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Mephisto - Beobachtungen zu MotivverkettungenVor ungefähr fünfunddreißig Jahren habe ich auf einer Tagung zur Lehrerfortbildung den Satz gehört: Da gibt es doch noch Kollegen, die nehmen den Faust (gemeint ist Goethes Faust)durch. Ich war beschämt, denn ich gehörte zu diesen unmöglichen Lehrern, die Faust im Unterrichtsprogramm hatten... Googelt man heute 'Mephisto' und 'Faust', so kann man sich nur wundern: Die Gestalten, die erstmalig in einem Volksbuch auftauchten, und die u.a. Johann Wolfgang Geothe inspiriert haben, sind heute in aller Munde. Man kann wohl sagen: Durch die Vorliebe für Phantastik wurde der Weg frei, alte Vorurteile gegen eine sogenannte unzeitgemäße Dichtung auzuräumen. Wie Motive der Faustsage heute weiter wirken, umgewandelt, übersetzt werden, möchte ich schwerpunktmäßig an zwei Erzählungen zeigen. Wolfgang Hohlbein: Der dünne Mann Alisha Bionda: Mephisto * Stürme... 'Und Stürme brausen um die Wette Vom Meer aufs Land vom Land aufs Meer, Und bilden wütend eine Kette Der tiefsten Wirkung ringsumher. Da flammt ein blitzenden Verheeren Dem Pfade vor des Donnerschlags; Doch deine Boten Herr verehren Das sanfte Wandeln deines Tags.' Dies ist keine Sturmmeldung neueren Datums, hat auch nichts mit Klimakatastrophe zu tun, sondern ist Teil eines Lobpreises der göttlichen Schöpfung durch den Erzengel Michael, Festgehalten von Johann Wolfgang Goethe. Genau genommen hat Mephisto nichts direkt mit diesen Stürmen zu tun, nichts mit dem 'blitzenden Verheeren'. Aber anders als der Erzengel Michael, der sich für das 'sanfte Wandeln' entscheidet, sind diese zerstörerischen Kräfte ganz in seinem Sinn. Seiner Meinung nach ist 'alles was entsteht', wert, 'dass es zugrunde geht'. Mit Wellen, Stürmen, Brand versucht Mephisto der 'plumpen Welt', die sich als Etwas dem Nichtsentgegenstellt, beizukommen. Faust will anderes. Eindeutig spricht er sich gegen Zerstörungen z. B. als Kriegsfolge aus. Auch eine, wie er meint, sinnlose Vergeudung von Kraft, wie er sie in der Natur beobachtet, beängstigt ihn bis zur Verzweiflung. 'Da herrschet Well auf Welle kraftbegeistert, zieht sich zurück und es ist nichts geleistet.'(483) Faust hat sich in der Welt umgesehen, hat Liebe, Lust erfahren. Am Ende hat er die Vision einer Form von Leben, die er bisher nicht ausprobiert hat: Er will gestalten, verändern, Dauerhaftes schaffen und entfernt sich so weit vom destruktiven Denkschema Mephistos. Bereits vor dem Teufelspakt entscheidet er sich bei der Übersetzung der Bibel in 'sein geliebtes Deutsch' für die Version: Am Anfang war die Tat. Nun wird er zum Unternehmer mit einem großen Ziel. Er legt Sümpfe trocken, baut Dämme. Und so eröffnet er 'Räume für Millionen'. Diese Millionen werden nicht sicher leben, die Dämme müssen ständig ausgebessert werden, aber sie werden eine 'tätig freie' Existenzform finden. Für Faust tut sich ein weites Feld für Tätigkeiten. Und Mephisto hört auf, Ratgeber in Lebensfragen zu sein. Er arbeitet im Dienst des alten Faust als Oberbauleiter mit an dem Projekt! * Für den 'dünnen Mann'(W. Hohlbein) - alias Mephisto - ist die Zerstörung ebenfalls oberstes Gebot. Der Blickwinkel jedoch ist weniger global. Jan, sagen wir der Partner Mephistos, wacht eines morgens nach einer Nacht , in der er 'lange nicht so viel getrunken hatte, wie nötig gewesen wäre, dass sich das Zimmer um ihn drehte', auf und entdeckt Risse in der Decke über sich. Diese Risse sind die letzten Ausläufer eines Erdbebens, das San Francisco im Jahr 1912 getroffen hat. Damit nehme ich das Ergebnis schon vorweg. Dieses Erdbeben hätte durchaus eine Chance gehabt, nicht statt zu finden. Man hätte lediglich fünf Gerechte gebraucht. Das Strafgericht in der Art von 'Sodom und Gomorrha' hätte nicht stattgefunden. Aber leider gab es nur vier Gerechte, und Mephisto setzte alles daran, den fünften Gerechten, der nicht in der 'normalen' Welt zu finden war, aufzuspüren. Dieser fünfte Gerechte konnte von den Boten Gottes nicht gefunden, weil er sich nicht in der Welt der Gerechten befand, sondern in der Welt der 'Diebe und Gauner'. So hatte der dünne Mann, der sich in der 'Unterwelt' besser auskannte als die 'Gegenpartei', die sich aus den Boten Gottes rekrutierte, eine Möglichkeit, dem richtigen Mann zu begegnen. Dieser richtige Mann war Jan Mc Gillicaddi. Nein, einen Mord hatte er noch nicht auf sich geladen, aber der Weg zum Galgen war ihm vorgezeichnet. Trotzdem war er der richtige Mann. Der Mann, der bereit war, für die Straße in San Francisco, in der er bisher gelebt hatte, zu sterben. Aber er war in Mephistos Händen. Die 'Gegenseite' erfuhr nichts von diesem Menschen, der die Gerechtigkeitsnorm erfüllte, der fünfte Gerechte fehlte, und so war das Opfer von Jan Gillicaddi umsonst. Das Strafgericht fand also statt. In den letzten Sekunden seines Lebens sieht Jan die zerstörte Straße. Die Rechnung des dünnen Mannes schien aufgegangen zu sein. * Sinnlichkeit Goethes Faust hat den Teufelspakt abgeschlossen, u. a. weil er nach allen Möglichkeiten, die die Erde zu bieten hat, Ausschau hält. Er will auch das 'Tiefste' zu erfahren. Das Tiefste ist die flache Unbedeutendheit im Sinn der Zechkumpane von 'Auerbachs Keller', aber auch Sinnlichkeit, wie er sie bei den nordischen und klassischen Hexen kennen lernt. Im zweiten Teil beschreibt Mephisto, wie er, Mephisto' sich ein gutes Leben vorstellt. Am 'lustgen Ort' würde er sich ein Schloss bauen. (482). Ehrwürdig würde es anzusehen sein. Aber an den Seiten der Wege zischt's und pisst's in tausend Kleinigkeiten. Den allerschönsten Frauen ließe er 'vertraut-bequeme Häuser' bauen. Dort die Zeit verbingen wäre ganz in seinem und wie er hofft- auch in Fausts Sinn. Fausts Reaktion auf diesen Lebensentwurf: Schlecht und modern. Sardanapal! Damit ist der Plan erledigt. W. Hohlbeins Mephisto(der Dünne Mann) hat es nicht nötig, Jan in die Welt der Gaunereien und der 'Sinnlichkeit' einzuführen. Für Jan gab es die Frauen ebenso wie für Goethes Mephisto hauptsächlich im 'Plural', und zwar lange Zeit bevor der dünne Mann in sein Leben trat. - Sinnlichkeit ist für Faustino (Alisha Bionda) zwar das Motiv für den Teufelspakt. Ziel aller seiner Wünsche ist Serafina. Aber Faustino tritt in der Handlung zunehmend in den Hintergrund. Wesentlich ausführlicher erfährt der Leser jedoch von der intensiver werdenden Sinnlichkeit Serafinas. Die Freundin Sybille registriert die Veränderungen Serafinas, bedingt durch den Umgang mit Faustino und Mephisto, genau. In der letzten Zeit rennst du mit einem Quasimodo -Outfit herum, das einer Geisterbahnfigur alle Ehre macht.Wir erfahren Genaueres: Sybille wusste das Oberteil, das Serafina trug, nicht zu bezeichnen. Es war ein schwarzes zipfeliges Etwas, das den Blick auf Serafinas Bauchnabel über der ebenfalls schwarzen Lederhose frei ließ. Das Material war unbeschreiblich. Ein samtenes Gewebe, das Sybille an das Fell eines Tieres erinnerte.(S.67) .(Mit Fausts Gretchen hat diese Serafina kaum Ähnlichkeit). Wenig später fallen Sybille die nadelspitzen Zähne ihrer Freundin auf. Sinnlichkeit, Triebhaftigkeit, Lust, Ekstase sind in zunehmendem Maß die 'Werte', die in Serafinas Leben vorherrschen. Sie entwickelt sich im Verlauf der Handlung nicht nur zur Vampirin, die dem Herrn Mephisto Jünglinge 'zuführt', sie verwandelt sich mit anderen zusammen wenigstens zeitweise in eine Rättin. * Ratten Serafina war in ein Haus am Stadtrand umgezogen, in dessen Keller Ratten herrschten. Selbst Mephisto, der Kater, wird ihrer nicht Herr, auch wenn er gelegentlich mit einer Ratte im Maul in dem oberen Teil der Wohnung erscheint. Im Keller begegnet sie zum ersten Mal einer Ratte, deren Augen sie an die Augen ihres neuen Freundes Faustino erinnern. Faustino hat mit einem dieser 'grässlichen Viecher'( Zitat Sybille) zu tun? Man gewöhnt sich an alles, selbst an Ratten. Im Lebensraum Mephistos spielen Ratten eine entscheidende Rolle. Mephisto ist Herr über ein imenses Rattenheer, das ihm unbedingt ergeben ist. Serafina und Faust reihen sich in dieses Heer ein. Serafina ist die Königin der Ratten, Faustino der Freund des Rattenherren... Herr der Ratten und der Mäuse, der Fliegen, Wanzen, Läuse ist Goethes Mephisto ebenfalls. Als Mephisto sich aus dem 'Bann' Fausts befreien will, lässt er eine Ratte die Spitze des Pentagramms, das ihn gebannt hatte, annagen. Und er hat Erfolg, kann sich befreien.. * Mephisto, der Helfer ...Als Jan, der Gauner, an dem Morgen, an dem ihm Mephisto begegnet, aufwacht, ist er im wahresten Sinn des Wortes alles andere als gesund. Er hat Kopfschmerzen. Grässliche Kopfschmerzen. Kopfschmerzen, die 'zu grausamer Wut' explodierten. (S.114). Der Dünne Mann berührt seine Schläfen- und die Schmerzen verschwinden, als wären sie nie da gewesen. Auch der Riss in der Decke des Raumes, der bedrohlich breiter wird- die Decke schickte sich an, in jedem Augenblick herunter zu stürzen- unterwirft sich dem Dünnen Mann, alias Mephisto. Mephisto scheint allmächtig, unterwirft sich Raum und Zeit. In meiner Geschichte 'Libelle' lasse ich Mephisto ebenfalls als 'Arzt' auftreten. 'Tante Irene' ist alt, hat rheumatische Beschwerden, die dem Ausmaß der Kopfschmerzen des Herrn Jan Gillicaddi durchaus vergleichbar sind. Alle haben sie verlassen. Mephisto verspricht Abhilfe. Auch Goethes Faust ist in Not. Er empfindet sein Studierzimmer als Mauerloch, das ihn vom 'eigentlichen' Leben fern hält. Es kann kein Hund so länger leben, drum hab' ich mich der Magie ergeben. So sind die äußeren Voraussetzungen zu einer Begegnung mit Mephisto gegeben. Es sind zwar nicht unbedingt körperliche Schmerzen, die ihn bedrängen. Aber er befindet sich in einer Lebenskrise, die sogar einen Selbstmordversuch einschließt. Der Grund für die verzweifelte Situation: 'Vernunft' und 'Wissenschaft' reichen ihm nicht aus. Faust, der Professor, will Anderes, Neues. Der Erdgeist, der ihm vielleicht diese anderen Erfahrungen möglich gemacht hätte, ist nicht bereit, ihm zu helfen. In der Situation trifft er auf den 'Helfer' Mephisto. Und der steht ihm bei. Er schafft die Voraussetzung für die Verjüngung, die ihrerseits die Voraussetzung für das Treffen mit Gretchen ist, er fädelt die Begegnung mit Helena ein, hilft beim Dammbau etc.etc. * Mephisto, der Sieger? Ob er sein Ziel, über die Seele Fausts Gewalt zu haben, erreicht? Im Volksbuch aus dem 16. Jh 'Historia von D. Johann Fausten' ist's am eindeutigsten. Ja, er erreicht es - dieses Ziel. Faust wird vom Teufel(sprich Mephistopheles)- ich erspare dem Leser Details, unter spektakulären Umständen abgeholt. Bei Goethe ist es nicht ganz so eindeutig. Zwar sagt Faust: 'Verweile doch...' und erfüllt damit die Bedingung des Mephisto, aber Mephisto hat mit Recht keine Chance, über den Geist Fausts zu herrschen, nachdem er den Körper verlassen hat. Wir erinnern uns: 'Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen'. So wird Faust nach dem Tod von den Boten Gottes abgeholt. Immer wieder hat es sich gezeigt: Mephisto hat letztendlich keine Ahnung von dem, was Faust bewegt oder bewegt hat. Ich hätte Lust, nun abzufahren sagt Fast, nachdem er an der Gesellschaft, die nach Mephistos Meinung zu leben weiß(Auerbachs Keller), teilgenommen hat.. Auch den Lebensentwurf Mephistos nach der Helenaaffäre entspricht nicht seinen Vorstellungen. Vielleicht lässt sich alles auf eine Formel bringen: Mephisto liebt die Zerstörung, das Chaos, denn 'alles was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht', Faust will aufbauen, etwas Neues entstehen lassen. Fausts und Mephistos unterschiedliche geistige Struktur zeigt sich auch wenn beide das gleiche Wort benutzen: Sie meinen etwas anderes. Mephisto bevorzugt das Leben in einer Kleinstadt mit krumm-engen Gässchen mit Märkten, wo man Gestank und Tätigkeit findet. Man freut sich da am -sinnlosen- Hin- und Herlaufen, am zerstreuten Ameis-Wimmelhaufen. Fausts Zukunftsvision nachdem u.a. durch Dammbau Wohnraum geschaffen worden war: Und so verbringt umrungen von Gefahr/, hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr/ Solch ein Gewimmel möcht ich sehn,/ Auf freiem Grund mit freiem Volk zu stehn. Mephisto gelingt es nicht, Faust in seinen Dunstkreis abdriften zu lassen. Die Selbstheilungskräfte werden rechtzeitig wirksam. - Ganz anders verläuft die Handlung bei Alisha Bionda. Von Selbstheilungskräften kann bei Faustino und auch bei Serafina und Sybille nicht die Rede sein. Die 'Stimme des Gewissens' wird- wenn sie denn mal auftaucht- immer leiser. So geraten alle Faustino, Serafina und selbst Sybille, bei der der Widerstand gegen die teuflischen Krafte am nachhaltigsten ist, in den Sog, den Dunstkreis Mephistos. Ein vollständiger Sieg des Mephisto also. Der Dünne Mann (Hohlbein) siegt ebenfalls . So scheint es wenigstens. Jan sieht kurz vor seinem Tod, dass die Straße, die Stadt, untergeht. Die Straße vor seinem Fenster wird zerstört. Der Riss in der Decke des Zimmers vergrößert sich, die Decke fällt herab. Jan tut genau das, was Mephisto will. Eigentlich kann Mephisto dieses Wollen nicht gut heißen. Ebenso wie Goethes Faust hat Jan die Vision einer zwar nicht heilen, aber doch intakten Welt. Anders als Mephisto will er keine Zerstörung und setzt einiges daran, sie zu vermeiden. Die Realität jedoch sieht anders aus. Wie gesagt: Der Blick aus dem Fenster zeigt eine zerstörte Stadt. Ob die Vision des goetheschen Faust realistisch ist? -Es ist mehr als wahrscheinlich, dass Mephisto das letzte Wort behält. Die Elemente sind mit uns verschworen, und auf Vernichtung läuft's hinaus. Aber sind diese offensichtlichen Siege wirkliche Siege? Sicher ist: In den Sog des teuflischen Prinzips lässt sich weder Hohlbeins Jan noch Goethes Faust hinein ziehen... Nicht das Ergebnis allein zählt, vielmehr die Einstellung, die Haltung. (Der Dünne Mann bedauert die Entscheidung Jans, sich für die Stadt töten zu lassen. Deutlicher als Goethes Mephisto spürt er: Das mephistophelische, zerstörerische Prinzip hat keine Chance, dann nicht, wenn Menschen den rechten Weg wahrnehmen. ) * Nachklang Auch in meiner Geschichte siegt Mephisto nicht. Er wollte Tante Irene in eine Schmeißfliege verwandeln. Aber auch Teufel können sich nicht immer konzentrieren. Er sagt den falschen Spruch. Und Tante Irene fliegt als Libelle aus dem Fenster... ![]() PHANTASTIK UND KLASSIK - eine Spurensuche
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