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Leseprobe: Margarita Kinstner - Mittelstadtrauschen

Mit der Liebe ist es so eine Sache. Vater und Mutter kann man sich nicht aussuchen, in eine Familie wird man schließlich hineingeboren. Aber wie ist das mit der großen Liebe (oder auch der kleinen)? Schicksal, sagen die weißgelockten Damen, deren Männer schon seit Jahren unter der Erde liegen. Das ganze Leben, nichts als Schicksal. Wen du heiratest, wie viele Kinder du kriegst, wann du stirbst und ob du davor noch deine Kinder beerdigen musst - alles Schicksal. Da kann man nichts machen, da muss man sich fügen. Und so unrecht haben sie nicht, die alten Damen, denn wer bestimmt schon, ob man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, oder zur falschen Zeit am falschen Ort, oder zur richtigen Zeit am falschen Ort, oder zur falschen Zeit am richtigen Ort? Wer entscheidet, wenn nicht das Schicksal, und wer traut sich am Ende seines Lebens schon zu sagen, welche Zeit die richtige und welche die falsche gewesen ist, welchen Ort man besser aufgesucht und welchen man besser gemieden hätte?

Da steht sie nun, die Frau, die sich Marie nennt und eigentlich Laetitia heißt, im hintersten Eck eines Wiener Kaffeehauses, neben der Mutter mit der großen braunen Warze, an der jetzt genüsslich der Säugling nuckelt.
»Hast du dir wehgetan?«
Mit einer schnellen Bewegung legt Jakob, dessen Kaffee sie umgeworfen hat, die Zeitung beiseite und lächelt sie an.

Das Schicksal in Form einer kaffeebraunen Brustwarze ist etwas ganz Besonderes, so etwas erlebt man nicht alle Tage, so ein Schicksal deutet auf Großes hin. Das spüren auch Marie und Jakob, also tupfen sie emsig mit Servietten und Taschentüchern den verschütteten Kaffee auf und rufen nach dem Kellner. Mit schwitzenden Händen lassen sie das Schicksal seinen Lauf nehmen, Marie, indem sie an ihre eigenen rosafarbenen Brustwarzen denkt und wie sie wohl aussehen werden, wenn sie einmal ein Kind in sich tragen wird, und Jakob, indem er gar nichts mehr denkt. Wie die Rauchschlieren ziehen Maries Worte an seinem Kopf vorbei, im Grunde ist es völlig nebensächlich, was sie redet, geredet wird bald einmal in einem Kaffeehaus, vor allem, wenn sich zwei kennen lernen. Da wird das Reden zum Defibrillator, komm schon, komm, in jeder Mundbewegung die Angst, nicht zu genügen, bleib hier, steh nicht auf, geh nicht weg.
Marie gehört zu den Frauen, die gemocht werden wollen. Vielleicht lächelt sie deswegen so viel.

Jakob, der sich von Maries Lächeln angezogen fühlt (von ihrem Schmollmund, von dem leicht schief stehenden Eckzahn, von den drei Sommersprossen auf ihrer Nasenspitze, von dem Grübchen auf ihrer linken Wange), flirtet los und scherzt sich vor. Als Marie eine Zigarette aus dem Päckchen zieht, gibt er ihr Feuer, weil es sich so gehört, auch wenn er selbst nicht mehr raucht. Und während er ihr beim Rauchen und Reden, beim Gestikulieren und Lächeln zusieht, muss er plötzlich an Sonja denken, daran, wie sie jetzt auf ihrem gelben Sofa sitzt und auf seinen Anruf wartet, das Handy auf dem Designercouchtisch, den Blick auf den Flachbildschirm geheftet, Sonntag Abend, es lebe Rosamunde Pilcher, es lebe die Liebe! Heute sind sie nicht wie sonst jedes Wochenende im Wienerwald gewesen, heute hatte der Radiosprecher Regen vorhergesagt, da hat er sagen können, dass er ohnehin noch ins Labor muss, worauf Sonja beleidigt dreingeschaut hat.
Sonja und er, das passt einfach nicht mehr. Die Liebe ist aus, abgebrannt, zu Asche zerfallen, wie der Inhalt des immer voller werdenden Kaffeehausaschenbechers. Alles, was bleibt, sind braune Stummel, geknickt und verformt. Sonja will Spaziergänge im Wienerwald, Sonja will ein Kind, Sonja will Verantwortung übernehmen. Jakob hingegen kann sich ein Leben mit Sonja nicht mehr vorstellen, schon gar kein Leben zu dritt.

S. 8ff.












































































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