rezensiert von Thomas Harbach
Mit Charles Sheffields „Die Reliktjäger“ legt der Bastei- Verlag den zweiten Band seiner „Heritage“ Serie auf Deutsch vor. Das Original ist 1991 erschienen. Die Zeitspanne von sechzehn Jahren zwischen der amerikanischen Veröffentlichung und der deutschen Taschenbuchausgabe sollte berücksichtigt werden. Zum Autoren wie Jack McDevitt in seinen Bücher um die Pilotin Hutchins und Alistair Reynolds in seinen ersten Romanen Ideen von Charles Sheffield aufgenommen und lesenswert extrapoliert haben. Es ist also mitnichten ein Nachzügler im Themenbereich einer untergegangenen Superzivilisation, die ihre technologischen Hinterlassenschaften überall im Menschen bekannten Universum verstreut haben, sondern einer der ersten Romanzyklen nach Arthur C. Clarkes RAMA Romanen, der dieses Thema aus dem Golden Age aktualisiert, modernisiert und vor allem wissenschaftlich fundiert und literarisch spannend umgesetzt hat. Obwohl oder gerade weil Charles Sheffield Wissenschaftler gewesen ist, hat er immer eine Technik beschrieben, die zumindest theoretisch möglich sein könnte und auf exotisch esoterische Übermodelle mit religiösen Bezügen verzichtet. Im Vergleich zu seinen bisherigen Romanen führt er aber eine für seinen Kosmos außergewöhnliche weitere Handlungsebene ein. Zu den Besatzungsmitgliedern, deren erste Reise im Roman „Summertide“ in einem wundersamen und lehrreichen Chaos endete, kommt ein Android hinzu. Auf der einen Seite ein belebendes Element, auf der anderen Seite die Möglichkeit für einen Neueinsteiger in die Serie, die bekannten Charaktere „neu“ kennen zulernen und vor allem besser der wenige Tage nach „Summertide“ einsetzenden Handlung zu folgen. Außerdem dient er als sympathischer Resonanzkörper für die menschlichen Charakterschwächen. Stellvertretend für den Leser lernt er schnell, nicht nur seinem Wissen, sondern vor allem seiner Intuition zu folgen. Diese überraschende Erweiterung der Perspektive in einer insbesondere in der zweiten Hälfte des Buches zu verschachtelten und sich mehrmals am Rande zum Klischee bewegenden Handlung ist zu Beginn der Handlung eine sehr angenehme Leseüberraschung. Der oft technokratischen Haltung mancher Science Fiction Autoren stellt Sheffield überraschend bodenständige, sehr sympathische und warmherzige Charaktere gegenüber. Die neuen Protagonisten, welche das Team ergänzen, werden insbesondere in den drei Folgeromanen noch wichtige Rollen übernehmen. Diese Gruppe muss sich natürlich zu Beginn der Geschichte finden. Hier zeigt sich zumindest in der Originalausgabe, wie stark Sheffield an seinen bisher oft hölzernen Dialogen gearbeitet hat. Kaum hat sich eine Art Gruppendynamik gebildet, löst der Autor diese wieder durch die Nutzung von eher altbackenen und nicht immer überzeugenden Ideen wieder auf. So gehört ein klassischer Verbrecher – allerdings biologisch aufgemotzt – genauso zum Team wie sein sehr außerirdischer Partner. Die Exotik kann ihre leider nicht unbedingt überraschenden oder gar überzeugenden Handlungen nicht negieren. Mit Darya Lang – wieder eine Frau in der Hauptrolle, Jack McDevitt lässt förmlich grüßen, auch wenn die Romane ungefähr zeitgleich entstanden sind – hat Sheffield eine entschlossene, intelligente, gebildete und resolute Frau entwickelt, die natürlich dem vom Leben gestählten Überlebenden einer der eher unwirtlichen Kolonialwelten im emotionalen Bereich unterliegt. Nach anfänglichen verbalen Schlagabtäuschen bereinigen sie ihre Differenzen im Bett. Im Gesamtwerk Charles Sheffields nicht das erste Abrutschen eines Protagonisten von einer gut gezeichneten Persönlichkeit zu einem Klischee. Immer wieder scheint der Autor nach den ersten Kapiteln das Interesse an seinen Figuren zu verlieren. Vor allem stört diese Entwicklung im Vergleich zum ersten Roman nicht nur bei Daryn Lang, viele Teammitglieder wirken trotz der geringen Zeitspanne von wenigen Tagen zwischen den Handlungen der beiden Bände erstaunlich verändert. Und diese Wesensveränderung steht in keinem Zusammenhang mit dem bisher Erlebten, das die Lust nach mehr Adrenalin erst angeheitzt hat. Dabei wirkt zumindest in diesem Roman der Katalysator auch mehr als fragwürdig. Immer wieder stürzt sich Darya Lang kopfüber in gefährliche Situation und bereist im Grunde die bislang den Menschen bekannte Galaxis auf der Suche nach weiteren, erklärbaren Überresten der „Builder“. Sie ist der festen Überzeugung, dass die vor Jahrtausenden oder Jahrmillionen verschwundene Rasse nicht nur wieder auftauchen wird, sondern dass sie etwas „Großes“ vor sich hat. Überzeugende Beweise für diese Intuition gibt es nicht. Sie erkennt zwar ein Phänomen, dass es bislang in den bekannten Aufzeichnungen der Menschen noch nicht gegeben hat, aber dieser Beweis ist alles andere als schlagkräftig. Sheffield impliziert in ihre Argumentation und in ihre Verhaltensmuster eine gewisse religiöse Sehnsucht. An mehreren Stellen setzt sie die geheimnisvollen Builder nicht nur mit einer intellektuellen Überzivilisation auf einem unglaublichen technologischen Niveau gleich, sie zieht Vergleiche zu Gott. Kaum hat sich diese Erkenntnis im Roman verbreitet, drehte Charles Sheffield allerdings ernst und nicht satirisch angelegt den bisherigen Handlungsverlauf um und führt eine neue außerirdische Rasse ein. Sie sind gewaltig, verfügen über viele Tentakel und sind leider der Meinung, dass sie alles zu erobern haben. Im Gegensatz zu dem wirklich originellen Naturphänomen am Ende von „Summertide“ – die menschliche Reaktion auf die fast totale Vernichtung verwundert den Androiden sehr – ist diese Idee altbacken und sperrig. Dazu wird ihre Vorgehensweise unglaubwürdig und manchmal zu stark auf den Plot hin konstruiert beschrieben. Sheffields Roman hätte sehr viel mehr Raum benötigt, um die einzelnen Artefakte intensiver vorzustellen und die menschlichen Reaktionen in einem stärkeren Kontext dazu zu zeigen. Zu schnell akzeptieren die Menschen in Persona des kleinen Teams, das sie weder die Krone der Schöpfung sind noch in überschaubarer Zeit diese fremde Superzivilisation überhaupt verstehen könnten. Der Übergang von den Forschern zu den Lehrlingen geht zu schnell und zu unproblematisch über die Bühne. Hier hätte Sheffield die Handlung nuanciert und interessant vorantreiben können, anstatt eine im Grunde nicht notwendige Konfliktsituation zu integrieren. Wenn die Menschen später auf einer der verlorenen Welten einem uralten Artefakt begegnen, dessen Maschinengeist die verbale Kommunikation in den Äonen vergessen hat, nimmt der Roman seinen charakteristischen Sense of Wonder in Kombination mit gegenwärtiger Technik wieder auf und wird in Bezug auf den Spannungsbogen wieder packender. Diese Begegnung gehört zu den bisherigen Höhepunkten der Serie. Die First Contact Situation beherrscht Sheffield sehr gut. Ihm gelingt es, ein überzeugendes Szenario zu entwickeln und hier die Wurzeln für die kommenden Romane zu legen. Das die neuerliche Bedrohung mit der Vergangenheit schließlich verbunden werden muss, ist vorhersehbar. Im Großen und Ganzen weigert sich Sheffield weiterhin beharrlich, dem Leser in Form seiner Protagonisten weitere Einblicke in die Welt der Builder zu geben. Damit erhöht er die Spannungskomponente um jedes gefundene Artefakt, er setzt sich aber mehr und mehr unter Druck, etwas Außergewöhnliches zu präsentieren.
„Die Reliktjäger“ hat aber nicht zuletzt aufgrund von Sheffields oft sehr bodenständiger Erzählstruktur – zwei Parallelhandlungsebenen, die schließlich Vergangenheit und Gegenwart zu einem geradlinigen, auf den nächsten Roman hinweisenden Strang zusammenführen – einen nostalgischen Charme. Im Vergleich zu einer Reihe gegenwärtiger Epen sehr stringent und kompakt geschrieben, mit der richtigen Mischung aus überzeugender futuristischer Technik und einem humanen Element. Die Schwächen sind aber auch deutlich zu erkennen: Sheffield fehlt der Mut oder die Phantasie, über diese leicht zu greifende Handlung vor einem allerdings gut entwickelten Hintergrund hinaus plottechnische Überraschungen zu entwickeln und vor allem die einzelnen Protagonisten dreidimensionaler, eckiger zu gestalten. Rückblickend wirkt das Buch zu routiniert, zu unauffällig geschrieben. Phasenweise wirklich gute Unterhaltung auf einem ansprechenden, aber nicht herausragenden Niveau, phasenweise dann wieder ein Rückfall in die schlimmsten Zeiten des Golden Age mit seiner einseitigen, verzerrten und selten überzeugenden Beschreibung außerirdischen Lebens, leblosen Figuren und einem stellenweise stehenden Plot vor einem allerdings überzeugenden, intelligent entwickelten Hintergrund.
Charles Sheffield: "Die Reliktjäger"
Roman, Softcover, 411 Seiten
Bastei- Verlag 2007
ISBN 3-4042-4360-9
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