Leseprobe: Helene Flöss - "Schnittbögen."

IM SCHLAFSAAL stehen achtzig Betten in vier Reihen. "Wenn die alle voll sind, ersticke ich." Beim Frühstück sitzt er neben dem Vater. Sie löffeln Brennsuppe und wissen beide, daß sie nicht schmeckt. Der Vater schüttelt den Rest harter Brotbrocken aus dem Stoffsack und verteilt sie auf seinen und des Buben Teller. Im Waschraum rinnt das Wasser aus Hähnen in eiserne Becken. Aus dem Brunnen im Hof beim Schuster rinnt es viel kälter; im Haus überhaupt nicht. Die Buben waschen sich nach Befehl: Hemdkragen einrollen, Hosenröhren aufkrempeln, Waschen von Händen und Armen bis zum Ellbogen, Füßen und Beinen bis zum Knie. Keiner zieht Hemd oder Hose aus. Am Sonntag in der Früh wechseln sie unter der Bettdecke ihre Leibwäsche. Das geht flugs, weil weder Nachthemd noch Pyjama dazwischengeraten können. Das schmutzige Zeug kommt in eine große, hölzerner Kiste. Die steht in einer Ecke im Schlafsaal. Einmal im Monat kommen auch die Leintücher dort hinein. Dann geht die Kiste über. Das läßt er sich von Thomas nicht gefallen, daß der ihn seiner Seife wegen auslacht. Er drückt dem Spötter den Kopf ins Waschbecken und dreht den Hahn auf. Der Ulrich hätte auch lieber eine gut riechende Seife.