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Daniel Wisser: Unter dem Fußboden.

Erzählungen.
Wien, Klever Verlag 2019.
(erweiterte und überarbeitete Neuauflage von "Kein Wort für Blau")
132 Seiten; Broschur; Euro 17,00.
ISBN 978-3-903110-54-0.

Autor

Leseprobe

Daniel Wisser verfasst seit Jahren Prosa-Miniaturen, denen häufig eine epische Dimension innewohnt. Diese reizvolle dramaturgische Diskrepanz findet sich auch im jüngsten Buch, der Sammlung "Unter dem Fußboden", erschienen im Klever Verlag. Den Kern dieser Roman-Miniaturen bildet in aller Regel eine historische Person, die durch ihre Motivation und bedingt durch geschichtliche Widrigkeiten in ein beispiellos tragikomisches Fiasko hineinstolpert. Dabei ist es gerade der berichtende Ton, der die Fallhöhe der Helden beträchtlich vermehrt. Denn Wisser arrangiert meist akkurat recherchierte Daten und Fakten, benennt Details und schafft damit einen Gestus der Nachrichtenvermittlung. Der nüchtern anmutende Vortrag prallt auf Geschehnisse, die lapidar vom grotesken Scheitern erzählen. Manchmal ist diese Fallhöhe der Helden buchstäblich zu verstehen. So berichtet der Text "Nichts" vom gescheiterten Versuch der Alpinisten Antoine Vieille, Robert Guillaume, Andrea Oggioni und Pierre Kohlmann, den Montblanc zu besteigen. Alle vier kamen dabei um. Ebenso wie die Dokumentarfilmer, die über diese Katastrophe berichten und die ihnen nachfolgenden Filmemacher, die über die fatalen Dreharbeiten zum Dokumentarfilm informieren wollten. Schließlich endet der Text mit einem Kommentar eines schwer verletzt Überlebenden, der aufgrund der vorherrschenden Bewölkung gar nichts vom imposanten Gebirgsmassiv erkennen konnte. Heidegger zu denken war nie unterhaltsamer als beim Lesen von Wisser.

Doch letztlich mündet der Meta-Text dieser Berichte in eine Chronik, die mit "Geschichtsschreibung der Vergeblichkeit" betitelt sein könnte. Wisser erzählt von historischen Nebenfiguren, von vereitelten Helden, und er erzählt eine Geschichte mutmaßlicher Nebenschauplätze, die dem Vergessen entrissen werden.
In der Miniatur "Mondschein" beispielsweise erfährt man von dem aufgelassenen Friedhof St. Ulrich im Bezirk Neubau in Wien und entdeckt so ein Detail der Stadtgeschichte. Ebenso liest man in fast allen Texten von eben nicht gemeisterten Herausforderungen, denen sich Menschen stellten, um Neues zu erfahren und Unbekanntes zu ergründen. Dabei entsteht ein pan horao, ein "Alles sehen" der Kulturgeschichte, denn sowohl Erfinder wie Entdecker, Liebeshungrige wie Sportler, Besessene wie Unscheinbare sind die Protagonisten dieses Erzählkosmos. Episch werden die Miniaturen allein dadurch, dass sie oft ein Schicksal en passant in eine historische Klammer einbetten, dass sie vom Verlust der Berufung genauso erzählen wie vom Finden dieser. Aber ist nicht genau das die Geschichtsbetrachtung, die uns erst die Augen öffnet?

Es ist eine Konzeption des Erzählens, die zeitgemäß erscheint. Auch wenn die Länge der Miniaturen deutlich über dem Twitter-Maß liegt, so übertreffen die Texte praktisch nie einen Wikipedia-Eintrag. Dieses ökonomische Maß fördert den flotten Streifzug durch die Geschichte. Manche Erzählungen sind derart exzentrisch, dass man als Lesender mit gutem Grund skeptisch ist und dann doch erstaunt den Kopf schüttelt, weil einem eben Wikipedia den Wahrheitsgehalt der Absurditäten bestätigt. Wenn Wisser vom sogenannten Schiffbruch Kelly erzählt, der nicht nur in wundersamer Weise zahlreiche Unglücke überstanden, sondern auch eine besondere Marotte – nämlich das Sitzen am Fahnenmast – kultiviert hat, dann ergänzt die Internet-Recherche, dass sein Sohn Alvin Kieran Kelly als Zirkusartist 1973 durch einen wenig folgsamen Elefanten zu Tode getrampelt wurde. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Auf seinem Fahnenmast saß Schiffbruch Kelly natürlich auch, als er die Mutter dieses unglücklichen Zirkusartisten kennen lernte – seine Frau Frances.

Versöhnlich ist der Gedanke, dass einem nach der Lektüre dieser Geschichten nichts Menschliches mehr fremd ist.

Alexander Peer
12.03.2020

Originalbeitrag
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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