"Wir sind durch Zufall in diesen Rechner gekommen, der die Bilder archiviert, nicht mal sonderlich geschützt, ganz ungeschützt, um genau zu sein, nur draufklicken, fertig. Unglaublich! Niko hat mir von ihrem Problem erzählt, also von dem rätselhaften Verschwinden Ihres Freundes", fuhr der Anonyme fort.
Sie starrte auf den Schirm. Montag, 13. Juni 2010, war in der linken oberen Ecke des Bildes zu lesen und darunter die Uhrzeit: 07:54. Das Bild zeigte den Karlsplatz, genauer gesagt, die Verkehrskreuzung, ganz genau gesagt, an besagtem Montag, nachdem sie Braunbrenner das letzte Mal gesehen hatte. Nun war sie froh, dass Niko die Tür verschlossen hatte.
"Spielen Sie das Video ab."
Dreizehn Sekunden später kam der Prophet ins Bild, gestikulierend, der Verkehr stockte immer wieder, es waren unfreundliche Gesten von Autofahren zu sehen, er lief kreuz und quer mit seinem Stab in der Hand, fuchtelte, deutete aufgebracht, ganz Vollblutaktivist. Das Video hatte keinen Ton, und Maxis ganze Konzentration war auf den Schirm gerichtet. Weitere vier Minuten und sechsundvierzig Sekunden später schoss ein bulliger Geländewagen ins Bild, Vollbremsung mitten auf der Kreuzung, Tür auf, zwei Männer raus, sie packten den Propheten, Heckklappe auf, Prophet rein und weg. Um 7:59 Uhr und sechsunddreißig Sekunden war der Spuk vorbei, der Wagen aus dem Bild und der Verkehr rollte weiter, ohne dass irgendjemand irgendetwas unternommen hätte, im Gegenteil, endlich war das Verkehrshindernis weg, egal wie, und man konnte wieder weiterfahren Richtung Downtown, zum Geschäftemachen, Kohlescheffeln, Shoppen, chic Dinieren.
Maxi hatte Tränen in den Augen und eine unglaubliche Wut, die ihren Körper, den Hals, den Kopf, die Schultern zu zerreißen drohte.
"Ich gehe jetzt", sagte der Anonyme leise, als wollte er den schlafenden Hund nicht wecken, in die Stille, die entstanden war.
"Keinen Meter", ergänzte Maxi, ohne ihm Interpretationsspielraum zu lassen.
Er musste ihr das Video nochmals zeigen, Maxi war wie auf Drogen, hyperkonzentriert, das Kennzeichen war zu sehen, wie gut er denn wirklich sei, wollte sie wissen, ob sie blöde Scherze mache, herauszufinden, auf wen ein Auto angemeldet sei, dabei handle es sich doch um geradezu öffentlich zugängliche Informationen, auch Wechselkennzeichen, mit Anschrift, meistens auch mit Telefonnummer. Er hackte mit seinen dünnen Fingern blind in die Tasten und schon erschienen die Daten zu dem Fahrzeug, es war, welch Überraschung, auf die Firma N.E.W., 1010 Wien, Am Hof, angemeldet.
S. 104ff.