In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts kam der Tod auf den Chic herunter. Die Models waren magersüchtig, leichenblaß, mit Ringen um die Augen und mitunter mit blauen Flecken ausstaffiert. Sie wurden in die fliesenkalte Umgebung der Prosekturen oder in abgewrackte Szenerien der Gewalt gestellt, und die Werbephotographie bannte den Moment, da die Gewalttat gerade geschehen war, die Ausstellungskörper von ihr auf unklare, doch unübersehbare Weise gezeichnet waren und sich die Täter, mit Ausnahme der Photographen, die als Täter unsichtbar anwesend blieben, aus dem Staub gemacht hatten. Während am pornographischen Markt Videos gehandelt wurden, die die Vergewaltigung und Ermordung wirklicher Frauen aus Bosnien zeigten, huldigten die pädophilen Kampagnen Calvin Kleines dem Augenblick, da sich der Eros des mißbrauchten minderjährigen Opfers ohne die Anwesenheit eines Täters entfalten konnte. Indem der Kommerz den Tod entdeckte und auf den Chic herunterbrachte, war es um den Tod geschehen; er ist zum Accessoire in der Welt schöner, über ausgemergelte Mädchenkörper gebreiteter Kleider und glitzender Schmuckstücke geworden, die das auf den Schlachtbänken der Schönheitschirurgie zugerichtete Fleisch dekorieren.
(S. 215.)
© 2003, Zsolnay, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.