Main Logo
LITERRA - Die Welt der Literatur
Home Autoren und ihre Werke Künstler und ihre Werke Hörbücher / Hörspiele Neuerscheinungen Vorschau Musik Filme Kurzgeschichten Magazine Verlage Specials Rezensionen Übersicht
Neu hinzugefügt
Rezensenten
Genres
Sammelkategorien Interviews Kolumnen Artikel Partner Das Team
PDF
Startseite > Rezensionen > Thomas Harbach > Horror > Die Schwestern

Die Schwestern

DIE SCHWESTERN

Jack Ketchum
Roman / Horror

Atlantis Verlag

Taschenbuch, 100 Seiten
ISBN: 978-394125824-2

Jan. 2011, 8.90 EUR
Bestellen: Jetzt bestellen

In England gab PS Publishing, in den USA Cemetary Dance den Autoren die Freiheit zurück, längere Stoffe irgendwo zwischen Kurzgeschichte und Roman wieder in der an gestammten Form der Novelle schreiben und vor allem veröffentlichen zu können. Mit „Die Schwestern“ – im Original passender „The Crossings“ aus dem Jahr 2003 - präsentiert der Atlantis- Verlag eine Novelle des Amerikaners Dallas Mayrs, der unter dem Pseudonym Jack Ketchum schreibt. Ein auffälliges, stimmungsvolles Titelbild Timo Kümmels leitet die ursprünglich als Drehbuch mit der Idealvorstellung Clint Eastwoods in der Hauptrolle des stoisch schweigenden Heldens konzipierte Geschichte ein. Es folgt ein kurzes Vorwort von Jack Ketchum, am Ende des Bandes führt Christian Enders ein launiges Interview mit dem Amerikaner und versucht in seinem Nachwort neben einigen relevanten Informationen über dessen Werk die Faszination dieser Splatterpunk/ Weird Fiction Bewegung zu definieren. Diese Extra runden die exzellente, lesenswerte, verstörende Arbeit Jack Ketchums ab, die ebenso wie sein empfehlenswerter schockierender Roman „The Girl next Door“ anscheinend auf Tatsachen basiert, die Ketchum in dem Buch „Die Sex-Händler“ des Briten Stephen Barlay gefunden hat. Der Autor hat sie nur in die etwas mehr als einhundert Jahre in die Vergangenheit und damit in die Nachwehen des amerikanisch- mexikanischen Grenzkrieges verlegt.

Der Ich- Erzähler Marion T. Bell ist ein dem Alkohol verfallener junger Journalist einer New Yorker Tageszeitung, der im Zuge seiner Reise erst auf der Jagd frei in den Weiten der Prärie lebenden Mustangs, später auf eine Gruppe perverser Sklavenhändler unter der Führung der Schwestern und ihrer dominanten, an die Menschen opfernde Religion der Majas glaubender Mutter an der Seite der Kriegsteilnehmer John Charles Hart und Mother Knuckles nicht nur zu einem Mann wird, sondern die eigenen Schwächen besiegt. Im Prolog hat Ketchum beschrieben, wie eine Handvoll Mexikaner eine Farm überfällt, die beiden Töchter vergewaltigt und entführt sowie sich mit Hühnern versorgt, die für mehr als nur Nahrung gebraucht werden. Diesen Handlungsfaden lässt Ketchum dann geschickt durch die Flucht eines jungen Mädchens aus dem Gefangenenlager der Schwestern in den eigentlichen Erzählbogen einfließen. Die drei Antihelden, die im Grunde viele Klischees des Italo- Western auf sich vereinigen und sie trotzdem mit überzeugendem Leben erfüllen, finden in der Wüste zwei misshandelte junge Mädchen, von denen eine im Sterben liegt. Die Andere – eine junge Mexikanerin – flieht am nächsten Morgen mit Pferd, Gewehr und Kleidung, um ihre Schwester aus den Händen der Entführer zu befreien. Wie absehbar verfolgen Bell, Hart und Knuckles sie nicht nur, sie schließen sich ihr zwecks Befreiung der anderen gefangenen Frauen an, was letzt endlich im insbesondere für Spätwestern obligatorischen Blutbad mündet.
Trotz oder gerade wegen der für Ketchums Werk so bekannten abstoßenden wie mahnenden niemals um ihren Selbstzweck benutzten Brutalität fällt auf, dass der Autor sich etwas überambitioniert und fast in Comictradition – Jonah Hex lässt grüßen – bemüht, seinem eigentlichen Helden John Charles Hart nicht nur einen Hintergrund zu geben, sondern ihn angesichts des bodenständigen Plots viel zu sehr zu heroisieren. Ein ungewöhnliches Vorgehen für Ketchum, der in seinem Vorwort auch expliziert Eastwoods Meisterwerk „Unforgiven“ als Vorbild nimmt. Hart hat nicht nur einen schmutzigen Krieg inklusiv eines unbändigen Hasses auf Mexikaner hinter sich, die Liebe seines Lebens – eine „harte“, aber auch attraktive Frau, die in Spielsalons gearbeitet hat – an einen anderen Mann verloren, sondern findet bei den Schwestern einen der Deserteure aus seiner Einheit wieder, mit dem Hart noch ein Hühnchen im übertragenen Sinne zu rupfen hat. Vielleicht wäre Hart als stoisch schweigsamer Außenseiter mit erkennbarem Verantwortungsgefühl für den kurzen Text ausreichend genug charakterisiert. Ketchum braucht keine weiteren Gründe, Hart im Gegensatz zum zu blassen Erzähler Bell zur Identifikationsfigur des Lesers zu machen. Mother Knuckles ist auf den ersten Blick der „normalste“ Gute. Er sieht sich ironisch übersteigert, als die „Ehefrau“ Harts an. Er kümmert sich liebevoll um die beiden misshandelten jungen Frauen und opfert sich letzt endlich für Hart und Bell. Auf der anderen Seite weckt diese Szene auch die lange unterdrückten Emotionen Harts wieder, was schließlich in dem fulminanten Todesmarsch gipfelt. Bell als Erzähler nimmt nicht die ansonsten distanzierte Position ein, sondern ist mittendrin im Geschehen. Schockiert sowohl vom Geschehen im Salon, in dessen Verlauf sich Hart als Pragmatiker entpuppt als auch später auf der Ranch der Schwestern als echte Hilfe; er ist talentiert beim Einfangen der wilden Mustangs und letzt endlich das Gewissen der Gruppe. Ohne seine Menschlichkeit zu verlieren ist er die am meisten abgerundete Persönlichkeit, deren Reporterethos sich fast an den in „Der Mann, der Libery Wallace erschoss“ Regeln orientiert.
Weiterhin verzichtet Jack Ketchum auf ein emotionales Happy End. Seine weibliche Protagonistin – die junge Elena – entwickelt sich aus Sorge um ihre Schwester, die sie allerdings nicht kopflos handeln lässt – wie Bell weiter. Sie weiß, dass Hart sie aufgrund ihrer Abstammung als Mexikanerin verabscheut, trotzdem bringt sie ihm als Mann wahrscheinlich mehr als Respekt entgegen. Es ist sicherlich ein ironischer Seitenhieb gegen das Machoimage des Cowboys, dass sie letzt endlich den letzten Schuss abfeuert. Ansonsten zeichnet sie Katchum als starke Persönlichkeit ohne allzu sehr zu Übertreibungen, die zusammen mit ihrer Schwester die Erlebnisse bei den Schwestern niemals vergessen, aber überstehen wird. Hinsichtlich der Antagonisten folgt Jack Ketchum den Exzessen Rex Millers in dessen „Chaingang“ Arbeiten. In „The Girl next Door“ zeigte sich der Wahnsinn der ansonsten bodenständig einfach gezeichneten Folterknechte erst auf den letzten Seiten, was sie gefährlicher, unberechenbarer erscheinen ließ. Bei der Charakterisierung der Schwestern und ihrer Übermutter neigt Ketchum zu sehr zu Übertreibungen, was die Glaubwürdigkeit und insbesondere die Schockwirkung in der zweiten Hälfte des Buches deutlich unterminiert. Zu den beeindruckenden Passagen gehört die unfreiwillige Führung Elenas zusammen mit dem Leser an den einzelnen Folterzimmern im Haus der Schwestern vorbei.

Der Plot ist ausgesprochen stringent und kompakt erzählt. Aktien, Reaktion folgen kurz aufeinander. Hinsichtlich des obligatorisch blutigen Showdowns zitiert Jack Ketchum interessanterweise Paul Newmans „Man nannte ihn Hombre“, was an der brutalen Effektivität inklusiv der früh erkennbaren und wenig überraschenden Endauflösung allerdings nichts ändert. Mit jeder Zeile versucht Jack Ketchum die verklärte Romantik der Hollywoodwestern zu negieren. So lehnt sich seine Geschichte konsequenterweise an die Neo Weird Western insbesondere Joe R. Landsdale an ohne auf die Plotstruktur insbesondere Corbuccis – „Leichen pflastern seinen Weg“ – zu verzichten. Stilistisch - auch in der soliden deutschen Übersetzung Ben Sonntags erkennbar - ansprechend in Anlehnung an die Pulpwesterngeschichten geschrieben bietet „Die Schwestern“ sehr gute, am Rand der Gewaltpornographie – trotz der überwiegend auf Fakten basierenden Grundidee, die Ketchum mit religiösem Wahn und brutalen Exzessen ausgeschmückt hat – schockierend provozierend entlang gleitende Lektüre, die im Gegensatz insbesondere zum eher plakativ unkritischen Richard Laymon anrührt, zum Nachdenken anregt und positiv unangenehm unterhält.

In Bezug auf Christian Enders interessantes, aber teilweise doch ein wenig zu euphorisch oberflächliches Nachwort muss angemerkt werden, dass er versucht, Ketchums Stellung als kritischer Erzähler gesellschaftlich sozialer auf den ersten Blick unglaublicher Exzesse herauszuarbeiten, dass aber insbesondere der Bogenschlag zu Autoren wie Andrew Vachss außerhalb des Genres fehlt, die nicht nur in ihren Roman wie um den Schnüffler Burke, sondern durch ihre aktive Arbeit die Finger in die Wunden gelegt haben und den sexuellen Missbrauch insbesondere von schutzbedürftigen Minderjährigen in einer Wegsehgesellschaft immer wieder angeprangert haben. Viele von Jack Ketchums Romanen und insbesondere auch die vorliegende Novelle müssen dieser elementaren sozial relevanten unangenehm zu lesensen Literaturströmung zugeordnet werden als das sie in einem Atemzug mit Gewaltpornographen wie Laymon oder auch Paul M. Sammon genannt werden sollten. Eine uneingeschränkt empfehlenswerte Veröffentlichung des „Atlantis- Verlag“, der weitere Novellen insbesondere von ausländischen Autoren angekündigt hat.

04. Mar. 2011 - Thomas Harbach

Der Rezensent

Thomas Harbach
Deutschland

Total: 732 Rezensionen
März 2018: keine Rezensionen


Weitere Rezensionen

Die Schwestern
Jack Ketchum - DIE SCHWESTERN
Horror - Rezensentin: Irene Salzmann
Die Schwestern
Jack Ketchum - DIE SCHWESTERN
Horror - Rezensent: Elmar Huber
Die Schwestern
Jack Ketchum - DIE SCHWESTERN
Horror - Rezensent: Eric Hantsch

[Zurück zur Übersicht]

Manuskripte

BITTE KEINE MANUS­KRIP­TE EIN­SENDEN!
Auf unverlangt ein­ge­sandte Texte erfolgt keine Antwort.

Über LITERRA

News-Archiv

Special Info

Batmans ewiger Kampf gegen den Joker erreicht eine neue Dimension. Gezeichnet im düsteren Noir-Stil erzählt Enrico Marini in cineastischen Bildern eine Geschichte voller Action und Dramatik. BATMAN: DER DUNKLE PRINZ ist ein Muss für alle Fans des Dunklen Ritters.

LITERRA - Die Welt der Literatur Facebook-Profil
Signierte Bücher
Die neueste Rattus Libri-Ausgabe
Home | Impressum | News-Archiv | RSS-Feeds Alle RSS-Feeds | Facebook-Seite Facebook LITERRA Literaturportal
Copyright © 2007 - 2018 literra.info