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Die süße Idiotie des FandomsDas Erscheinen von Rainer Eisfeld Die Zukunft in der Tasche. Science Fiction und SF-Fandom in der Bundesrepublik Die Pionierjahre 1955-1960 (Lüneburg; Dieter von Reeken 2007, 25,–, reich illustriert mit 32 Seiten in Farbe und Schwarz/weiß) ruft auch die eigene Fan-Geschichte ins Gedächtnis, obwohl ich an den Ereignissen jener Jahre keinen Anteil hatte. Immerhin muss ich damals aber schon gelegentlich in Fanzines publiziert haben, denn Eisfeld zitiert eine Stellungnahme von mir, an die ich mich absolut nicht mehr erinnern kann. Ich habe kaum mehr eine Erinnerung an jene Jahre, und auch keine schriftlichen Zeugnisse meiner Anfänge im Fandom, da ich diese Fanzines, in denen ich damals publizierte, längst weggegeben habe, was ich zuweilen bedauere. Aufgehoben habe ich immerhin den Briefwechsel, aus dem ich fast alles rekonstruieren könnte, wenn ich mir die Mühe machte, ihn durchzusehen, da sich mein soziales SF-Leben fast ausschließlich in Briefen abspielte. Persönlich kannte ich die meisten Fans gar nicht, viele traf ich nie oder erst lange nach den Ereignissen Rainer Eisfeld, der mir natürlich als Übersetzer und früher Fan ein Begriff war, selbst etwa erst 2007 auf dem Oldie-Con in Unterwössen. Man hat oft gesagt, das Goldene Zeitalter der Science Fiction sei sechzehn, und ich muss etwa auch in diesem Alter gewesen sein, als ich, so um 1958, vielleicht auch etwas früher, erstmals bewusst mit der utopischen Literatur als Science Fiction in Berührung kam. Ich war immer ein leidenschaftlicher Leser gewesen und las wahllos so ziemlich alles, was mir in die Hände fiel, ob hohe Literatur oder Paraliteratur, wie es heute heißt und hatte kaum Freunde, weil ich meistens per Eisenbahn in die Schule und zurück unterwegs war also ein ziemlich typisches Fan-Profil. Einmal hatte ich die Absicht, alle Karl May-Bände zu lesen, was ich aber bald aufgab. Ich las Tolstoi, Dostojewski und Kant, die ich kaum verstanden haben kann, aber auch Hefte wie El Coyote, Kapuzenmann oder die Fliegergeschichten, dann stieß ich auf die Utopia-Zukunftsromane, die ich in mehreren Wochen überwand, eine wahre Entdeckung aber waren die Utopia-Großbände, nämlich Jonathan Burkes Parasiten und H.K. Bulmers Die Sterne gehören uns, die, so Rainer Eisfeld zu Recht, eine erste leichte Hebung des Niveaus dokumentierten. Damals war ich noch nicht der Ansicht, nie einem Klub beizutreten, der bereit wäre, mich aufzunehmen, und so wollte ich damals auch beim SFCD Mitglied werden, was daran scheiterte, dass man mit den Unterlagen einen Zahlschein zuschickte, mit dem in Österreich nichts anzufangen war. Ich entdeckte aber den Buchversand Transgalaxis und sein gleichnamiges Mitteilungsblatt, das mir als Quelle von Literatur, von der ich sonst nie erfahren hätte, ohnedies wertvoller war, stieß auf die Welt der Fanzines und fing an, für deutsche Fan-Publikationen Leserbriefe und Artikel zu schreiben. Mit dem österreichischen Fandom hatte ich zu der Zeit keinerlei Kontakt, und erst beim Eurotopia-Con 1960 in Wien lernte ich einige Fans persönlich kennen. Aber die meisten Kontakte hatte ich nur brieflich, zuerst in Deutschland, später auch in den USA, England und vor allem Australien, wo ich viel auch in englischer Sprache publizierte. Von den Entwicklungen, die Rainer Eisfeld in seinem Buch beschreibt, hatte ich keine Ahnung, sie würden mich auch nicht sehr interessiert haben, doch muss ich sagen, dass mir der Zustand der SF sehr kümmerte. Die Utopia-Großbände waren, trotz einiger toller Titel, vor allem van Vogts The Voyage of the Space Beagle in Nr. 50, doch nicht das Wahre, vor allem nach etwa Nr. 70, als Aufmachung und Inhalt wieder stark absanken, waren sie mir nur ein Ärgernis. Aber welch eine Entdeckung waren für mich Robert A. Heinleins Tunnel zu den Sternen im (Geb. Weiß) Verlag oder Rauchs Weltraumbücher, die man über Transgalaxis als Remittenden erwerben konnte, vor allem des Herausgebers Günthers Anthologie Überwindung von Raum und Zeit! Leihbücher und ihr Niveau oder Nicht-Niveau waren hingegen kaum von Belang für mich. Zwar war ich eine Zeitlang bei einer kommerziellen Leihbibliothek in einer Buchhandlung eingeschrieben, aber erstens war das Entleihen teuer (und Geld hatte ich nicht), während die öffentlichen (städtischen, Gemeinde- und Pfarrbüchereien) gratis oder fast gratis waren und auch die besseren Bücher hatten. Ich erinnere mich, dass ich damals schon versuchte, Einfluss auf die publizierte SF zu nehmen, vor allem über Bingenheimer, der für TG-Mitglieder, in Zusammenarbeit mit Leihbuchverlagen, manche Sonderbände herausbrachte, die manchmal in Inhalt und Aufmachung sogar besser waren als das die übliche SF. Ihn bombardierte ich damals mit Briefen. Im Fandom wurde ich damals berüchtigt, weil ich mich in einer Reihe von Leserbriefen und Artikeln, das muss alles nach 1960 gewesen sein, vor allem in dem Frankfurter TELESKOP gegen die Kürzungen amerikanischer Originale in den Heftreihen wandte und generell gegen den Schund wetterte. Damals war diese Kritik an den Zuständen, die auch in den ersten Heyne-Taschenbüchern noch anhielten, angebracht, aber heute hat sich meine Haltung völlig verkehrt. Wie angenehm wären heutzutage übersichtliche SF-Bücher von 160 Seiten Umfang (etwa wie Richard Mathesons I AM LEGEND, dessen dritte Verfilmung gerade wieder Furore macht), sind doch, eine Folge der Schreibcomputer, elendslange Romane die Regel, die, wenn sie nicht schon als Trilogien geplant sind, sich zu Trilogien zum Quadrat oder noch längeren Serien auswachsen. Heute könnte man ohne ernsten Verlust 2/3 der meisten Roman streichen, und leider gibt es keine Lektoren, die das tun. Ich glaube, es handelte sich damals um eher beiläufige, wenn auch polemisch zugespitzt formulierte Bemerkungen, und hatte keine Ahnung, welchen Sturm dies unter den damaligen SF-Machern, den Leihbuch- und Heftautoren, auslösen würde, und dass die damalige Dachorganisation Eurotopia einen Boykottaufruf erließ und bemüht war, mich aus den SF-Clubs auszuschließen, was nicht ging, weil man feststellen musste, dass ich nirgends Mitglied war. Es ging aber überhaupt nicht so sehr um eine Clubmitgliedschaft, das war mir so gar nicht erinnerlich, und erst Rainer Eisfeld hat mich jetzt darauf hingewiesen, sondern man wollte mir jedes Publizieren in den Fanzines unmöglich machen. Das war natürlich die falsche Taktik, sowohl mir gegenüber, denn gerade Widerspruch hat mich immer gereizt (später, im englischsprachigen Fandom, wurde angloamerikanische Autor das Ziel meiner Kritik), wie auch im Fandom allgemein, denn es fanden sich genug Fanzine-Herausgeber, die solche Methoden keineswegs hinnehmen wollten, vor allem Klaus Eylmann (der jetzt on Oberitalien aus wieder im Internet aktiv ist). 1960, nach der Matura (= dem Abitur), wollte ich eigentlich ernsthaft studieren, aber ich geriet in schlechte Gesellschaft, traf die Mathematik-Studenten Eduard Lukschandl und Erich Zott, die SF im englischen Original lasen, und daraus entstand ein förmlicher Wettstreit im Sammeln englischsprachiger SF, ich lernte durch die Lektüre dieser Bücher erst richtig Englisch, was mir später sehr zustatten kam. Ab 1963 begann ich mein eigenes Fanzine Quarber Merkur herauszugeben, das sich ganz der Kritik der Science Fiction und der Information über diese Literatur widmete. Die Folgen sind bekannt. Ich kannte natürlich die SF-Publikationen der Zeit, über die Eisfeld in seinem Buch auch schreibt, allerdings nicht von Anfang an, da ich erst auf sie stieß, als schon eine große Menge an Reihen und Nummern vorlagen, aber ich hatte keine Ahnung von den Vorgängen im organisierten Fandom (bis auf das, was in den Leserbriefspalten von Utopia Großband und Utopia-Magazin und in Transgalaxis zu lesen war), so dass Eisfelds Buch für mich eine Entdeckung ist. Er beschreibt die Vorgänge luzide und flüssig, mit einem leicht ironischen Ton über die Verirrungen der Jugend (er selbst hatte damals auch für die Ausschlüsse mancher Kritiker aus dem SFCD gestimmt, das Demokratieverständnis war damals nicht besonders entwickelt) und um Objektivität bemüht. Es ist ein wichtiges Buch zur Fandoms-Geschichte, die für Deutschland das tut, was z.B. Sam Moskowitz (The Immortal Storm, Atlanta: The Atlanta Science Fiction Organization Press 1954, zuvor 1945-1952 in Fortsetzungen im Fantasy Commentator abgedruckt), Damon Knight (The Futurians, New York: John Day 1977, über diese wichtige New Yorker Fan-Gruppe Ende der Dreißigerjahre und Vierziger Jahre) oder Harry Warner Jr. (All Our Yesterdays, Chicago: Advent Publishers 1969) fürs amerikanische Fandom geleistet haben. Eisfeld stützt sich vornehmlich auf schriftliche Zeugnisse, was es in seinem Buch aber nicht gibt im Gegensatz zu den zitierten amerikanischen Büchern sind Kurzcharakteristiken, Porträts der handelnden Personen, von denen nur Walter Ernsting dank seiner zentralen Rolle, an Profil gewinnt. Es fehlt, kurz gesagt, auch jeder Tratsch, oder persönliche Umstände, man denke nur an die Krankheiten, die Damon Knight bei den New Yorker Futurians, dieser einflussreichsten SF-Gruppe des SF-Fandoms konstatiert; wie isoliert diese jungen Fans als Kinder waren, wie arm und oft gehandikapt sie aufwuchsen. Knight liefert die Statistik, dass aus dieser Gruppe zehn Autoren kamen, ein Verleger, zwei Literaturagenten, vier Herausgeber von Anthologien und fünf Lektoren; dass es in der Gruppe zu sieben Ehen und fünf Ehescheidungen kam. Wollheim litt als Fünfjähriger an Kinderlähmung, die der Grippeepidemie von 1918-19 folgte, er war monatelang halbseitig gelähmt und seine motorische Koordination blieb so beeinträchtigt, dass er nicht an Ballspielen teilnehmen konnte, was ihn von seinen Altersgenossen isolierte und in die Welt der Bücher trieb. John B. Michel, ein Einzelkind, hatte eine Mutter, die Rückenmarktuberkulose litt, er selbst erkrankte an Diphtherie und blieb bis elf am rechen Arm und linken Bein gelähmt. Andere heimtückische Krankheiten wie Osteomyelitis folgten. Frederik Pohl infizierte sich als Schulkind mit Keuchhusten, dann Scharlach und so weiter, seine Mutter nahm ihn aus der Schule und erzog ihn jahrelang selbst (sie war ausgebildete Lehrerin) und er wuchs als einsamer Bücherwurm auf. Seine Eltern ließen sich scheiden, als er wenig älter als zehn war. Robert A.W. Lowendes, ein SF-Herausgeber, wurde mit einem Klumpfuß geboren, seine Mutter starb in der Grippeepidemie von 1918-1919, er wurde jahrelang von einem Verwandten zum anderen, weitergereicht, und er hatte ein Pferdegebiss, das ihm das Sprechen schwer machte. Merrills Vater erkrankte an Gehirnhautentzündung, was zu seinem Selbstmord beitrug. Die Väter von Richard Wilson und Walter Kubilius litten an Lungentuberkulose. Usw., usf. Im Deutschen Fandom war es wohl etwas anders, denn die leitenden Personen der Clubs waren älter, während die Masse des Fußvolks unter zwanzig war und das Land nicht die Weltwirtschaftskrise hinter sich hatte, sondern vor dem Ausbruch des Wirtschaftswunders stand. SF-Clubs spalteten und vereinigten sich oder veränderten die Namen. Eine Zeitlang hatte jeder der wichtigsten Leihbuch- und Heftautoren der Zeit, Karl Herbert Scheer (Stellaris), Walter Ernsting (SFCD) und Wolf Detlef Rohr (SFCE, E für Europa), seinen eigenen Klub. Scheer fand ich immer unlesbar, Clark Darlton einen ganz guten Erzähler, aber ein bisschen dünn, außerdem hatte er recht kuriose Auffassungen von der Relativitätstheorie, aber Wolf Detlef Rohr, der weitgehend ein richtiger Schundautor war, hätte, meine ich, wenn er in die Hände eines guten Lektors geraten wäre, ein erfolgreicher Autor farbiger Abenteuerromane werden können; manche Bilder bei ihm beeindrucken immer noch, und seine Dialoge sind nicht so übel. Auch nicht seine Imitationen des hard-boiled Stils mancher amerikanischer Krimi-Autoren. Es fehlt im deutschen Fandom an Fan-Memoiren, oft zornigen Erinnerungen, mit denen sich berühmte Fans, Big Name Fans, von der eigenen fannischen Verblendung und den Torheiten des Fandoms insgesamt verabschieden, oft mit eleganten Formulierungen. Das berühmteste solche Werk ist noch immer Francis T. Laneys Ah, Sweet Idiocy! (1948, 1952)) mit brillanten Kurzcharakteristiken vieler Fans. Wie gesagt, Eisfeld charakterisiert die Protagonisten der damaligen Ereignisse nicht, sie enthüllen sich allenfalls in Zitaten, vor allem Ernsting, der zeitweise den SFCD als seinen persönlichen, autokratischen Besitz betrachtete, der durch die Demokratie, für die die Deutschen nicht reif seien, nur einen Verfall erlebt habe. Besonders grotesk muten Bestrebungen an, das Fandom der Welt unter deutscher Regie (Eisfeld) zu einigen. Eisfeld liefert eine flüssig geschriebene, faktenreiche, gut dokumentierte, weitgehend objektive Darstellung der frühen Jahre des deutschen Fandoms, und dass er den Dinge heute distanziert und mit leichter Ironie gegenüber steht, macht seine Darstellung unterhaltsam und eminent lesbar. Das Fandom hat sich seit damals sehr verändert, die Clubs haben weitgehend an Bedeutung verloren, das Internet hat neue Kommunikationsmöglichkeiten eröffnet, von der Popularisierung der Wissenschaft spricht niemand mehr, wohl aber gibt es nach wie vor die zwei grundlegenden Fan-Philosophien, welche die Amerikaner mit treffenden Akronymen bezeichnet haben: FIAWOL (Fandom is a Way of Life) und FIJAGH (Fandom Is Just a Goddamn Hobby). Und manche Fans sind nach wie vor tatsächlich an Science Fiction interessiert ![]() GRANTELEIEN EINES ALTEN SF-DINOSAURIERS
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