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Schattenkrieger
LITERRA EMPFIEHLT 
Der Rest des Zugs rückte weiter vor. Bald stießen sie auf einen Bereich, in dem deutsche Militärfahrzeuge willkürlich entlang des Platzes parkten. Die Windschutzscheiben waren von Einschusslöchern durchsiebt. Ein Wagen war durch das Schaufenster eines Geschäfts gekracht. Chambers' Männer spähten im Vorbeigehen in die Fahrzeuge. Keine Anzeichen von Menschen, weder tot noch lebendig. Es schien, als wären sämtliche Einwohner der Ortschaft einfach verschwunden. Einige Meter vor dem Zug lichtete sich der Nebel, und mehrere große, mit Wasser gefüllte Krater gerieten in Sicht. Aus der Lust abgeworfene Bomben hatten die Hauptstraße verwüstet. Aus dem Wasser eines Kraters ragte ein Arm; steife Finger streckten sich dem Himmel entgegen.
Die Männer rückten zu dem Krater vor. Regentropfen zauberten Wellen in das trübe, dunkle Wasser. Chambers spähte in alle Richtungen, ehe er den Blick auf das rote Gesicht senkte, das dicht unter der Oberfläche trieb.
Inhalt:
Sean Chambers wird von seinem Großvater Jack, der immer häufiger von heftigen Alpträumen geplagt wird, beauftragt sein altes Kriegstagebuch an General Mason Briggs zu übergeben, der in Heidelberg, in Deutschland stationiert ist. Auf dem Flug in die Bundesrepublik wird Sean von einem alten Rabbi namens Goldstein bedrängt, ihm das Kriegstagebuch seines Großvaters auszuhändigen, da der Schaden unabsehbar sei, wenn General Briggs über den Inhalt informiert wird. Sean schlägt alle Warnungen in den Wind. Briggs liest sich das Tagebuch durch und obwohl er das Geschriebene als Wahnvorstellungen infolge einer Kriegsneurose abtut, beginnt er auf Nachdruck von Sean Chambers Nachforschungen anzustellen. Tatsächlich finden sie auf dem Friedhof einer alten Kirche, die entstellten Leichen von Jack Chambers' Kameraden. Endlich darf auch Sean Chambers das Tagebuch seines Großvaters lesen, dessen Inhalt ihm die Haare zu Berge stehen lässt.
Jack Chambers und seine Einheit, die glücklichen Sieben, versuchen im Hürtgenwald den Widerstand der deutschen Wehrmacht zu brechen. Doch die Kampfmoral ist alles andere als gut, vor allem nachdem Captain Tom Murdock getötet wurde. Jack Chambers hofft auf den langersehnten Heimaturlaub für sich und seine Männer. Doch dann wird Chambers unmissverständlich klar gemacht, dass er noch länger an der Front bleiben muss, es sei denn er meldet sich und seine Einheit freiwillig für eine heikle Mission, welche die Schlacht um den Hürtgenwald entscheiden soll. Gemeinsam mit einer Spezialeinheit unter der Führung von Captain Wolf und des zwielichtigen Pierce Fallon sollen die Einheiten von Chambers und Paul LeBlanc das Nazi-Hauptquartier in Richelskaul einnehmen. Jack Chambers willigt ein, nicht ahnend, welches Grauen ihn und seine Männer in den dichten Nebeln im Hürtgenwald erwartet, der von den alliierten Truppen nicht umsonst „Der Fleischwolf“ genannt wird. Der Feind ist allgegenwärtig und scheint unverwundbar zu sein ...
Ob für ein Buch gut recherchiert wurde, merkt man oft bereits auf den ersten Seiten und ist nicht selten ein Garant für den Erfolg des Romans. Denn wer sein Werk respektiert und mit dem gebotenen Herzblut zu Werke geht, der nimmt sich auch die Zeit für gewissenhafte Nachforschungen, um Schauplätze und Hintergründe möglichst authentisch darzustellen. Brian Moreland hat für seinen Roman „Schattenkrieger“ (Shadows in the Mist) nicht umsonst den Independent Publishers Award für den besten Horrorroman 2007 erhalten. Es gibt nur wenige Autoren, die für ihre Bücher vor Ort recherchieren und Morelands Aufwand hat sich mehr als ausgezahlt, denn „Schattenkrieger“ ist ein Horror-Action-Thriller, der einen Ehrenplatz in meiner Sammlung außergewöhnlich schauriger Literatur erhalten hat. Dabei kann ich Kriegsgeschichten nicht einmal sonderlich viel abgewinnen, insbesondere dann nicht, wenn sie von Amerikanern verfasst wurden, die häufig einen fast schon ungesunden Patriotismus an den Tag legen. Auf den ersten Blick scheint auch Moreland in das alte Gut-und-Böse-Schema zu verfallen. Jack Chambers' Einheit, die sich selbst den Namen „Die glücklichen Sieben“ gegeben hat, besteht ausnahmslos aus tapferen Vorzeigesoldaten, währen die Nazis als Urheber allen Übels herhalten müssen. Allerdings haben sie in der Vergangenheit auch viele, passende Vorlagen hierzu geliefert. Die Schwarze Sonne, die Thule-Gesellschaft und die Forschungsgemeinschaft Ahnenerbe seien hier nur als Stichworte genannt. Okkultismus spielte im Nationalsozialismus immer eine große Rolle. Was wäre also besser geeignet als ein außer Kontrolle geratenes Experiment der Nazis, um einen Horror-Roman zu schreiben, der auf den Schlachtfeldern des zweiten Weltkriegs angesiedelt ist?
Als Schauplatz wählte Moreland den undurchdringlichen, düsteren Hürtgenwald aus, der tatsächlich bis zuletzt stark umkämpft wurde. Das unwirtliche Gelände und der dichte Baumbestand, der kaum einen Sonnenstrahl hindurchlässt, sind wie geeignet für die obligatorische, unheilschwangere Atmosphäre. Der Regen und der dichte Nebel, die im Roman omnipräsent sind, tun ihr Übriges, um den Leser von Beginn an auf das schaurige Lesevergnügen einzustimmen. Hierzu passt auch das eher minimalistische, zurückhaltende Cover der deutschen Ausgabe, die im Otherworld Verlag erschienen ist. Sehr viel konkreter und gruseliger ist da schon das amerikanische Original (siehe unten), auf dem der Feind in all seiner dämonischen Pracht verewigt wurde.
Sehr viel Mühe hat sich der Autor mit der Ausarbeitung der Charaktere der glücklichen Sieben gegeben, wohingegen Pierce Fallon von der Spezialeinheit eindeutig die Rolle des Arschlochs innehat. Die restlichen Soldaten, die fast alle namenlos bleiben, dienen in erster Linie als Kanonenfutter und springen dementsprechend schnell über die Klinge. Trotz seiner Vorhersehbarkeit in Bezug auf die Überlebenden des Massakers bietet der Roman einen konstanten Spannungsbogen, der durch den mystischen und mythologischen Plot im letzten Drittel seinen Höhepunkt erreicht. Die Geschichte geizt weder mit Brutalität, noch mit Action oder Anspruch. Der unbeirrbare, unverwundbare Gegner ruft nicht nur bei den Protagonisten Beklemmungen hervor, und der minimalistische Stil des Schriftstellers sorgt unweigerlich dafür, dass man als Leser mehr als einmal dafür dankbar ist, nicht mit Chambers und seinen Kameraden tauschen zu müssen. Das Erschreckende daran ist, dass man ein Experiment, wie es im Roman durchgeführt wurde, den Nazis tatsächlich hätte zutrauen können. „Schattenkrieger“ ist ein grandioses Romandebüt, das mich bis zum Schluss gefesselt hat und ich hoffe in absehbarer Zukunft wieder ein Buch dieses bemerkenswerten Schriftstellers in Händen halten zu können.
© http://brianmoreland.com
LITERRA EMPFIEHLT Beitrag vom 28. Apr. 2011
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