Ein Schriftsteller muß schreiben, nicht weil ihn ein dunkler Drang dazu nötigt, sondern weil er nur, indem er schreibt, über die unklaren Dinge Klarheit bekommt (und über die klaren Dinge wieder in heilsame Verwirrung geraten) kann. Die Gattung spielt dabei keine Rolle. Selbst eine so simple Sache wie eine Literaturkritik macht mich klüger; klüger nämlich, indem ich sie verfertige, wie ich auch das Buch, über das ich zu urteilen habe, erst im Schreiben wirklich kennenlerne. Fragt mich jemand, ehe ich darüber zu schreiben begonnen hätte, was das für ein Buch sei, das ich gerade gelesen habe, ich wüßte es ihm nicht zu sagen. Erst wenn ich mich hinsetze und zwinge, für meine im vor-sprachlichen Stadium verharrenden Vor-Gedanken Sprache zu erschaffen, erfahre ich selber, was ich schon vorher von diesem oder jenem (Buch) gehalten habe. (Das Entsetzen meiner Frau, als ich ihr auf die Frage, wie ich denn ein Buch, das wir beide gelesen hatten, besprechen würde, wahrheitsgetreu antwortete, daß ich es noch nicht wisse.)
Erst recht bei schwierigeren Formen (wie einem Essay) ist geistiges Land nur durch sprachliches Pflügen zu gewinnen. Da sind ein paar schemenhafte Vorstellungen, huschende Schattenbilder, aber nicht die Form, nicht der Zusammenhang, nicht die Konsequenz, eigentlich fast gar nichts: außer der Wille, über etwas zu schreiben, von dem ich gar nicht genau weiß, was es ist, noch wohin es mich führt. Ich muß es aber schreiben; schreibe ich nicht, werde ich unverzüglich dümmer, meine Intelligenz ist stark von meiner Bereitschaft abhängig, aufzustehen und mich an den Schreibtisch zu begeben. Das ist das ganze Geheimnis um Menschen, die von sich sagen, sie müßten schreiben. Es ist nicht der Genius, der sie anzieht, es sind die Furien des Schwachsinns, die sie fliehen.
(S. 54, 55)
© 2002, Zsolnay Verlag, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.