rezensiert von Thomas Harbach
Mit dem Roman „Imperator“ liegt der erste Band – in England ist inzwischen auch der zweite Teil erschienen – einer insgesamt vierbändigen Serie vor. Vierbändig wahrscheinlich daher, weil das großzügige Druckbild darüber hinwegtäuscht, dass es der mit Abstand kürzeste Baxter in diesem Jahrtausend ist. Es ist auch nicht das erste Mal, dass sich der britische Autor insbesondere mit der britisch- römischen Geschichte auseinandersetzt. In ersten Band seiner „Destiny´s Children“ Trilogie diente diese wenig ruhmreiche, dafür aber politisch interessante Zeit – das Ende eines der größten Reiche der menschlichen Geschichte war absehbar, während insbesondere der Brite Baxter in seinen letzten Romanen sich im Kontrast um die Beschreibung einer stellaren und vor allem soziologisch fremdartigen und doch in ihren irdischen Wurzeln erkennbaren Zivilisation bemüht hat – ebenfalls als Katalysator der Geburt eines neuen Menschentyps. Dabei lebten diese über Jahrtausend unterirdischen in Bienenstöcken nachempfundenen Lebensgemeinschaften unter der Leitung von streng gläubigen römischen Nonnen. Baxters Werk zeichnet eine Mischung aus philosophischen Ideen in der Tradition Olaf Stapledons mit einem fundierten (natur-) wissenschaftlichen Hintergrund aus. In „Imperator“ kommt noch eine sehr gute Recherchearbeit hinzu, die historischen Fakten stimmen und insbesondere in Bezug sowohl auf die frühe britische als auch römische Kultur bemüht sich Baxter um ein stimmungsvolles Bild. In welche Richtung – ob esoterisch oder harte Science Fiction – die Serie schließlich gehen wird, lässt sich nach dem ersten Buch nicht bestimmen. Nicht einmal in die Kategorie „alternative Welten“ passt der Roman, denn bis auf eine allgegenwärtige Prophezeiung scheint der Zeitablauf mit der Geschichte übereinzustimmen. Nur im letzten Absatz verblüfft der Autor die Leser mit einer zweiten Prophezeiung, die allerdings nur den in der Vergangenheit lebenden Briten für eine kryptische Botschaft erscheint, der Leser wird von dem vertrauten Text überrascht. Spätestens an diesem offenen Ende mit einem Paukenschlag erkennt der Leser, dass Baxter aus den philosophischen Sphären mit ihren monumentalen Gedankengebäuden und Future Historys in der Tradition eines Robert A. Heinleins, in der Ausführung aber eher dem Frühwerk Arthur C. Clarkes verbunden heruntergestiegen ist und kommerzielle Bücher zu schreiben beginnt.
So baut Hadrian seinen Wall und insbesondere Kaiser Constantine bricht die Allmacht der Institution Kirche. Die Römer besiegen Britannien und das Schicksal der Besiegten ist weiterhin düster. In seinem kurzweilig zu lesenden Werk begnügt sich aber Baxter nicht mit Einzelschicksalen, kaum hat sich der Leser an einen oder zwei Charaktere gewöhnt, sterben diese oder verschwinden aus der ersten Handlungsebene und eine zukünftige Generation – zwischen dem ersten und zweiten großen Kapitel liegt scheinbar mühelos ein Zeitsprung von sechzig Jahren – übernimmt das Damoklesschwert.
Wie in vielen seiner bisherigen Bücher gibt es einen spürbaren Bruch zwischen seinen epochalen Konzeptionen und den Charakteren, die diese Ideen/Ideologien schultern müssen. Auch im vorliegenden Roman hat er Schwierigkeiten, selbst bei den immer schneller wechselnden Protagonisten – das gilt für die fiktiven wie auch die wenigen historischen Persönlichkeiten – eine Sympathieebene und vor allem eine intellektuelle Tiefe aufzubauen. Natürlich verlangt der Leser vom Autoren keine Unmöglichkeiten, die Beschreibung der einzelnen Figuren muss stimmig zu der Epoche sein, in der sie Leben. Allerdings erfährt der
Leser im Grunde wenig über sie. Immer wieder folgt der Verweis auf die Prophezeiung aber in den immerhin 450 Jahren seit dem Handlungsbeginn – die Dynastie beginnt wie der Roman mit der Geburt Nectovelins und der ihm bei seiner Geburt gegebenen Vorhersage, welch ein Zufall, daß es ausgerechnet auch das Geburtsjahr eines Jesus Christus ist – wäre es möglich gewesen, ihnen ein wenig mehr Profil zu geben. Ob diese Vorgehensweise in Baxters Absicht gelegen hat, muss hier noch bezweifelt werden, denn im Grunde erkennt der Leser schnell, wie sehr die einzelnen Protagonisten gesellschaftlichen Eckpunkten ähneln und der Autor an ihnen die soziologischen Veränderungen – unabhängig von den historischen Veränderungen, die immer im Vordergrund der Handlung stehen – exemplarisch aufzeigen kann. Solche Studien reichen aber nicht aus, um einen kompletten und augenscheinlich komplex gestalteten Roman überzeugend zu tragen. Zu sehr verzichtet Baxter auf elementare Komponente wie Humor, Emotionen und vor allem Gefühle. Die Dialoge sind nicht selten knochentrocken, im falschen Sinne des Wortes antik und steif.
Aber Stephen Baxter ist in erster Linie ein Ideenautor und ein Detail besessener Schriftsteller. So vermisst der Leser im Zuge diese Romans die großen Fresken, die politischen Manöver finden bis auf ein eindrucksvolles Bild von Meuchelmörder und Opfer innig vereint im Hintergrund statt, weder das römische Sendungsbewusstsein noch der britische Freiheitsdrang werden über Floskeln hinaus in den Text integriert. Keine Helden, keine Ideale, keine Zukunft könnte der Tenor des Buches lauten. Natürlich wirkt die sehr detaillierte Beschreibung von Bau des Hadrianwalls faszinierend, die Stärken und Schwächen werden genau herausgearbeitet – überwiegend theoretisch, aber in einer der in regelmäßigen Abständen folgenden Actionsequenzen auch praktisch – und danach verbessert. Solche „Kleinigkeiten“ ohne das monumentale Bauwerk herunterzuwürdigen gehören in einen historischen Roman, ein Epos, aber Baxter hat im Zuge seiner Konzeption vergessen, den Knochen auch das Fleisch beizufügen. Im Gegensatz zu erfolgreichen historischen Romanen erkennt der Leser als bald, dass sich der Autor in dieser beschriebenen Zeit unwohl fühlt und nicht selten fühlt man sich auch wie in einem bewegten Diaroma, alles sehr schön ordentlich sortiert – das angebotene Spektrum reicht von Triumph bis Tragik, von Geburt bis Tod – und dann feilgeboten. So funktioniert aber keine Literatur und wenn Baxter am Ende des Buches verschiedene sekundärliterarische Texte als Quellenangabe zitiert, hat der Leser das Gefühl, ein weiteres Buch in dieses Regal schieben zu können. Wer sich für das römische Reich per se interessiert, wird sicherlich mehr Freude an dem Buch finden als die Anhänger von Stephen Baxters anderen Romanen. Aber es ist unfair, diesen Roman isoliert zu betrachten. Wahrscheinlich finden sich plottechnisch sehr viele Anspielungen auf folgende Bücher. Eine Idee findet sich insbesondere in dem Kapital, das im Jahr A.D. 318 spielt. Der Theoretiker Thalius stösst auf einen alten Ausspruch, der nicht nur diesem Buch im Kontext der gesamten Serie die richtige Perspektive geben könnte, sondern es überraschenderweise mit einem anderen, großen italienischen Roman verbindet: „Der Leopard“, denn wenn davon gesprochen wird, dass sich alles ändern muss, damit es gleich bleibt, wird das Credo dieses außergewöhnlichen Buches und die geniale Umsetzung in einem der ersten italienischen Monumentalfilme auf den Bereich der Science Fiction oder zumindest der Alternativweltliteratur übertragen. Diese Idee trägt in diesem Roman noch keine Früchte, die Charaktere sind auf der einen Seite bemüht, den Status Quo jeweils zu Gunsten ihrer politischen Gruppen zu verändern, während sich gleichzeitig die Geschichte des römischen Reiches ihrem Ende nähert. Nicht selten hat der Leser das Gefühl, dem Tod eines Giganten beizuwohnen. Vielleicht wollte Baxter auch nicht von diesem Todeskampf ablenken und hat deshalb die einzelnen Protagonisten fast eindimensional beschrieben. Vielleicht ist sein erdrückender Charakter gar kein Mensch, sondern ein Reich auf tönernen Füßen? Alles Fragen, auf die „Imperator“ keine Antwort gibt oder geben will. Nicht zuletzt aus diesem Grund fällt es schwer, ein Fazit zu ziehen, mit dem man dem ersten Band einer Tetralogie – und wer Baxter kennt, wird wissen, dass es in den anderen Büchern andere rote Handlungsfäden gibt, andere Protagonisten und vielleicht sogar eine gänzlich andere Zeitebene/ Realität – wirklich gerecht wird. Er ist gänzlich anders als die letzten Epen aus seiner Feder, er ist kein hervorragender Roman, keine stringente Geschichte, er ist nicht einmal – bis auf den schon erwähnten letzten Absatz – Science Fiction und doch kann aus diesen Wurzeln noch eine starke Eiche erwachsen. Bislang ist es die Story einer Vision, einer Prophezeiung, für einen ersten Roman zu wenig, aber wer ihn gelesen hat, wird sich aufgrund des überraschenden Endes auf jeden Fall die Fortsetzung kaufen, in der Hoffnung, zumindest den Ansatz einer Erklärung zu finden. Baxters Charaktere haben zu den Sternen hinaufgeblickt, diese haben aber die Menschlein noch nicht beachtet. Das wird sich wahrscheinlich ändern, bis dahin bleibt „Imperator“ Baxters schwächster Roman der letzten zehn Jahre und gleichzeitig Baxters beste Exposition der letzten zehn Jahre.
Stephen Baxter: "Imperator- die Zeitverschwörung 1"
Roman, Hardcover, 570 Seiten
Heyne- Verlag 2007
ISBN 3-4535-2247-8
Leserrezensionen
04.04.07, 20:13 Uhr
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frell
hat Staffel 4 von Farscape nun auf Englisch gesehen...
registriert seit:
Apr 2007
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Veni vidi vici
„Ich kam, ich sah, ich siegte.“ Der berühmte Spruch von Caesar passt in meinem Falle in Bezug auf das Buch sehr gut. Es ist schon einige Jahre her, dass ich zwei SF-Romane von Baxter gelesen hatte – und da ich mich eigentlich nicht mehr daran erinnern kann, zeigt, dass sie sicher nicht zu meinen Lieblingsbüchern zählen. Als ich mich also dazu entschied, nochmals ein Buch von Baxter zu lesen, war es hauptsächlich, weil ich Romane, die mit der Zeit spielen, sehr mag. Als Band 1 der Zeit-Verschwörung durfte man sogar noch auf Fortsetzungen hoffen. Das machte mich neugierig. Doch – von Zeitreise-Roman keine Spur, wenn man mal davon absieht, dass die handelnden Personen darüber spekulieren, ob eine höhere Macht eventuell in die Zeit eingegriffen hat. Trotzdem schaffte es dieser Roman, mich auf jeder Seite zu fesseln. Baxter schafft es spielerisch leicht mehr als 400 Jahre des römischen Reiches zu überbrücken. Man fühlt sich, als wäre man dabei gewesen, als die Römer Britannien erobern und ebenso, wie das Römische Reich so langsam verfällt. Die Geschichtskenntnisse über diverse römischen Kaiser werden aufgefrischt bzw. erneuert und ganz nebenbei gibt es noch eine Menge über die Geschichte Britanniens während der Zeit des Römischen Reiches zu lernen. Auch die Personen, die mit der Prophezeiung zu tun haben, wachsen einem in kürzester Zeit ans Herz, so dass man mit ihnen leidet und lebt. Und natürlich blättert man immer wieder zurück auf die am Anfang stehende Prophezeiung, um die Zeilen mit den Geschehnissen zu vergleichen. Überhaupt ist es für mich ein unübersehbares Zeichen eines guten Buches, wenn der Autor es schafft, dass ich über Einzelheiten der Handlung im Internet Nachforschungen anstelle. Das war ein solcher Fall. Mit seinem lockeren Erzählstil schafft Baxter dieses opulente Kunststück auf unglaublichen 570 Seiten unterzubringen. Am Ende hat man das Gefühl, als hätte man 2000 Seiten gelesen. Und als könnte man noch weitere 2000 Seiten lesen. Ich freue mich auf Teil zwei.
Rygel: "...We can't escape." Jool: "We're trapped?!?" Rygel: "That's what 'we can't escape means.' Go help Stark hyperventilate." (Unrealized Reality / Farscape 4.11)
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