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Sandra Weihs: Delilah.

Leseprobe:

Delilah war immer verliebt. Mit diesem eigenartigen Strahlen, das sie an den Tag legte, egal wem sie begegnete, erklärte sie jedem, sie sei in ihn verliebt. Ich spürte es auch, saßen wir zu zweit am Findling, unserer Naturfestung, strahlte sie mich an und ich fühlte mich geliebt. Auch Jan musste sich von ihr geliebt fühlen. Und in der Zeit, als Jonas mich in seiner Unschuld bereits als seine Frau in die Zukunft projizierte, tat dies Jan mit Delilah ebenso.

Aber Delilah spielte ihre Rollen. Sie nahm sich nicht ernst, sie war Geliebte und Liebende in diesem langen Herbst und noch vieles anderes, jeder auf sie gerichtete Blick brachte neue Rollen hervor. Manchmal näherte sie sich Jan, dann aber lachte sie ihr Was-soll-schon-passieren-Lachen und zog sich wieder zurück. Sie spielte seine Mutter, wenn er blaue Flecke darbot wie Wunden aus einem Schwertkampf, und tätschelte ihm den Kopf. Sie spielte seine beste Freundin, wenn er sich über Lehrer ereiferte und den für ihn so schwierigen Lernstoff, und sie spielte seine Lehrerin, wenn er Nachhilfe brauchte. Sie spielte Heilige, wenn er sich anbot, und Hure, wenn er abließ von ihr, sie war so vieles und doch nicht sie selbst, ihren wahren Namen kannte doch niemand; wahrscheinlich nicht einmal sie selbst.

Delilah liebte jeden und keinen, das war kein Geheimnis, Jan hätte es wissen sollen. Delilah glaubte nicht an die Liebe in der Form, wie wir es taten. Wir glaubten, wir seien in die Welt geschickt worden, um den einen, die eine zu finden und zu lieben und mit diesem Menschen zu leben bis in die Zukunft, bis zum Ende der Zukunft, bis zum Tod. Delilah jedoch erklärte, die Liebe sei immer da, sie liege auf der Straße, sie durchbreche den Beton wie Unkraut, das seine Blüten in die Luft recken wolle. Die Liebe verbinde jeden Menschen mit jedem Menschen, sie sei einfach da, immerzu und müsse weder gesucht noch gefunden werden, sie sprieße vor unseren Füßen als Geschenk.

Ich stelle mir Delilah gerade vor, wie sie auf einer Bühne voller Unkraut steht und Rollen spielt. Ich war damals bereits misstrauisch. Ich konnte ihr nicht glauben, sie war auch niemand, der es darauf angelegt hatte, dass ihm Glauben geschenkt würde. Sie sagte, sie spiele Rollen, sie sei keine Person, sie sei eine Variable in einer Gleichung, deren Ergebnis immer eine irrationale Zahl ergebe, bis ins unendliche näher bestimmbar, ohne je rational zu werden. Und auch, wenn die Gleichung, die Bedingungen festgesetzt waren – ich und Jonas in Klammer addiert, Jan ein multiplizierender Faktor der Variable Delilah, Markus und Tanja unabhängige Faktoren – versuchte Delilah diese Bedingungen wieder zu lockern, die Gleichung neu zu definieren, als würde sie unsere Rollen nach Belieben tauschen, um das Ergebnis zu manipulieren.

Wir sechs Freunde saßen gemeinsam auf einer Decke am Spielplatz nahe dem dunklen Wald mit hellem Schafgarbensaum, über uns ragte eine Linde, neben uns die gelben Unkrauttupfer von Ambrosien, Johanniskraut und Hahnenfuß, das morsche Ringelspiel, die graublaue Schaukelstange. Wir saßen auf der Decke, während die Blätter und Samen auf uns regneten, das muss im langen Herbst damals gewesen sein. Es war bereits Abend, es muss ein Freitag oder Samstag gewesen sein, wir waren in Feierlaune und tranken Sangria.

(S. 34-36)

© 2020 Czernin Verlag

 

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