Main Logo
LITERRA - Die Welt der Literatur
Home Autoren und ihre Werke Künstler und ihre Werke Hörbücher / Hörspiele Neuerscheinungen Vorschau Musik Filme Kurzgeschichten Magazine Verlage Specials Rezensionen Interviews Kolumnen Übersicht
Neu hinzugefügt Artikel Partner Das Team
PDF
Startseite > Kolumnen > Dr. Franz Rottensteiner > GRANTELEIEN EINES ALTEN SF-DINOSAURIERS > Erlebnisse mit Stanislaw Lem
emperor-miniature

Erlebnisse mit Stanislaw Lem


Es ist bekannt, dass Autoren oft schwierige Zeitgenossen sind, und häufig sind sie als Person völlig verschieden von dem Bild, das sie in ihrer Literatur der Öffentlichkeit bieten. Schopenhauer z.B., der als großer Humanist gilt, war im Leben ein richtiger Kotzbrocken, ein kleinlicher Mensch, der seine Haushälterin drangsalierte. Autoren neigen auch dazu, sich von den Verlegern übervorteilt zu fühlen, und sie sind selten dankbare Geschöpfe.

Ein besonderer Fall dieser Spezies ist auch Stanislaw Lem, mit dem ich langjährig als Herausgeber bei Insel/Suhrkamp verbunden war und den ich als literarischer Agent im westlichen Ausland (mit Ausnahme des deutschen Sprachraums) vertrat und den ich, als er in den achtziger Jahren mehrere Jahre lang in Wien lebte, fast jede Woche sah und aus nächster Nähe studieren konnte.
Ich fand keinen großen Mann, sondern einen Menschen, der höchst unsicher war, in vieler Hinsicht ein Kind geblieben war, und dies dann durch ein besonders forsches Auftreten zu übertünchen suchte. Er war ein Mensch voller Gegensätze, in gewisser Hinsicht großzügig, in anderer pedantisch kleinlich, Unbekannten naiv vertrauend ebenso wie misstrauisch bis zur Paranoia, sehr auf Geld bedacht, aber nicht rational kalkulierend, in der Tat völlig unökonomisch denkend, weil er sich nie klar darüber war, dass „Einkommen“ das ist, was nach Abzug der Ausgaben, die notwendig sind, um Einkünfte zu erzielen, übrig bleibt.
So hat Lem, gegen jede wirtschaftliche Vernunft und Notwendigkeit, in Wien eine Villa in bester Lage gemietet, die ihn rund € 2,500 im Monat kostete, was er sich, obwohl er damals sehr gut verdiente, von seinem laufenden Einkommen gar nicht hätte leisten können, wenn er sein Einkommen in Österreich regulär hätte versteuern müssen. Aber er war von Kraków her ein Haus mit einem kleinen Garten gewohnt, obwohl er diesen Garten nie nutzte und ihm daraus nur zusätzliche Erhaltungskosten erwuchsen.
Einmal bemerkte ich bei ihm eine merkwürdige Überweisung über einen Betrag von ö.S. 10,–, rund DM 1,45. Obwohl Lem damals in Österreich Deviseninländer war, führte er sein Schillingkonto aus unerfindlichen Gründen als „freies Schillingkonto“, d.h. als Devisenkonto, was bedeutete, dass jede Überweisung auf ein österreichisches Konto als Auslandsüberweisung behandelt wurde. So erwuchsen ihm aus der Überweisung von S 10,– in Österreich Bankspesen in der Höhe von mehr als S 100,–. Wenn er den Betrag einfach bar bei einem Postamt eingezahlt oder von einem normalen Konto überwiesen hätte, hätte ihn das (damals) überhaupt nichts gekostet, aber die eklatante Diskrepanz zwischen dem Überweisungsbetrag und den Kosten dafür fielen ihm überhaupt nicht auf.
Sein Verleger Dr. Unseld empfahl ihm einen Wiener Anwalt, falls er einmal einen bräuchte. Lem brauchte keinen, aber er suchte den Anwalt trotzdem auf, um sich ihm vorzustellen, wofür er nach Jahren eine saftige Honorarrechnung erhielt, obwohl der Anwalt nur guten Tag gesagt hatte.
Zuweilen gab er sich als der große Schriftsteller, den Geld überhaupt nicht interessierte, dann wieder feilschte er um jeden Groschen. Im Zweifelsfall gewann das Geld gegenüber dem Künstler.
Lem war andererseits sehr großzügig mit Versprechungen, nur ließen die „Naturgesetze“ es nicht zu, dass er sie auch wirklich einhielt. Er liebte es, dass Selbstverständliche, wie die Einhaltung von Verträgen zu betonen, was man als sicheres Indiz dafür nehmen konnte, dass er sie demnächst brechen würde. Wenn er es nicht offen tat, so verlangte er eine Revision unter Androhung des „Abbruchs der diplomatischen Beziehungen“.
„Verhandlungen“ leitete er gerne damit ein, dass er einen Wutanfall bekam, was man ihm alles angetan hätte, und sich dann erst allmählich beruhigte, wenn man ihm zugestand, was er erreichen wollte.

Ich habe jahrzehntelang für ihn gearbeitet, ohne dass es je einen förmlichen Vertrag gegeben hätte; er hätte mir also jederzeit einfach mitteilen können, dass er auf meine weitere Mitarbeit keinen Wert mehr läge. 1991 versteifte er sich dann darauf, dass das Vertretungsverhältnis auf eine vertragliche Basis gestellt werden müsse. Ich weiß nicht warum, aber vermutlich war, da er so lange in einem kommunistischen Staat lebte, sein Denken doch sehr von den bürokratischen Mustern bestimmt, die er zu verabscheuen behauptete.
Jedenfalls habe ich aus amerikanischen Handbüchern einen Vertrag zusammengebastelt, dessen Entwurf ich ihm zusandte, er hat auch einige Änderungen angebracht, dann wurde der Vertrag unterschrieben. Ein Jahr später tauchte er in Wien auf, beschwerte sich, welchen Vertrag ich ihm da untergejubelt hätte, und verlangte Änderungen, die ich ihm auch zugestand. In der Folge verlangte er mehrmals weitere Änderungen, bis ich beschloss, dieses Kaspertheater nicht mehr mitzumachen.
Natürlich enthielt der Vertrag, wie es sich gehört, auch Kündigungsbestimmungen. Zu diesen hatte er ganz eigene Auffassungen. Er schrieb mir nämlich einmal, sollte ich es wagen, den Vertrag zu kündigen, so könnte er während der Kündigungsfrist - zu seinem eigenen Schutz - keine neuen Verträge mehr unterschreiben, weil die ja dann über die Kündigungsfrist hinaus gelten würden. Das zeigt deutlich, wes Geistes Kind er war, denn natürlich galten ja auch die vorher abgeschlossenen Verträge weiter, so wie es eben in den Verträgen selbst hinsichtlich der Dauer festgelegt ist. Das hat er auch ausdrücklich bestätigt, nur um dann die Verleger anzuweisen, nur an ihn zu bezahlen, ohne dass er je meine mir davon gebührende Provision abgerechnet oder irgendwelche Zahlungen geleistet hätte. Er hat das Geld immer in die eigene Tasche gesteckt, was mich finanziell kaum schädigte, weil seine Tantiemen ohnedies so gering waren, dass die Abrechnung mich mehr Zeit gekostet hätte, als der Ertrag ausmachte. .
Er hatte dann die Chuzpe, mir anwaltlich zu erklären, er sei natürlich zur Abrechnung bereit, aber ich solle ihm eine Aufstellung über alle Verträge schicken, d.h. ich sollte mich einer unhonorierten und vertraglich nicht festgelegten Fließaufgabe unterziehen, obwohl er natürlich selbst alle Unterlagen über die Verträge hatte, die übrigens alle von ihm selbst unterschrieben waren, denn ich habe es, da ich ihm nicht ganz traute, immer vermieden, für ihn Verträge zu unterschreiben. Er hätte sich nur die Verträge selbst anschauen müssen.
Vor Gericht, als es schließlich auch um den Zeitpunkt der Beendigung unseres Vertrages ging (er wollte gerichtlich festgestellt wissen, dass der Vertrag ein Jahr früher endete als es tatsächlich der Fall war), hat er dann noch erklärt, ich sei zuletzt unberechtigt als „falscher“ in Agent aufgetreten – was merkwürdig mit dem Umstand kontrastierte, dass er im fraglichen Zeitraum noch von mir aufgesetzte Verträge unterzeichnete und Zahlungen dafür ohne Protest entgegennahm.
Der springende Punkt war wohl der, dass er die Aufkündigung des Vertrages nicht als einen gewöhnlichen Geschäftsvorgang nahm, der in der Branche alle paar Tage passiert, wo viele Autoren ja laufend ihre Agenten wechseln, sondern es als Lèse majesté, Majestätsbeleidigung auffasste – dass da jemand die Verbindung mit diesem „Autor von Weltruf“ beenden wollte. Überhaupt fühlte sich Lem ja nicht als jemand, dem ein Dienst erwiesen wurde, sondern als Feudalherr, der sozusagen seine kostbaren Urheberrechte einem Gefolgsmann zu Lehen übergab, der dafür entsprechend dankbar zu sein hätte. Er berief sich zuweilen auch auf mich als „Agenten“ im Verhältnis zu Suhrkamp, obwohl hier meine Stellung ja eine ganz andere war, ich nämlich als Berater des Verlages in erster Linie die Interessen des Verlages zu wahren hatte. Ebenso meinte er, ich sei erst 1991, mit dem Abschluss eines diesbezüglichen schriftlichen Vertrages, sein Agent geworden.
Der Gedanke, dass man, statt wechselseitig geschuldete Beträge hin und her zu senden, diese auch gegenverrechnen könnte, bereitete ihm die größten Schwierigkeiten, und wenn mit einem Verlag ein Vertrag etwa über zwei Bücher geschlossen wurde, und vom Honorar ein Steuerabzug vorzunehmen war, der erst bei der zweiten Zahlung abgerechnet wurde, so war er der festen Überzeugung, er sei beim zweiten Buch übervorteilt worden und habe dafür kein Honorar erhalten. Ein und dieselben Dinge musste man ihm immer wieder erklären, weil er sie sogleich vergessen hatte und beim nächsten Mal mit denselben Einwänden kam.
Auch was die Honorierung anbetraf, hatte er recht merkwürdige Vorstellungen. 10% zu geben war er allemal bereit (obwohl er manchmal argumentierte, bei kleinen Beträgen müsste die Provision kleiner sein, bei größeren könnte sie ruhig größer sein – bis der Fall dann tatsächlich eintrat).

In der Tat habe ich Lem jahrzehntelang subventioniert, indem ich nur 10% Provision berechnete und nur, wenn ausländische Subagenten eingeschaltet waren, deren Honorare weiterverrechnete. Viele Agenten berechnen aber schon 15% im eigenen Land, und bei Auslandstätigkeit sind die Prozentsätze generell höher, mindestens 19-20%. In der Regel arbeiten die Agenturen ja mit Subagenten in den jeweiligen Ländern, die sich dort besser auskennen und darum auch höhere Honorare erzielen können. Ich habe selten mit Subagenten gearbeitet, selbst in Japan habe ich mehr als ein Dutzend Verträge direkt abgeschlossen, und habe selten die Erfahrung gemacht, dass ihr Einschalten wirklich etwas bringt.
Was die SF im englischen Sprachraum angeht, ist das Desinteresse an übersetzter SF so allgemein, dass sich kein amerikanischer Agent ein Bein ausreißen wird, um einen europäischen SF-Autor zu platzieren, mögliche Abschlüsse sind finanziell einfach völlig unergiebig, und man kann, auch wenn man weit vom Schuss ist, den Markt recht gut kennen, wenn man interessiert ist und die spärlichen Möglichkeiten nutzen.

Lem hat sich schließlich einen amerikanischen Agenten gesucht, weil er dadurch ans große Geld zu kommen hoffte. Das ist insofern auch eingetreten, als dieser Agent ein Filmagent war, aber an Lem als Buchautor vermutlich überhaupt nicht interessiert war, und nach meiner Zeit ist auch kein neues Lem-Buch mehr im englischen Sprachraum erschienen. Einmal hat er mir noch so fröhlich wie taktlos geschrieben, dass sich der erwartete Geldsegen noch nicht eingestellt habe, aber das „mache nichts“.
Lem hat sich auch mit seinem amerikanischen Verlag Harcourt Brace überworfen, dem er nach dem Bruch mit mir eine Serie zunehmend aggressiver und beleidigender Briefe schrieb.
Er wollte unbedingt die Rechte an einer Kurzgeschichtensammlung, die lange nicht veröffentlicht worden war, zurückhaben (und dabei den Vorschuss behalten). Er hat sich das wohl so vorgestellt, dass er das Geld behält und die Rechte der bereits übersetzten Geschichten dann weiter an einen anderen Verlag verkauft. Er hat die Rechte schließlich auch zurückerhalten, nur wollte die Kurzgeschichten niemand haben, und die amerikanische Karriere Lems als Buchautor hat sich seitdem auf gelegentliche Neuauflagen seiner alten Bücher beschränkt, die sich in Amerika überhaupt nicht verkaufen – und in England, sofern das möglich ist, noch weniger.
Diese Gleichgültigkeit der amerikanischen SF-Leser traf Lem doch hart, wiewohl er gerne behauptete, nicht als SF-Autor gelten zu wollen. Seine Bücher erzielten nur winzige amerikanische Auflagen, und die Honorare waren entsprechend gering, was er nicht verschmerzen konnte und sich oft betrogen wähnte. Hier wirkte es sich als schädlich aus, dass die deutschen Leser (außerhalb der SF, sollte man hinzufügen) einen Narren an Lem gefressen hatten. Da glaubte er gern, es müsste anderswo auch so sein, aber er war eben nirgends so erfolgreich, und selbst in Polen und der Sowjetunion hatte er nur hohe Auflagen, solange er während des Kommunismus sozusagen von der Welt abgeschottet in einer „geschützten Werkstatt“ werkelte; aber nach dem Fall des Kommunismus war er selbst in seiner Heimat im freien Markt nur einer unter vielen Autoren, und wenn nicht einige seiner Bücher Schullesestoff gewesen wären, welche die Schüler lesen mussten, wäre es um seine Auflagen noch schlimmer bestellt gewesen.
Und er wollte immer Recht behalten. Bei Diskussionen hielt er an offenkundig unrichtigen Meinungen fest und brachte die skurrilsten Argumente vor, um sie zu „stützen“. Schließlich war der Punkt erreicht, da es mir müßig schien, Lem weiter zu vertreten, denn wenn das größte Hindernis bei ohnedies unergiebigen Verlagsverträgen der Autor ist, dann wird die Sache nur zur Zeitverschwendung und zum Ärgernis. Die von ihm bei Gericht eingebrachten Schriftsätze sind komischer als das meiste, was man in den Sterntagebüchern findet, nur völlig ernst gemeint, leider darf man sie, anders als im amerikanischen Recht, nicht veröffentlichen, dem lesenden Publikum entgeht dadurch eine große Quelle der Erheiterung.

GRANTELEIEN EINES ALTEN SF-DINOSAURIERS
Beitrag Erlebnisse mit Stanislaw Lem von Dr. Franz Rottensteiner
vom 22. Jun. 2007


Weitere Beiträge

Europäische Science Fiction und Fantasy im englischen Sprachraum Europäische Science Fiction und Fantasy im englischen Sprachraum
Dr. Franz Rottensteiner
03. Mar. 2009
Die süße Idiotie des Fandoms Die süße Idiotie des Fandoms
Dr. Franz Rottensteiner
21. Jan. 2008
Erlebnisse mit Stanislaw Lem Erlebnisse mit Stanislaw Lem
Dr. Franz Rottensteiner
22. Jun. 2007
Ein alter SF-Dinosaurier stellt sich vor Ein alter SF-Dinosaurier stellt sich vor
Dr. Franz Rottensteiner
08. Jan. 2007

[Zurück zur Übersicht]

Manuskripte

BITTE KEINE MANUS­KRIP­TE EIN­SENDEN!
Auf unverlangt ein­ge­sandte Texte erfolgt keine Antwort.

Über LITERRA

News-Archiv

Special Info

Batmans ewiger Kampf gegen den Joker erreicht eine neue Dimension. Gezeichnet im düsteren Noir-Stil erzählt Enrico Marini in cineastischen Bildern eine Geschichte voller Action und Dramatik. BATMAN: DER DUNKLE PRINZ ist ein Muss für alle Fans des Dunklen Ritters.

Heutige Updates

LITERRA - Die Welt der Literatur Facebook-Profil
Signierte Bücher
Die neueste Rattus Libri-Ausgabe
Home | Impressum | News-Archiv | RSS-Feeds Alle RSS-Feeds | Facebook-Seite Facebook LITERRA Literaturportal
Copyright © 2007 - 2018 literra.info