über vor Ideen, verwandelt auch die Welt vor meiner Haustür wieder in einen magischen Ort, kann diese ganzen wichtigen Botschaften frisch und neu und spannend verpacken, mit Schwertkämpfen und Drachen, Vampiren und Zauberern, Dämonen und Göttern und der ganzen sonstigen Menagerie. Ich verlangte nach Drachen mit einer tiefen Sehnsucht, sagte Tolkien rückblickend, und ich verstehe das nur zu gut. Warum aber düstere Fantasy? Warum müssen 196 Menschen sterben? Warum kann ich mich nicht mit Bilbo Beutlin vor seine runde Haustür im Auenland setzen und im Sonnenuntergang mit den haarigen Zehen wackeln, sondern verwandle stattdessen einen armen Studenten unter einer Brücke in einen Blutsauger ohne Kontrolle über seinen Hunger? Tatsächlich ist die dunkle Seite, die jeder Mensch irgendwie in sich trägt, ein Thema, das mich immer fasziniert hat. Vielleicht, weil ich ein jähzorniges Kind war, das sein Temperament zu zügeln lernen musste. So wie ich früher verstehen wollte, was Menschen im Dritten Reich dazu gebracht hat, ihre Nachbarn zu denunzieren oder im KZ andere Menschen zu ermorden, so habe ich mir die Frage gestellt, was passiert, wenn man einen recht durchschnittlichen Jungen mit einigen Komplexen plötzlich dazu zwingt, ein Mörder zu werden. Dabei hat Martin noch eine bessere Entschuldigung, denn er muss wortwörtlich töten, um zu überleben, im Gegensatz zu Menschen. Es hat mit der Ahnung zu tun, wie ich, wie wir alle wohl in solchen Situationen reagieren würden und zwar wahrscheinlich nicht so heldenhaft, wie wir es uns wünschen. Ich mag meine Fantasy realistisch. Und das Leben besteht nicht nur aus Regenbogen und Glitzerflauschis. Vielleicht hat Freud also recht und meine Geschichten sind das einzige, was mich davon abhält, zu einem Serienmörder zu werden. Sollte man vielleicht im Marketing erwähnen: Kauft die Bücher, wenn ihr am Leben bleiben wollt! Das wäre doch ein starker Kaufanreiz. ![]() Weil ... Schreiben!
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