rezensiert von Thomas Harbach
Charles Sheffield galt bis zu seinem frühen Tod vor knappen zwei Jahren als routinierter wissenschaftlich orientierter Science Fiction Autor. Auch wenn die meisten seiner Romane in Deutschland erschienen, konnte er sich im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten und vor allem seiner Frau, der Autorin Nancy Kress, keinen großen Leserkreis erschreiben. Er selbst sah die meisten seiner Romane als harte Arbeit an und überarbeitete viele seiner frühen Werke grundlegend für Neuveröffentlichungen.
Die Geschichten um Dr. Erasmus Darwin stechen in verschiedener Hinsicht aus seinem bisherigen Oevre heraus: offiziell als Fantasy bezeichnet wirken die Texte eher wie phantastische Pulpabenteuer aus einem Paralleluniversum, geschrieben vor langer Zeit von einem Zwilling Arthur Conan Doyles. Sie erinnern an die Texte , die Jungs gerne unter der Bettdecke gelesen haben. Legenden treffen auf Sagen, Geschichte mischt sich mit Geschichten.
In der Konzeption seines Hauptcharakters – Dr. Erasmus Darwin- geht Sheffield aber einen Schritt weiter als Arthur Conan Doyle mit seinem Sherlock Holmes , dessen analytische Fähigkeiten denen seines chronologischen Vorgängers Darwin in Nichts nachstehen, und einen Schritt zurück im Vergleich zu Randall Garrett, dessen Detektivgeschichten um Lord Darcy einen größeren Einfluss der Magie zu ließen. Dabei benutzt Sheffield eine historische Persönlichkeit. Dieser Doktor Erasmus Darwin ist der Großvater Charles Darwins, ein vielseitiger Wissenschaftler – wie der Autor in seinem informativen Nachwort erläutert- , dessen Stärken die Medizin, die Botanik, die Geologie oder Astronomie waren. Hinzu kamen seine literarischen Fähigkeiten und die elitäre Gesellschaft, die sich in seinem weitreichenden Schatten sammelte. Was nicht ganz klar erkenntlich ist, sind dessen Fähigkeiten als Held. Also schlug Sheffield in den sechs Geschichten, die in den letzten zwanzig Jahren in diversen Magazinen erschienen und hier zum ersten Mal komplett gesammelt worden sind, einen Hacken und lässt Dr. Darwin als Ermittler denn als Vollstrecker auftreten.
Die erste Story „Der Dämon von Malkirk“ führt nicht nur Dr. Darwin ein, sondern als reitenden Boten seinen zukünftigen Dr. Watson, den ehemaligen Berufssoldaten Jacob Pole. Er stört Darwin bei einer der monatlichen Versammlungen der Lunaren Gesellschaft und überbringt ihm die Bitte eines bekannten Arztes, ihm bei der Heilung eines Patienten zu helfen. Dieser Sterbenskranke ist plötzlich verschwunden. Es tauchen Gerüchte von einer verschwundenen spanischen Gallone in einem abgeschiedenen Loch auf und einem Ungeheuer, das den Schatz bewacht.
In erster Linie führt Sheffield in dieser politisch akribisch recherchierten Geschichte seine Protagonisten ein und gibt ihnen viel Raum, zu agieren. In weiteren Geschichten können sie eher auf die Fälle reagieren. Es ist eine atmosphärisch hervorragend geschriebene Story, deren Handlung gegen Ende überstürzt und mit einem gehörigen Schuss Humor trotz der tragischen Ereignisse zum Abschluss kommt. Im Gegensatz zu den weiteren Storys kommt diese Novelle nachweislich ohne phantastische Elemente aus. Der Kontrast zwischen dem Gelehrten Darwin und der abergläubischen, aber ehrlichen Bevölkerung der Highlands ist ein wichtiges und tragendes Element der Handlung. Was ein Konkurrent mit Bauerntricks versucht, entlarvt der belesene Darwin als Betrug. Anfangs wirkt die Zeichnung seines Charakters noch ein bisschen zu arrogant. Diesen Fehler korrigiert Sheffield im Laufe der nächsten Ereignisse, bis der Leser voller Vergnügen Darwins Gedankenspielen folgt. Dabei ist es wie bei den besten Sherlock Holmes Geschichten nicht möglich, dem Autoren vorauszueilen.
„Das Herz Ahura Masdahs“ dagegen nutzt weitere wissenschaftliche Fakten- Franklins Erfindung der Elektrizität- um eine amüsante, aber steife Geschichte zu erzählen. Darwin wird aus einer Kneipe in London zu einem Museum gerufen, aus dem ein wertvoller Diamant gestohlen und ein toter Dieb gefunden worden ist. Anfangs auf einer falschen Spur kann er schnell dem wahren Täter folgen. Im Laufe seiner obligatorischen Ausführungen verlässt Sheffield in dieser Geschichte mit seinem Charakter Darwin den Rahmen des Erlaubten. Zu selbstgefällig urteilt die feine Gesellschaft über den toten Dieb und lässt den wahren Täter laufen. Auch wiederholt sich im stärkeren Maß die hier langweilige und an den Haaren herbeigezogene beschriebene Aufklärung des Verbrechens. Es geht zu schnell und der Geschichte fehlt das Mittelstück, in dem der Autor einiges an Spannung hätte aufbauen können. Interessant ist das Nachwort, in dem Sheffield zumindest eine weitere zu der Zeit lebende Persönlichkeit beschreibt, die er aus verschiedenen Gründen nicht in die Handlung einbauen konnte.
Kriminalistische Vorfälle stehen im Vordergrund von „Das Phantom von Dunwell Cove“. Darwin und Pole erhalten einen Brief von Poles Cousine, die einen reichen Adligen heiraten möchte. Doch die Hochzeitsgäste werden auf geheimnisvolle Weise in ihren Kutschen immer wieder von einem Phantom ausgeraubt. Ihr selbst ist auf den Fahrten bislang nichts passiert. Entschlossen reisen die beiden Detektive zum Schloss und finden schnell das Familiengeheimnis heraus. Viele Elemente dieser Geschichten wirken nicht nachvollziehbar. So sehr die Exposition überzeugend, geheimnisvoll und vielschichtig erscheint, so unbefriedigend ist die Auflösung. Nur die Wiederauferstehung eines Toten kann den Plot und die Hochzeit retten. Auch wenn Sitten und Gebräuche fremdartig sind, kann Sheffield mit den hier vorgestellten Protagonisten die zeitlichen Barrieren nicht überwinden.
Darwin enthüllt im Laufe der Story einige weitere Elemente aus seinem bisherigen Leben, die im krassen Kontrast zu den detailierten Beschreibungen Sheffields in Bezug auf den richtigen Erasmus Darwin am Ende des Buches stehen.
Was wäre Sherlock Holmes ohne seinen Hund von Baskerville ? „Der Todlose von Lambeth“ ist die Monstergeschichte der Sammlung – das Monster in der ersten Geschichte hatte eine kurze Begegnung mit der Technik- . Bedrohlich, dunkel, voll gothic´scher Schrecken breitet Sheffield hier eine kurzweilige und unterhaltsame Gruselgeschichte aus. Im Gegensatz zu anderen Autoren verzichtet er auf überdurchschnittliche Gewaltanwendung und beschreibt die Resultate und nicht die Taten. Das hebt den ganzen Zyklus von Gentlemen Abenteuern von anderen erzwungenen Pulpgeschichten ab. Darwin ist ein Geistesmensch, der seine Leibesfülle als Schale für seinen überdurchschnittlichen Verstand zu pflegen weiß.
„Der Solborne-Vampir“ ist eine fesselnde Mischung aus falscher Vampirgeschichte und Familientragödie. Im Vergleich zu einigen der vorangegangenen Texte kann der Leser hier mit Darwin auf Augenhöhe die Geschehnisse verfolgen. Das verdichtet den Text für den aussenstehenden Betrachter. Auch das Wechselspiel zwischen Darwin und Pole wird wärmer. Die Freundschaft zwischen beiden doch so unterschiedlichen Männern verdichtet sich und die Wortgefechte haben nicht mehr den Charakter eines Unterrichtes. Hinzu kommt eine gänzlich andere Erwartungshaltung zum Verlauf der Geschichte. Das Monster entpuppt sich als tragische Figur und die Gesellschaft –wie heute- zu abergläubisch verbohrt, um hinter die äußere Schale eines Menschen zu schauen.
Mit der abschließenden Story „Der Schatz von Odirex“ schließt sich der Kreis der Geschichten - auch die erste Geschichte begann mit einer allerdings falschen Schatzjagd. Zumindest im Bereich der Heilskunst findet Darwin seinen Meister. Anrührend ist das tragische offene Ende. Immer wieder betonte Darwin in verschiedenen Geschichten, einem todkranken Menschen nicht die letzten Jahre stellen zu wollen. Jetzt steht er vor dieser Entscheidung. Aktuelle Bezüge finden sich in der Mahnung, die Natur nicht gänzlich zu vernichten. Wie in einigen anderen Texten benutzt Sheffield Besonderheiten der englischen Landschaft in Kombination mit den alteingesessenen Erzählungen, um Darwins Abenteuer möglichst authentisch und realistisch darzubringen.
Die Konzentration der sechs Geschichten in einem Band hat seine Vor- und Nachteile. Zu schnell nutzt sich das grundlegende Handlungskonzept ab und zu oberflächlich ist Darwins Charakter angelegt. Das heißt nicht, dass der Leser nicht unglaublich viel über diesen faszinierenden, fremdartigen Mann erfährt, aber seine herausragende intellektuelle Stellung auf allen Bereichen hält Sheffield davon ab, ihn Fehler machen zu lassen. Wie das Koks bei Sherlock Holmes ist Darwins einzige Schwäche gutes Essen, obwohl er weiß, dass es seiner Gicht nicht gut tut- doch der Autor hält damit den Ball zu wenig im Spiel. Auch stockt die laufende Handlung immer wieder, damit alle dem Meister der Deduktion lauschen können. Auf der anderen Seite ist diese Mischung aus historischer Spielerei – die Verwendung von zeitnahen politischen Ereignissen und Charakteren, die wirklich gelebt haben- und Sagen- und Märchengestalten – Vampire, Lochmonster und Succubi- sehr unterhaltsam geschrieben und eine Wohltat im Vergleich zu den verschiedenen Quest -Zyklen. Eine Prise mehr Magie und etwas weniger trockene gedankenschwere Philosophie hätten einigen der Geschichten gut getan. So bleibt als Fazit ein Gentlemanabenteuer und wer einen der würdigen Vorfahren der „Liga der außengewöhnlichen Gentlemen“ in Aktion erlesen möchte, dem kann dieser Band trotz einiger Schwächen an das dunkle Herz gelegt werden.
Charles Sheffield: "Der wundersame Dr. Darwin"
Roman, Softcover, 460 Seiten
Lübbe 2004
ISBN 3-4042-0495-6
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