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LisaEpisode 6 von Tanya Carpenter und Alisha Bionda ![]() In ihrem kleinen Appartement angekommen, warf sie den Rucksack neben ihren Schreibtisch, plumpste auf den abgewetzten Lederstuhl, auf dem ihr Kater Joe Cocker deutliche Spuren hinterlassen hatte, und fuhr ihren Mac hoch. Währenddessen kramte sie in dem Wust Papiere auf ihrem Schreibtisch. Ein Wust, der so unendlich und unergründlich wie die Weiten des Alls war. Dennoch fand Lisa immer alles auf Anhieb. So auch jetzt. Da war er der Ausdruck der Maskenball-Info. Sehr idyllisch, murmelte Lisa zufrieden, als sie die Abbildung des von Wiesen, Wäldern und Weinbergen umgebenen Château Mort-Mardent im Herzen der Champagne betrachtete. Das war genau das, was sie jetzt brauchte, um zum einen die Batterien neu aufzutanken, zum anderen wieder mit einer besonderen Story nach Hause zu fahren. Lisa lehnte sich in dem hohen Ledersessel zurück und dachte mit einem breiten Grinsen erneut an ihren Ex-Chef und Möchtegern-Besteiger, an diesen zweidimensionalen Idioten in der Figur eines Monolithen. Rübenschwein, hatte sie ihn immer insgeheim genannt, weil er stets außer Atem war und kurzatmig vor sich hin schnaufte. Wenn er jemals seine schmierigen Schweinchenhände an sie gelegt hätte, wäre ihm ein derartiger Tritt in die Kronjuwelen sicher gewesen, dass sogar seine Nierensteine explodiert wären. Der Gedanke, ab jetzt eine freie Frau zu sein, stimmte sie heiter. Dass dieser Zustand leider auch auf ihr Privatleben zutraf, löste allerdings weniger Heiterkeitsausbrüche in ihr aus. Es gelüstete sie endlich wieder nach einem richtigen Mann. Einem, mit dem sie sich bis zum Gehtnichtmehr verlustieren konnte. Schließlich war mindestens einmal am Tag gesund. Lisa stieß einen frustrierten Laut aus. Ich hoffe, der Gott der sexuell Frustrierten fühlt sich mal allmählich für mich zuständig!, murmelte sie. Denn gegen ein bisschen Matratzen-Mambo hätte ich nichts einzuwenden und gegen einen Kerl mit einem ordentlichen Aktivposten in der Jeans auch nicht. Genug, schalt sie sich und griff zu ihrem schnurlosen Telfon, tippte die Nummer des Schlosshotels ein und wartete, als das Freizeichen ertönte, ungeduldig, darauf, dass sich jemand am anderen Ende meldete. ![]() Lucy hatte den Entschluss gefasst, dass es an der Zeit war, tiefer in die Geheimnisse der Hotelführung einzusteigen und dabei auch endlich ihren Mutterpflichten gerecht zu werden, nachdem Sohnemann Waldemar nicht mehr spontan zum Flammenwerfer mutierte. Warum sie ausgerechnet beides an einem Tag erledigen wollte, wusste sie selbst nicht mehr zu sagen, weil sie sich gerade mit hochtrabenden Fragen beschäftigen musste. Wie zum Beispiel, warum auf einem Telefon 24 Lämpchen für verschiedene Leitungen gleichzeitig blinken konnten, wenn es doch nur einen Hörer hatte, wieso Drachenkinder immer dann einen Tobsuchtsanfall bekamen, wenn man sich gerade konzentrieren musste und weshalb Schwiegermütter, insbesondere solche mit drachischer Natur, mit ihren Unkenrufen immer Recht haben mussten. Kindererziehung und Hotelführung passen nicht zusammen. Am besten du überlässt beides einer versierten, erfahrenen Kraft, hatte Penelopee zu ihr gesagt und damit vermutlich einzig und allein sich selbst gemeint. Nein!, entschied Lucy. Das konnte immerhin nicht so schwer sein. Einfach auf ein Knöpfchen drücken und ihr Verslein abspulen, dann ging schon alles seinen Gang. Lady Lucretia von Pyromenika zu Alabast am Apparat, was kann ich für Sie tun?, säuselte sie freundlich, wie es in ihrem Ratgeber für die moderne Hotelfachfrau stand, in die Leitung, während sie gleichzeitig bemüht war, ihren widerspenstigen Sohn Waldemar zu bändigen, der gerade das halbe Hotel zusammenbrüllte, weil er einfach nicht seinen Willen bekam. Ein wenig konnte sie ihn ja verstehen. Wer wartet schon gerne noch an Fasching auf das an Weihnachten zugesagte Geschenk? Aber Lucy war sich sicher, dass Sandra Santa das richtige Timing einkalkuliert hatte und es aus einem ihr bislang unerklärlichen Grund besser war, wenn der Wasseratem noch nicht funktionierte. Dabei wollte Waldi unbedingt als Feuerwehrdrache auf dem Maskenball auftreten, weil er den kleinen grünen Drachen aus dem Fernsehen so toll fand. Lucy hatte mit Gil ein ernstes Gespräch geführt, dass künftig sämtliche Videospiele und Zeichentrickfilme mit Drachen in der Hauptrolle untersagt waren, bis ihr Sohn geistig so weit war, dass man ihm den Unterschied zwischen Realität und Fiktion erklären konnte. Aber das half momentan auch nicht weiter, denn Lucy verstand durch Waldis Geschrei die Person am anderen Ende der Leitung nicht und allmählich schmolz auch die antrainierte Höflichkeit unter der Hitze von Waldis Wutanfall dahin. Wenn sie nicht aufpasste, würde ihr Söhnchen seine Mama noch versehentlich in Flammen aufgehen lassen. Es nutzte nichts, widerwillig musste Lucy zugeben, dass ihre Schwiegermutter Recht behielt und sich die Leitung eines Hotels nur schwer mit Mutterfreuden verbinden ließ. Das eine stand dem anderen im Weg. Vielleicht sollte sie sich die Wochentage abwechselnd dafür einplanen, statt beides gleichzeitig zu wollen. Im Augenblick jedenfalls kapitulierte sie vor der Macht der Drachenfledermaus und brüllte in Konkurrenz zum Babyplärren in die Gegensprechanlage. Gerard! Gabriel! Kümmert euch bitte augenblicklich um Waldi, ich muss arbeiten! Anschließend säuselte sie wieder freundlich, jedoch inzwischen deutlich angespannt in den Hörer: Einen Moment Geduld bitte noch, ich bin gleich für Sie da. Dabei hatte sie keine Ahnung, ob ihr Gegenüber noch in der Leitung war und wenn ja, ob er oder sie außer einem Jungdrachen mit dem Lungenvolumen einer Eishockeyhalle irgendetwas verstand. Wenige Augenblicke später, erschienen die beiden Nannys und zogen den protestierenden Waldemar an seinem langen Drachenschwanz hinaus. Dafür brauchten sie all ihre Kräfte, denn er krallte sich entschlossen im erst kürzlich restaurierten Parkett fest, was einige hässliche, tiefe Kratzer hinterließ, über deren Beseitigung sich Gerard beizeiten Gedanken machen musste. Doch erst mal war das erklärte Ziel erreicht. In Lucys Büro herrschte Ruhe und sie konnte sich voll und ganz ihrem potentiellen Gast zuwenden und mit lächelndem Gesicht die Buchung für den Maskenball entgegennehmen. Wobei sie tausend Mal beteuerte, wie sehr sie sich darauf freute, die junge Dame demnächst zum großen Event des Frühjahrs auf Château Mort mardent begrüßen zu dürfen und.dabei in ihrer Erleichterung vergaß, nach dem Buchungskennwort zu fragen, das den paranormalen oder normalen Bereich auswies. Sie überlegte kurz, ob sie die Dame, Lisa ... Wie war noch gleich der Nachname gewesen? Nun, damit erledigte sich der Rückruf praktisch von selbst. Aber wer fünfzehn Minuten in der Leitung ausharrt und einen quengeligen Jungdrachen erträgt, konnte nur für den Astralen Hotelbereich gebucht haben. Sie vermerkte den Eintrag in Zimmer Nr. 463, direkt zwischen dem Waldgnom Rudi Rindenwurz und dem adligen Werwolf Sir Arthur Bisskuitt. Beide hatten ausgezeichnete Manieren, da würde also nichts schiefgehen, egal welcher Para-Spezies Lisa auch angehörte, denn auch danach hatte Lucy in all der Hektik nicht mehr gefragt. Aber immerhin: Ihr erster Tag bei der Buchungsannahme und sie hatte eine erfolgreiche Zimmerreservierung vorgenommen. Stolz und mit sich zufrieden begab sie sich auf dem Weg zu Waldis Kinderzimmer, um zu sehen, wie Gerard und Gabriel mit ihm fertig geworden waren. Und um bei dieser Gelegenheit auch gleich Gabriel zu bitten, die Buchungsanfragen doch wieder zu übernehmen, da sich für den Rest des Tages eine Migräne bei ihr ankündigte. ![]() Sonderbarerweise fühlte sich Lisa nach dem Gespräch mit Lucretia von Pyromenika zu Alabast in einer Hochstimmung. Am liebsten wäre sie sofort losgebraust. Sie hatte nicht lange mit sich gerungen, ob sie fliegen oder mit dem Auto fahren sollte, denn sie liebte es mit der Ente durch die Lande zu knattern und eines hatte sie ab jetzt: Zeit! Lucretia von Pyromenika zu Alabast, was für ein durchgeknallter Name, wie geil ist das denn? Lisa strich sich die dunklen Ponyfransen, die ihr über die Augen fielen, zurück. Die Frau hatte im Gegensatz zu ihrem merkwürdigen Namen und dem Mördergeschrei im Hintergrund, das phonetisch ein Metallica-Konzert locker in den Schatten gestellt hätte, sympathisch geklungen. Lisa freute sich darauf, sie und das Hotel kennenzulernen. Doch vorher musste einiges erledigt werden. Ihr Blick fiel auf ihren Kater, der sich unbemerkt an ihre Seite geschlichen hatte. Dir wird das gar nicht schmecken, mein Lieber. Du musst für eine Weile zu Tante Bille in Pflege. Der schwarze Kater mit den bernsteinfarbenen Augen sah sie lässig an als könne ihn nichts aus der Ruhe bringen. Wenn du wüsstest, dachte Lisa, wenn du wüsstest. ![]() Die Tage, die bis zur ihrer Abfahrt folgten, vergingen wie im Fluge. Als letzten Gang, der ihr zugegebenermaßen schwer fiel, hatte sie Joe Cocker bei ihrer Tante abgeliefert. Wie immer wenn er ausquartiert wurde, nahm er das äußerst übel und fauchte all seinen Unmut heraus und hinterließ als sichtbares Zeichen seines Zornes demonstrativ eine Pfütze auf den Fliesen des Einfamilienhauses, in dem er die nächsten Wochen wohnen musste. Dann fauchte er Lisa ein weiteres Mal an, verschwand unter einer Anrichte und kam, bis sie sich verabschiedete, nicht mehr hervor. Lisa lachte schallend und auch ihre Tante stimmte darin ein.Heiliger Hühnerfurz, stellt sich dieser Kerl wieder an. Dabei wird er bei dir nach Strich und Faden verwöhnt. Lisa schenkte ihrer Tante einen liebevollen Blick, umarmte und küsste sie und entschwand im Laufschritt. Als sie in ihre Ente stieg und den Schlüssel ins Zündschloss steckte, hatte sie das untrügerische Gefühl, dass die nächsten Wochen sie für jedes langweilige Zeitungsjahr entschädigen würden. Woher sie diese Erkenntnis nahm, wusste Lisa nicht zu sagen, aber es fühlte sich verdammt gut an! ![]() Uff!, sagte Gabriel just in dem Moment, als Lucy das Kinderzimmer betrat. Was um alles in der Welt ist das denn?, wollte sie entsetzt wissen und beäugte misstrauisch einen großen weißen Kanister, der entfernte Ähnlichkeit mit den Essig-Vorratsdosen in Odols Speisekammer aufwies und nun, zusammen mit einem Schlauch, der zweifellos aus dem Garten des Châteaus stammte, auf dem Rücken ihres freudestrahlenden Sohnes befestigt war. Die Gurte fehlten nun zwar sicher in der Stretch-Limousine, mit der sie für gewöhnlich wichtige Gäste vom Flughafen abholten, aber für sein Kind sollte man schon bereit sein, Opfer zu bringen. Einzig der Blumentopf auf seinem Kopf kam ihr doch sehr entwürdigend vor. Ich werde umgehend in die Stadt fahren und schauen, ob ich einen passenden Helm erwerben kann, versicherte Gerard, der die Blicke ihrer Ladyschaft wie immer augenblicklich zu deuten wusste, und nahm bereits mit einem Zentimeterband Maß an Waldis Kopf. Der Jungdrache hielt seiner Mama stolz den quietschgelben Gartenschlauch hin und drehte ihn auf. Der Wasserstrahl war nicht besonders stark, aber immerhin zauberte er ein weiteres Strahlelächeln in Juniors Gesicht. Ihr seid wirklich ein Segen. Lucy seufzte erleichtert und klopfte Gabriel Engel auf die Schulter. Liegt in meiner Natur!, erwiderte er beschämt und flatterte ein wenig mit den kleinen Miniaturflügeln auf seinem Rücken. Ich werde den Kanister noch etwas modifizieren, dann ist der kleine Waldi sicher glücklich. Lucy hoffte, dass die Modifikation nicht rosa ausfiel, doch immerhin war vom Einsamen Nudisten und seinem Batik-Bettlaken weit und breit nichts zu sehen. Gabriel traute sie schon etwas mehr Sicherheit bei der Farbauswahl zu und im Zweifelsfall würde Gerard, der just in diesem Moment mit dem Maßnehmen fertig wurde, schon eingreifen. Dennoch gab es erst mal Wichtigeres, um das sich Gabriel kümmern musste. Könnten Sie das mit der Modifikation wohl auf später verschieben und erst mal wieder den Buchungseingang übernehmen. Ich fühle mich nicht sehr wohl, bat sie mit Leidensmiene. Waldemar und einen Werkzeugkoffer im Schlepptau (denn die Modifikation konnte natürlich NICHT warten, wenn man verhindern wollte, dass Waldemar mit seinem Geschrei das Château zum Einsturz brachte) marschierte Gabriel kurz darauf Richtung Empfang, wohin Lucy ihr Telefon bereits wieder umgeleitet hatte und die Dame des Hauses zog sich, ihren Sohn und das Hotel in besten Händen wissend, in ihren Designersarg zurück, um diese bohrenden Kopfschmerzen unter Kontrolle zu bringen, ehe die ersten Gäste für den Ball eintrafen. Und auch, um ihrem Schwiegerdrachen heute nicht mehr über den Weg zu laufen, der aus der Migräne sicherlich in Nullkommanichts einen Nervenzusammenbruch gezaubert hätte. ![]() LITERRA-ONLINE-SERIE: Tot aber feurig.
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