rezensiert von Thomas Harbach
Nach seiner eher auf ein jugendliches Publikum zugeschnittenen Trilogie um die intelligenten Mammuts auf dem Mars und seiner vielschichtigen und zu komplex angelegten "Multiversum" Serie versucht sich Stephen Baxter, einer der etablierten und fleißigsten Autoren der neuen englischen Science Fiction, in dieser hier beginnenden Trilogie vordergründig an einem Thriller, der in Dan Brown Territorium hineinragt. Erinnerungen werden in den Leser an seinen komplexen, packenden Alternativweltroman "Mission Ares" geweckt. Dort schilderte er vordergründig eine Expedition zum Mars, hinter den Kulissen entwarf und belebte er eine fremdartig vertraute Erde. Geheimgesellschaften, Verschwörungen und Komplotte bilden in "Der Orden" den Rahmen für eine einfühlsame Suche nach einer perfekten, kompletten Familie. Diese Suche findet auf zwei Ebenen statt: die individuelle Ebene des Ich-Erzählers George Poole und die kollektive in Form einer geheimen Organisation, die in den Jahrhunderten unter der klugen Leitung von Frauen ein ungeheures Machtzentrum mitten unter Rom, der ewigen Stadt, ausgehoben hat.
George Poole entdeckt im Nachlass seines Vaters Dokumente, die auf eine Zwillingsschwester hindeuten. Weder seine ältere Schwester noch sein Vater haben ihm gegenüber je eine weitere Verwandte angedeutet. Die Passagen, in denen Poole mit dem Tod seines Vaters fertig zu werden versucht, gehören zum eindruckvollsten und emotional ansprechenden Szenen in Baxters bisherigen Werk. Kleine Gesten - wie der Dachbodenfund seiner Jugendspielzeuge, die Leere des noch möblierten Hauses, der langjährige Freund, der Pooles Vater näher stand als er selbst - unterstreichen die Komplexität und Schwierigkeiten, die in Eltern-Kinder Beziehungen versteckt sind. Erst wenn man nicht mehr miteinander kommunizieren kann, erkennt man sich selbst in dem Anderen. Erschüttert von seinen Funden macht George sich auf die Suche nach seiner verlorenen Schwester.
In einer Parallelhandlung beschreibt Baxter die Abenteuer der jungen Frau Regina fast 1600 Jahre in der Vergangenheit. Sie wächst im Schutze des römischen Walls, der das wilde Land der Pikten von den römischen Siedlung auf der britischen Insel trennte, auf. Sie erlebt den Untergang des römischen Reiches, lernt eine Inkarnation König Arthurs kennen und kommt schließlich nach Rom.
George Pooles Schwester hat - als die beiden Kinder waren - Geschichten um eine junge Römerin namens Regina erfunden. Bislang war Poole davon ausgegangen, dass diese Kindergeschichten von ihr erfunden worden sind. Im Laufe seiner Suche erkennt er, dass Seine Ahnenreihe auf diese starke und mutige Frau über mehr als 500 Generationen durch starke genetische Zucht und Auslese zurückzuverfolgen sein könnte.
Im Gegensatz zu den unglaublich emotionalen Szenen in der Gegenwart entwickelt Baxter hier eine klassische historische Abenteuergeschichte. In Bezug auf die König Arthur Legende greift er auf die ursprünglichen Schriften zurück. Es ist lesenswert, wie er den Mythos demontiert. Viele historische Fakten fließen unauffällig in diese Abschnitte des Romans ein.
Auch ist der Kontrast zwischen dem eher passiven Poole und der resoluten Regina ein belebendes Element der vielen Ereignisse und Strömungen. Ganz bewusst lässt er die beiden konträren Handlungsstränge - Poole eher intellektuell und in seinen Forschungen logisch und unterkühlt vorgehend, Regina selbstbewusst, vom harten Leben gezeichnet und deswegen eher impulsiv brutal - fast unmerklich zusammenlaufen. Obwohl die beiden unterschiedlichen Menschen mehr als 1600 Jahr trennen, erkennt der Leser die beiden Hälften einer Münze.
In einer dritten Ebene beschreibt der Autor das Schicksal eines jungen Mädchen Lucia im Rom der Gegenwart. Der Texte bezieht seine Spannung aus verschiedenen Elementen: wie hängen Vergangenheit und Gegenwart zusammen ? Welche Pläne verfolgt der geheimnisvolle Orden ? Gibt es eine Beziehung zwischen Lucia und Poole ? Die letzte Frage beantwortet der Autor relativ schnell zwischen den Zeilen. Damit verfliegt auch ein Teil des mythischen Geheimnisses. Auch wirken die Handlungsabschnitte, in denen der Ich-Erzähler George Poole im Mittelpunkt steht, konzentrierter und spannender. Egal wie viele Informationen und Emotionen Baxter in die in der Vergangenheit spielenden Passagen integriert, sie wirken wie ein Geschichtsbuch und mehr als einmal möchte der Leser diese längeren Abschnitte überfliegen, um Pooles Forschungen in der Gegenwart folgen zu können. Dabei ist Poole nach Baxters Beschreibung ein unreifer Egomanne, selbst verliebt und alleine nicht lebensfähig. Erst die Erforschung seiner Vergangenheit lässt ihn als Charakter reifen. Das der Leser ihn trotz dieser persönlichen Schwächen auf seiner Expedition gerne begleitet und trotz der konträren Schilderung der heroischen Regina ihm Raum zum Atmen gegeben wird, unterstreicht den Reifeprozess, den Baxter inzwischen in Bezug auf seine Protagonisten durchgemacht hat. Poole versucht seine emotionale Leere durch das Finden seiner -wie sich inzwischen herausgestellt hat- Zwillingsschwester zu füllen. Das Ergebnis ist ernüchternd und bei der hier beschriebenen Begegnung erkennt der aufmerksame Leser ein weiteres Element Baxters literarischer Reife: er gibt seinen Figuren die Chance zu versagen. Es sind nicht mehr die hochgeistigen Übermänner, die diese Handlung beherrschen, es sind normale Menschen in Anfangs alltäglichen stuationen.
Im Grunde lässt sich der Roman über weite Strecken mit einer archäologischen Expedition vergleichen: in einem kleinen, eng bezeichneten Bereich kommen die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft der Menschheit zusammen. Wie auf einem handgewebten Teppich wechseln sich diese Muster ab und vermitteln dem Betrachter eine großartige und doch verstörende Vision.
Die Schwierigkeit des Buches liegt in seinen letzten hundert Seiten begründet. "Der Orden" ist der erste Band einer neuen Trilogie. Baxter greift auf den letzten Seiten auf eine Reihe von leeren und enttäuschenden Phrasen zurück: George Pooles Jugendfreund - ein Mitglied der Slan(t)s als Anspielung auf A.E. van Vogts berühmten Roman - entlarvt eine klassische Verschwörungsebene, in deren Zusammenhang Veränderungen im Kuiper Gürtel und leider auch UFOs stehen. Damit nimmt der Autor den emotionalen Eindruck, den die ersten fünfhundert Seiten hinterlassen haben, deutlich zurück und verfällt mehr in das Arthur C.Clarke oder Clifford D. Simak Subgenre. Es bleibt das Gefühl, dass Baxter im Laufe des ernsthaften Romans Angst vor der eigenen Courage bekommen hat. Er wollte seine treuen Fans nicht mit einem gewöhnlichen Verschwörungsthriller enttäuschen und fügte eine Reihe von spektakulären, aber klischeehaften Elementen hinzu. Damit negiert er allerdings die unglaubliche Recherchearbeit, die er in den ersten und überwiegenden Teil seines Buches gesteckt hat Er hätte sich einen größeren Gefallen getan, Teile der Handlung in den zweiten Band auszulagern. Lieber hier einen geradlinigen Thriller mit Verschwörungselementen und einer packenden historischen Handlung zu präsentieren und die Science Fiction Elemente im nächsten Abenteuer zu präsentieren. Damit hätte er seinem Ruf als innovativer, komplexer Autor nicht geschadet, sondern eher bewiesen, dass er nicht nur ein grandioser Theoretiker -siehe "Evolution" - sondern ein genialer Erzähler ist. Dabei nutzt er die Grundlage von "Evolution", um auf den letzten Seiten zu spekulieren und zu fabulieren. Damit verstört er einen Teil seiner Leser und nimmt dem geheimnisvollen Orden im Grunde seine ursprüngliche Existenzgrundlage. Die Erklärungen, die Baxter sucht, sind zu phantastisch und zu fremdartig, um im Kontext des bisherigen Romans zu überzeugen zu können oder überhaupt nachvollziehbar zu sein.
So entsteht bei "Der Orden" nach abgeschlossener Lektüre der Eindruck, dass Stephen Baxter im nächsten Roman viel Arbeit hat, die erst geschickt zusammengeflossenen und dann durch seine Oberflächlichkeit auseinander gesprengten Handlungsteile zu einem Ganzen zusammenzufügen. Über weite Strecken sicherlich die beste und zum Nachdenken anregende dunkle Vision aus Baxters Feder. Am Ende allerdings nur ein unterhaltsames Buch mit einem erschreckend schwachen vorläufigen Höhepunkt.
Stephen Baxter: "Der Orden"
Roman, Softcover
Heyne 2005
ISBN 3-4535-2012-2
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